Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der letzte Rheinbund minister

diese Männer des dritten Deutschlands schon in der Zeit, da in Preußen König
Wilhelm den Thron bestieg, in ihre Zukunftspläne die Anlehnung an Frankreich
verwoben, so trat hier eine nie ganz erloschene Tradition wieder hervor, nach
der man von Frankreich, dem Urheber der süddeutschen Territorialstaatsgebilde,
nichts zu fürchten habe, vielmehr dort seinen natürlichen Beschützer sehen müsse.
Der andere Punkt, nach dem die süddeutsche und besonders die hessische Politik
gravitierte, war Österreich, das als natürlicher Rivale Preußens und als Träger
der kaiserlichen Tradition Anspruch auf Autorität in Süddeutschland hatte. So
finden wir 1866 Dalwigk mit ganzer Seele auf der Seite Österreichs. Die
Ereignisse dieses Jahres bedeuten die erste große Niederlage der Dalwigkschen
Politik.

Die Stellung des Ministers war damit nicht erschüttert. Großherzog
Ludwig der Dritte hat, soviel wir wissen, in allen wesentlichen Punkten seine
Ansichten geteilt, seine Maßnahmen gutgeheißen. Aber natürlich vollzog sich gerade
dadurch die Neuorientierung der hessischen Politik nach dem Kriege nicht ohne
große Schwierigkeiten. Man kann sagen, daß die Lage Hessens geradezu nach
einer Entscheidung im Sinne eines engen Anschlusses an Preußen rief.
Hessen war nicht nur im Friedensschluß um ein beträchtliches Stück geschmälert,
es war auch weiterhin politisch halbiert worden; sein nördlicher Teil, Ober¬
hessen, hatte dem Norddeutschen Bund beitreten müssen, während der südliche
ihm nicht angehörte. Dieses unnatürliche Verhältnis war zum Teil durch die
Rücksichtnahme Bismarcks auf Frankreich hervorgerufen, dem ein Übergreifen
der preußischen Einflußsphäre auf die Länder südlich des Maines unerträglich
schien. Dalwigk, der sich anfangs in Nikolsburg gegen diese Regelung
gesträubt hatte, nahm das Gegebene hin und suchte daraus eine Waffe zu
schmieden, mit der er Preußen beunruhigte. Denn während Hessen mit seiner
norddeutschen Hälfte der Berliner Politik sich unterordnen mußte, glaubte sich
Dalwigk berechtigt, daneben eine unabhängige europäische Politik auch gegen
Preußens Interessen zu treiben.

Das konnte er natürlich nur, wenn er im eigenen Lande Stützen für sein
Vorgehen fand. Hinter ihm stand sein Landesherr, dessen großdeutsche, anti¬
preußische Gesinnung bekannt war. Einen sicheren Rückhalt bildete auch der
größte Teil der Ersten Kammer, wo neben den Standesherren der Vertreter des
Mainzer Bischofs für Dalwigks Politik eintrat, seitdem dieser durch die viel¬
befehdete Mainz-Darmstädter Konvention den Wünschen Emanuel von
Kettelers weit entgegengekommen war. Aber auch in der Zweiten Kammer
bestand eine ansehnliche Regierungspartei, die sogenannten Liberal-Konservativen,
großenteils Beamte; freilich war sie vor 1866 noch nicht stark genug gewesen,
um der Regierung eine sichere Stütze zu bieten. Dies wurde erst durch die
Ungeschicklichkeit des Führers der oppositionellen Fortschrittspartei möglich, der
zwar aufs schärfste gegen die Bismarcksche Politik aufgetreten war, aber auch
das Zusammengehen mit Österreich abgelehnt und, um Dalwigk kein Vertrauens-


Der letzte Rheinbund minister

diese Männer des dritten Deutschlands schon in der Zeit, da in Preußen König
Wilhelm den Thron bestieg, in ihre Zukunftspläne die Anlehnung an Frankreich
verwoben, so trat hier eine nie ganz erloschene Tradition wieder hervor, nach
der man von Frankreich, dem Urheber der süddeutschen Territorialstaatsgebilde,
nichts zu fürchten habe, vielmehr dort seinen natürlichen Beschützer sehen müsse.
Der andere Punkt, nach dem die süddeutsche und besonders die hessische Politik
gravitierte, war Österreich, das als natürlicher Rivale Preußens und als Träger
der kaiserlichen Tradition Anspruch auf Autorität in Süddeutschland hatte. So
finden wir 1866 Dalwigk mit ganzer Seele auf der Seite Österreichs. Die
Ereignisse dieses Jahres bedeuten die erste große Niederlage der Dalwigkschen
Politik.

