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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der letzte Rheinbundminister

Votum zu geben, die Kriegskreditvorlage zu Falle gebracht hatte. Diese
Ziellosigkeit hatte zur Folge, daß nach dem Kriege der linke Flügel der Fort¬
schrittler sich loslöste und die demokratische Volkspartei bildete, während der
rechte sein kleindeutsches Herz entdeckte und in die Bahnen des Nationaloereins
einlenkte. Der Gegensatz gegen Bismarck vereinigte die konservativen und die
demokratischen Partikularisten so enge, daß ihr Bund dem Minister für seine
antipreußische Politik den erforderlichen Rückhalt bot, und daß das Darmstädter
Demokratenblatt eine Zeit lang regierungsoffiziös genannt werden durfte.

Aus der Stellung der hessischen Regierung zu den Zielen der preußischen
Politik ergab sich von selbst, daß Dalwigk darüber wachte, daß dem Zoll¬
parlament keine Erweiterung seiner Kompetenzen zugebilligt wurde. Einen
Vorstoß in das Gebiet der selbständigen Europapolitik bedeutet es und gleichzeitig
eine Brüskierung der Bundesleitung, wenn der hessische Minister 1867 ohne
Verständigung mit Berlin die Einladung Frankreichs zu einer internationalen
Konferenz wegen der römischen Frage annahm. Die daran anschließende
Preßfehde der offiziösen Organe machte die weitesten Kreise auf die Hart¬
näckigkeit aufmerksam, mit der sich gerade die Regierung gegen den völligen
Anschluß an den Bund sträubte, bei der man am ehesten die Neigung zum
Beitritt hätte voraussetzen müssen.

Denn diese Frage beherrschte naturgemäß die politische Erörterung in den
Jahren nach dem Kriege. Dalwigk sah in dem Bund ein Vasallenverhältnis.
"Ich kann mich nun einmal für den Norddeutschen Bund nicht begeistern,"
schrieb er 1867, "auch denke ich, daß wir Deutschland, wenn wir die eine
Hand freihalten, bessere Dienste leisten können als durch einen freiwilligen
Verzicht auf jede künftige Äußerung selbständigen Willens." Auf diesem
Standpunkt blieb er auch der Zweiten Kammer gegenüber, in der es wider
alles Erwarten einmal einen Mehrheitsbeschluß für den Beitritt zum Bund¬
gab, auch seinem Gesandten Hofmann in Berlin gegenüber, der auf die
UnHaltbarkeit der Doppelstellung Hessens in seinen Berichten hinwies. Der
Minister verschanzte sich hinter die Behauptung, daß man mit einem Antrag
auf Eintritt in den Nordbund der preußischen Regierung äußere Schwierigkeiten
bereite, und als Bismarck dem ausdrücklich widersprach, wies er auf die
finanziellen Lasten hin, die schon der Eintritt Oberhessens und die Mititär-
konvention mit sich brachten und die sich beim Eintritt Südhessens noch steigern
müßten. Dieser Hinweis auf den Geldbeutel verfing in den weitesten Kreisen
Hessens, der demokratische Weizen blühte, der Einfluß der Nationalliberalen
sank. Der Partikularismus erhob von neuem sein Haupt. Es half nichts,
daß der Gesandte Hofmann dagegen arbeitete; selbst die Autorität des Thron-
folgers Prinzen Ludwig, der nach 1866 alsbald in preußenfreundliche Bahnen
einlenkte und damals die hessische Truppeudiviston kommandierte, vermochte
sich nicht durchzusetzen. Das gefährliche Wort "Lieber französisch als preußisch"
tauchte ans und fand keinen entschiedenen Widerspruch. In ihm ist auch die


Der letzte Rheinbundminister

Votum zu geben, die Kriegskreditvorlage zu Falle gebracht hatte. Diese
Ziellosigkeit hatte zur Folge, daß nach dem Kriege der linke Flügel der Fort¬
schrittler sich loslöste und die demokratische Volkspartei bildete, während der
rechte sein kleindeutsches Herz entdeckte und in die Bahnen des Nationaloereins
einlenkte. Der Gegensatz gegen Bismarck vereinigte die konservativen und die
demokratischen Partikularisten so enge, daß ihr Bund dem Minister für seine
antipreußische Politik den erforderlichen Rückhalt bot, und daß das Darmstädter
Demokratenblatt eine Zeit lang regierungsoffiziös genannt werden durfte.

Aus der Stellung der hessischen Regierung zu den Zielen der preußischen
Politik ergab sich von selbst, daß Dalwigk darüber wachte, daß dem Zoll¬
parlament keine Erweiterung seiner Kompetenzen zugebilligt wurde. Einen
Vorstoß in das Gebiet der selbständigen Europapolitik bedeutet es und gleichzeitig
eine Brüskierung der Bundesleitung, wenn der hessische Minister 1867 ohne
Verständigung mit Berlin die Einladung Frankreichs zu einer internationalen
Konferenz wegen der römischen Frage annahm. Die daran anschließende
Preßfehde der offiziösen Organe machte die weitesten Kreise auf die Hart¬
näckigkeit aufmerksam, mit der sich gerade die Regierung gegen den völligen
Anschluß an den Bund sträubte, bei der man am ehesten die Neigung zum
Beitritt hätte voraussetzen müssen.

