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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der letzte Rheinbundminister

Richtung ausgesprochen, in der Dalwigk zu einer Garantie für die Selbständig¬
keit Hessens zu kommen hoffte.

Schon seit dem Frühjahr 1867 suchte er bei Frankreich zu Sortieren, wie
weit man dort Anlehnung finden könne. Da nach seiner Meinung eine
kriegerische Auseinandersetzung Frankreichs mit Preußen doch nicht ausbleiben
konnte, so ging sein Plan auf ein Vorgehen Österreichs in Gemeinschaft mit
Frankreich, jedoch unter "Schonung des deutschen Nationalgefühls in bezug
auf das linke Rheinufer"; hierdurch werde Preußen aus seiner Siegerstellung
in Deutschland geworfen und die süddeutschen Staaten von dem preußischen
Druck befreit. In diesem Sinne verhandelte er mit den diplomatischen Vertretern
Frankreichs am Darmstädter Hofe. Ja, er ging bereits 1867 so weit, daß er
Frankreich anbot, wenn es um einen Kriegsvorwand verlegen sei und der
Eintritt Südhessens in den Nordbund einen solchen abgeben könne, so werde
er diesen Eintritt sofort erklären. Weitere Gelegenheit, den Plan zu betreiben,
bot ihm eine Reise nach Paris im Herbst 1867; er traf dort mit seinem
Freund, dem österreichischen Kanzler Beust, zusammen und besprach sich mit
dem französischen Minister des Auswärtigen Marquis de Moustier; auch in
persönlichen Audienzen beim Kaiser und der Kaiserin trug er seine Auffassung
von einer positiven französischen Politik vor. Dalwigk machte in Paris nicht den
Eindruck, den er erhofft hatte. Frankreich war zwar erfreut, einen so energischen
Parteigänger in Süddeutschland zu haben, versprach sich aber von einer Aktion
Hessens allein nicht viel. Eher wäre etwas auszurichten gewesen, wenn ein
deutscher Südbund zustande kam; ein solcher Plan wurde auch beraten,
scheiterte jedoch.

Trotz der nicht gerade ermutigenden Aufnahme, die der hessische Minister
bei den maßgebenden Instanzen Frankreichs gefunden hatte, scheint er sich je
länger je mehr in den Gedanken eingelebt zu haben, daß allein von Frankreich
seinem Staate Rettung kommen könne. So verstehen wir es, daß er im
Oktober 1868 in Straßburg beim General Ducrot erschien und -- wie Götz
sich ausdrückt -- "bei Frankreich um den Krieg gegen Preußen bettelte". Bei
diesem hervorragenden Militär konnte er Verständnis erwarten, da Ducrot
ohnehin der Meinung war, Frankreich müsse Preußen demütigen, bevor es sich
noch durch Süddeutschland verstärkt habe. Dalwigk glaubte ihm vorstellen zu
können, daß die allgemeine Lage in Europa einem Schlage gegen Preußen
günstig sei, daß die süddeutschen Staaten sich im Falle eines Konflikts zunächst
abwartend verhalten würden; nach einem französischen Erfolg, so ließ er durch¬
blicken, würden sie, Sachsen und Österreich sich wohl zugunsten Frankreichs
entscheiden. Auch jetzt erbot sich der Hesse, für einen Kriegsvorwand zu sorgen;
falls die luxemburgische Frage nicht ausreiche, würde die staatsrechtliche Doppel¬
stellung von Mainz und Rastatt heranzuziehen sein. Ducrot sollte ihm ermöglichen,
sein Anliegen dem Kaiser Napoleon nochmals unmittelbar vorzutragen. General
Frossard übernahm die Vermittlung, aber die Audienz kam nicht zustande.


Der letzte Rheinbundminister

Richtung ausgesprochen, in der Dalwigk zu einer Garantie für die Selbständig¬
keit Hessens zu kommen hoffte.

Schon seit dem Frühjahr 1867 suchte er bei Frankreich zu Sortieren, wie
weit man dort Anlehnung finden könne. Da nach seiner Meinung eine
kriegerische Auseinandersetzung Frankreichs mit Preußen doch nicht ausbleiben
konnte, so ging sein Plan auf ein Vorgehen Österreichs in Gemeinschaft mit
Frankreich, jedoch unter „Schonung des deutschen Nationalgefühls in bezug
auf das linke Rheinufer"; hierdurch werde Preußen aus seiner Siegerstellung
in Deutschland geworfen und die süddeutschen Staaten von dem preußischen
Druck befreit. In diesem Sinne verhandelte er mit den diplomatischen Vertretern
Frankreichs am Darmstädter Hofe. Ja, er ging bereits 1867 so weit, daß er
Frankreich anbot, wenn es um einen Kriegsvorwand verlegen sei und der
Eintritt Südhessens in den Nordbund einen solchen abgeben könne, so werde
er diesen Eintritt sofort erklären. Weitere Gelegenheit, den Plan zu betreiben,
bot ihm eine Reise nach Paris im Herbst 1867; er traf dort mit seinem
Freund, dem österreichischen Kanzler Beust, zusammen und besprach sich mit
dem französischen Minister des Auswärtigen Marquis de Moustier; auch in
persönlichen Audienzen beim Kaiser und der Kaiserin trug er seine Auffassung
von einer positiven französischen Politik vor. Dalwigk machte in Paris nicht den
Eindruck, den er erhofft hatte. Frankreich war zwar erfreut, einen so energischen
Parteigänger in Süddeutschland zu haben, versprach sich aber von einer Aktion
Hessens allein nicht viel. Eher wäre etwas auszurichten gewesen, wenn ein
deutscher Südbund zustande kam; ein solcher Plan wurde auch beraten,
scheiterte jedoch.

