Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.Der letzte Rheinbundminister ansehen, das für Hessen sechzig Jahre früher das richtige Prinzip gewesen war. Jederzeit hat Dalwigk seine deutsche Gesinnung betont, ja er hat sie Großdeutsche Ideen liegen uns heute wieder näher als in früheren Jahr¬ Der letzte Rheinbundminister ansehen, das für Hessen sechzig Jahre früher das richtige Prinzip gewesen war. Jederzeit hat Dalwigk seine deutsche Gesinnung betont, ja er hat sie Großdeutsche Ideen liegen uns heute wieder näher als in früheren Jahr¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0220" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324193"/> <fw type="header" place="top"> Der letzte Rheinbundminister</fw><lb/> <p xml:id="ID_649" prev="#ID_648"> ansehen, das für Hessen sechzig Jahre früher das richtige Prinzip gewesen war.<lb/> Alte Rheinbundstraditioncn ragten, verkörpert im Prinzen Emil, noch in seine<lb/> Amtszeit als Minister hinein. Wer möchte ihn unbedingt verdammen, wenn<lb/> er, den Gang des nationalen Gedankens verkennend, seinen Staat durch die<lb/> Fährlichkeiten der Zeit mit Mitteln durchzusteuern versuchte, die damals Hessen<lb/> vor dem Untergang gerettet hatten? Nur daß er sich nicht aus der Konsequenz<lb/> der Lage den Zeitpunkt des Rücktritts selbst zu setzen wußte, raubt dem Ende<lb/> seiner Laufbahn jede Sympathie.</p><lb/> <p xml:id="ID_650"> Jederzeit hat Dalwigk seine deutsche Gesinnung betont, ja er hat sie<lb/> schließlich seinem Hofmann gegenüber durch Mitteilung poetischer Jugendcrgüsse<lb/> zu erweisen gesucht, weil er fühlte, daß zwischen seinen Zielen und dem Ziel,<lb/> das die. nationale Gegenwart erstrebt und verwirklicht hatte, ein gar zu<lb/> schreiender Gegensatz bestand. Gewiß, er war ein Großdeutscher in seiner<lb/> Anlehnung an Österreich, aber, er war es doch weniger aus nationalem<lb/> Empfinden als in der Voraussicht, daß unter Österreichs Schutz und Frankreichs<lb/> Garantie die Selbständigkeit seines kleinen Staates, deren Bewahrung ihm zum<lb/> Lebenszweck geworden war, am sichersten vor jener Einbuße bewahrt werden<lb/> würde, die er in der Einfügung in das kleindeutsche Reich herannahen sah.<lb/> Wieviel größer die andere Einbuße gewesen wäre, die ein französisch-öster¬<lb/> reichischer Sieg mit sich gebracht hätte, das sah er nicht oder wollte er<lb/> nicht sehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_651"> Großdeutsche Ideen liegen uns heute wieder näher als in früheren Jahr¬<lb/> zehnten. Hier und da ertönt der Ruf nach einer neuen und vollständigeren<lb/> Lösung der deutschen Frage. Man mag ihn begrüßen oder davor warnen,<lb/> sicher ist, daß das Großdeutschtum unserer Tage nichts mehr mit dem<lb/> Partikularismus zu tun haben kann, mit dem es damals in ein Bündnis<lb/> gedrängt war. Ein Großdeutschtum, wie es der hessische Minister vertrat, ein<lb/> Großdeutschtum auf Kosten der nationalen Geschlossenheit ist heute nicht mehr<lb/> möglich. Dalwigk und seine Ideale sind tot.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0220]
Der letzte Rheinbundminister
ansehen, das für Hessen sechzig Jahre früher das richtige Prinzip gewesen war.
Alte Rheinbundstraditioncn ragten, verkörpert im Prinzen Emil, noch in seine
Amtszeit als Minister hinein. Wer möchte ihn unbedingt verdammen, wenn
er, den Gang des nationalen Gedankens verkennend, seinen Staat durch die
Fährlichkeiten der Zeit mit Mitteln durchzusteuern versuchte, die damals Hessen
vor dem Untergang gerettet hatten? Nur daß er sich nicht aus der Konsequenz
der Lage den Zeitpunkt des Rücktritts selbst zu setzen wußte, raubt dem Ende
seiner Laufbahn jede Sympathie.
Jederzeit hat Dalwigk seine deutsche Gesinnung betont, ja er hat sie
schließlich seinem Hofmann gegenüber durch Mitteilung poetischer Jugendcrgüsse
zu erweisen gesucht, weil er fühlte, daß zwischen seinen Zielen und dem Ziel,
das die. nationale Gegenwart erstrebt und verwirklicht hatte, ein gar zu
schreiender Gegensatz bestand. Gewiß, er war ein Großdeutscher in seiner
Anlehnung an Österreich, aber, er war es doch weniger aus nationalem
Empfinden als in der Voraussicht, daß unter Österreichs Schutz und Frankreichs
Garantie die Selbständigkeit seines kleinen Staates, deren Bewahrung ihm zum
Lebenszweck geworden war, am sichersten vor jener Einbuße bewahrt werden
würde, die er in der Einfügung in das kleindeutsche Reich herannahen sah.
Wieviel größer die andere Einbuße gewesen wäre, die ein französisch-öster¬
reichischer Sieg mit sich gebracht hätte, das sah er nicht oder wollte er
nicht sehen.
Großdeutsche Ideen liegen uns heute wieder näher als in früheren Jahr¬
zehnten. Hier und da ertönt der Ruf nach einer neuen und vollständigeren
Lösung der deutschen Frage. Man mag ihn begrüßen oder davor warnen,
sicher ist, daß das Großdeutschtum unserer Tage nichts mehr mit dem
Partikularismus zu tun haben kann, mit dem es damals in ein Bündnis
gedrängt war. Ein Großdeutschtum, wie es der hessische Minister vertrat, ein
Großdeutschtum auf Kosten der nationalen Geschlossenheit ist heute nicht mehr
möglich. Dalwigk und seine Ideale sind tot.
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