Denn diese Frage beherrschte naturgemäß die politische Erörterung in den
Jahren nach dem Kriege. Dalwigk sah in dem Bund ein Vasallenverhältnis.
„Ich kann mich nun einmal für den Norddeutschen Bund nicht begeistern,"
schrieb er 1867, „auch denke ich, daß wir Deutschland, wenn wir die eine
Hand freihalten, bessere Dienste leisten können als durch einen freiwilligen
Verzicht auf jede künftige Äußerung selbständigen Willens." Auf diesem
Standpunkt blieb er auch der Zweiten Kammer gegenüber, in der es wider
alles Erwarten einmal einen Mehrheitsbeschluß für den Beitritt zum Bund¬
gab, auch seinem Gesandten Hofmann in Berlin gegenüber, der auf die
UnHaltbarkeit der Doppelstellung Hessens in seinen Berichten hinwies. Der
Minister verschanzte sich hinter die Behauptung, daß man mit einem Antrag
auf Eintritt in den Nordbund der preußischen Regierung äußere Schwierigkeiten
bereite, und als Bismarck dem ausdrücklich widersprach, wies er auf die
finanziellen Lasten hin, die schon der Eintritt Oberhessens und die Mititär-
konvention mit sich brachten und die sich beim Eintritt Südhessens noch steigern
müßten. Dieser Hinweis auf den Geldbeutel verfing in den weitesten Kreisen
Hessens, der demokratische Weizen blühte, der Einfluß der Nationalliberalen
sank. Der Partikularismus erhob von neuem sein Haupt. Es half nichts,
daß der Gesandte Hofmann dagegen arbeitete; selbst die Autorität des Thron-
folgers Prinzen Ludwig, der nach 1866 alsbald in preußenfreundliche Bahnen
einlenkte und damals die hessische Truppeudiviston kommandierte, vermochte
sich nicht durchzusetzen. Das gefährliche Wort „Lieber französisch als preußisch"
tauchte ans und fand keinen entschiedenen Widerspruch. In ihm ist auch die


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[0215] Der letzte Rheinbundminister Votum zu geben, die Kriegskreditvorlage zu Falle gebracht hatte. Diese Ziellosigkeit hatte zur Folge, daß nach dem Kriege der linke Flügel der Fort¬ schrittler sich loslöste und die demokratische Volkspartei bildete, während der rechte sein kleindeutsches Herz entdeckte und in die Bahnen des Nationaloereins einlenkte. Der Gegensatz gegen Bismarck vereinigte die konservativen und die demokratischen Partikularisten so enge, daß ihr Bund dem Minister für seine antipreußische Politik den erforderlichen Rückhalt bot, und daß das Darmstädter Demokratenblatt eine Zeit lang regierungsoffiziös genannt werden durfte. Aus der Stellung der hessischen Regierung zu den Zielen der preußischen Politik ergab sich von selbst, daß Dalwigk darüber wachte, daß dem Zoll¬ parlament keine Erweiterung seiner Kompetenzen zugebilligt wurde. Einen Vorstoß in das Gebiet der selbständigen Europapolitik bedeutet es und gleichzeitig eine Brüskierung der Bundesleitung, wenn der hessische Minister 1867 ohne Verständigung mit Berlin die Einladung Frankreichs zu einer internationalen Konferenz wegen der römischen Frage annahm. Die daran anschließende Preßfehde der offiziösen Organe machte die weitesten Kreise auf die Hart¬ näckigkeit aufmerksam, mit der sich gerade die Regierung gegen den völligen Anschluß an den Bund sträubte, bei der man am ehesten die Neigung zum Beitritt hätte voraussetzen müssen. Denn diese Frage beherrschte naturgemäß die politische Erörterung in den Jahren nach dem Kriege. Dalwigk sah in dem Bund ein Vasallenverhältnis. „Ich kann mich nun einmal für den Norddeutschen Bund nicht begeistern," schrieb er 1867, „auch denke ich, daß wir Deutschland, wenn wir die eine Hand freihalten, bessere Dienste leisten können als durch einen freiwilligen Verzicht auf jede künftige Äußerung selbständigen Willens." Auf diesem Standpunkt blieb er auch der Zweiten Kammer gegenüber, in der es wider alles Erwarten einmal einen Mehrheitsbeschluß für den Beitritt zum Bund¬ gab, auch seinem Gesandten Hofmann in Berlin gegenüber, der auf die UnHaltbarkeit der Doppelstellung Hessens in seinen Berichten hinwies. Der Minister verschanzte sich hinter die Behauptung, daß man mit einem Antrag auf Eintritt in den Nordbund der preußischen Regierung äußere Schwierigkeiten bereite, und als Bismarck dem ausdrücklich widersprach, wies er auf die finanziellen Lasten hin, die schon der Eintritt Oberhessens und die Mititär- konvention mit sich brachten und die sich beim Eintritt Südhessens noch steigern müßten. Dieser Hinweis auf den Geldbeutel verfing in den weitesten Kreisen Hessens, der demokratische Weizen blühte, der Einfluß der Nationalliberalen sank. Der Partikularismus erhob von neuem sein Haupt. Es half nichts, daß der Gesandte Hofmann dagegen arbeitete; selbst die Autorität des Thron- folgers Prinzen Ludwig, der nach 1866 alsbald in preußenfreundliche Bahnen einlenkte und damals die hessische Truppeudiviston kommandierte, vermochte sich nicht durchzusetzen. Das gefährliche Wort „Lieber französisch als preußisch" tauchte ans und fand keinen entschiedenen Widerspruch. In ihm ist auch die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/215>, abgerufen am 01.07.2024.