Trotz der nicht gerade ermutigenden Aufnahme, die der hessische Minister
bei den maßgebenden Instanzen Frankreichs gefunden hatte, scheint er sich je
länger je mehr in den Gedanken eingelebt zu haben, daß allein von Frankreich
seinem Staate Rettung kommen könne. So verstehen wir es, daß er im
Oktober 1868 in Straßburg beim General Ducrot erschien und — wie Götz
sich ausdrückt — „bei Frankreich um den Krieg gegen Preußen bettelte". Bei
diesem hervorragenden Militär konnte er Verständnis erwarten, da Ducrot
ohnehin der Meinung war, Frankreich müsse Preußen demütigen, bevor es sich
noch durch Süddeutschland verstärkt habe. Dalwigk glaubte ihm vorstellen zu
können, daß die allgemeine Lage in Europa einem Schlage gegen Preußen
günstig sei, daß die süddeutschen Staaten sich im Falle eines Konflikts zunächst
abwartend verhalten würden; nach einem französischen Erfolg, so ließ er durch¬
blicken, würden sie, Sachsen und Österreich sich wohl zugunsten Frankreichs
entscheiden. Auch jetzt erbot sich der Hesse, für einen Kriegsvorwand zu sorgen;
falls die luxemburgische Frage nicht ausreiche, würde die staatsrechtliche Doppel¬
stellung von Mainz und Rastatt heranzuziehen sein. Ducrot sollte ihm ermöglichen,
sein Anliegen dem Kaiser Napoleon nochmals unmittelbar vorzutragen. General
Frossard übernahm die Vermittlung, aber die Audienz kam nicht zustande.


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[0216] Der letzte Rheinbundminister Richtung ausgesprochen, in der Dalwigk zu einer Garantie für die Selbständig¬ keit Hessens zu kommen hoffte. Schon seit dem Frühjahr 1867 suchte er bei Frankreich zu Sortieren, wie weit man dort Anlehnung finden könne. Da nach seiner Meinung eine kriegerische Auseinandersetzung Frankreichs mit Preußen doch nicht ausbleiben konnte, so ging sein Plan auf ein Vorgehen Österreichs in Gemeinschaft mit Frankreich, jedoch unter „Schonung des deutschen Nationalgefühls in bezug auf das linke Rheinufer"; hierdurch werde Preußen aus seiner Siegerstellung in Deutschland geworfen und die süddeutschen Staaten von dem preußischen Druck befreit. In diesem Sinne verhandelte er mit den diplomatischen Vertretern Frankreichs am Darmstädter Hofe. Ja, er ging bereits 1867 so weit, daß er Frankreich anbot, wenn es um einen Kriegsvorwand verlegen sei und der Eintritt Südhessens in den Nordbund einen solchen abgeben könne, so werde er diesen Eintritt sofort erklären. Weitere Gelegenheit, den Plan zu betreiben, bot ihm eine Reise nach Paris im Herbst 1867; er traf dort mit seinem Freund, dem österreichischen Kanzler Beust, zusammen und besprach sich mit dem französischen Minister des Auswärtigen Marquis de Moustier; auch in persönlichen Audienzen beim Kaiser und der Kaiserin trug er seine Auffassung von einer positiven französischen Politik vor. Dalwigk machte in Paris nicht den Eindruck, den er erhofft hatte. Frankreich war zwar erfreut, einen so energischen Parteigänger in Süddeutschland zu haben, versprach sich aber von einer Aktion Hessens allein nicht viel. Eher wäre etwas auszurichten gewesen, wenn ein deutscher Südbund zustande kam; ein solcher Plan wurde auch beraten, scheiterte jedoch. Trotz der nicht gerade ermutigenden Aufnahme, die der hessische Minister bei den maßgebenden Instanzen Frankreichs gefunden hatte, scheint er sich je länger je mehr in den Gedanken eingelebt zu haben, daß allein von Frankreich seinem Staate Rettung kommen könne. So verstehen wir es, daß er im Oktober 1868 in Straßburg beim General Ducrot erschien und — wie Götz sich ausdrückt — „bei Frankreich um den Krieg gegen Preußen bettelte". Bei diesem hervorragenden Militär konnte er Verständnis erwarten, da Ducrot ohnehin der Meinung war, Frankreich müsse Preußen demütigen, bevor es sich noch durch Süddeutschland verstärkt habe. Dalwigk glaubte ihm vorstellen zu können, daß die allgemeine Lage in Europa einem Schlage gegen Preußen günstig sei, daß die süddeutschen Staaten sich im Falle eines Konflikts zunächst abwartend verhalten würden; nach einem französischen Erfolg, so ließ er durch¬ blicken, würden sie, Sachsen und Österreich sich wohl zugunsten Frankreichs entscheiden. Auch jetzt erbot sich der Hesse, für einen Kriegsvorwand zu sorgen; falls die luxemburgische Frage nicht ausreiche, würde die staatsrechtliche Doppel¬ stellung von Mainz und Rastatt heranzuziehen sein. Ducrot sollte ihm ermöglichen, sein Anliegen dem Kaiser Napoleon nochmals unmittelbar vorzutragen. General Frossard übernahm die Vermittlung, aber die Audienz kam nicht zustande.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/216>, abgerufen am 03.07.2024.