Die Stellung des Ministers war damit nicht erschüttert. Großherzog
Ludwig der Dritte hat, soviel wir wissen, in allen wesentlichen Punkten seine
Ansichten geteilt, seine Maßnahmen gutgeheißen. Aber natürlich vollzog sich gerade
dadurch die Neuorientierung der hessischen Politik nach dem Kriege nicht ohne
große Schwierigkeiten. Man kann sagen, daß die Lage Hessens geradezu nach
einer Entscheidung im Sinne eines engen Anschlusses an Preußen rief.
Hessen war nicht nur im Friedensschluß um ein beträchtliches Stück geschmälert,
es war auch weiterhin politisch halbiert worden; sein nördlicher Teil, Ober¬
hessen, hatte dem Norddeutschen Bund beitreten müssen, während der südliche
ihm nicht angehörte. Dieses unnatürliche Verhältnis war zum Teil durch die
Rücksichtnahme Bismarcks auf Frankreich hervorgerufen, dem ein Übergreifen
der preußischen Einflußsphäre auf die Länder südlich des Maines unerträglich
schien. Dalwigk, der sich anfangs in Nikolsburg gegen diese Regelung
gesträubt hatte, nahm das Gegebene hin und suchte daraus eine Waffe zu
schmieden, mit der er Preußen beunruhigte. Denn während Hessen mit seiner
norddeutschen Hälfte der Berliner Politik sich unterordnen mußte, glaubte sich
Dalwigk berechtigt, daneben eine unabhängige europäische Politik auch gegen
Preußens Interessen zu treiben.

Das konnte er natürlich nur, wenn er im eigenen Lande Stützen für sein
Vorgehen fand. Hinter ihm stand sein Landesherr, dessen großdeutsche, anti¬
preußische Gesinnung bekannt war. Einen sicheren Rückhalt bildete auch der
größte Teil der Ersten Kammer, wo neben den Standesherren der Vertreter des
Mainzer Bischofs für Dalwigks Politik eintrat, seitdem dieser durch die viel¬
befehdete Mainz-Darmstädter Konvention den Wünschen Emanuel von
Kettelers weit entgegengekommen war. Aber auch in der Zweiten Kammer
bestand eine ansehnliche Regierungspartei, die sogenannten Liberal-Konservativen,
großenteils Beamte; freilich war sie vor 1866 noch nicht stark genug gewesen,
um der Regierung eine sichere Stütze zu bieten. Dies wurde erst durch die
Ungeschicklichkeit des Führers der oppositionellen Fortschrittspartei möglich, der
zwar aufs schärfste gegen die Bismarcksche Politik aufgetreten war, aber auch
das Zusammengehen mit Österreich abgelehnt und, um Dalwigk kein Vertrauens-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0214" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324187"/>
          <fw type="header" place="top"> Der letzte Rheinbund minister</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_630" prev="#ID_629"> diese Männer des dritten Deutschlands schon in der Zeit, da in Preußen König<lb/>
Wilhelm den Thron bestieg, in ihre Zukunftspläne die Anlehnung an Frankreich<lb/>
verwoben, so trat hier eine nie ganz erloschene Tradition wieder hervor, nach<lb/>
der man von Frankreich, dem Urheber der süddeutschen Territorialstaatsgebilde,<lb/>
nichts zu fürchten habe, vielmehr dort seinen natürlichen Beschützer sehen müsse.<lb/>
Der andere Punkt, nach dem die süddeutsche und besonders die hessische Politik<lb/>
gravitierte, war Österreich, das als natürlicher Rivale Preußens und als Träger<lb/>
der kaiserlichen Tradition Anspruch auf Autorität in Süddeutschland hatte. So<lb/>
finden wir 1866 Dalwigk mit ganzer Seele auf der Seite Österreichs. Die<lb/>
Ereignisse dieses Jahres bedeuten die erste große Niederlage der Dalwigkschen<lb/>
Politik.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_631"> Die Stellung des Ministers war damit nicht erschüttert. Großherzog<lb/>
Ludwig der Dritte hat, soviel wir wissen, in allen wesentlichen Punkten seine<lb/>
Ansichten geteilt, seine Maßnahmen gutgeheißen. Aber natürlich vollzog sich gerade<lb/>
dadurch die Neuorientierung der hessischen Politik nach dem Kriege nicht ohne<lb/>
große Schwierigkeiten. Man kann sagen, daß die Lage Hessens geradezu nach<lb/>
einer Entscheidung im Sinne eines engen Anschlusses an Preußen rief.<lb/>
Hessen war nicht nur im Friedensschluß um ein beträchtliches Stück geschmälert,<lb/>
es war auch weiterhin politisch halbiert worden; sein nördlicher Teil, Ober¬<lb/>
hessen, hatte dem Norddeutschen Bund beitreten müssen, während der südliche<lb/>
ihm nicht angehörte. Dieses unnatürliche Verhältnis war zum Teil durch die<lb/>
Rücksichtnahme Bismarcks auf Frankreich hervorgerufen, dem ein Übergreifen<lb/>
der preußischen Einflußsphäre auf die Länder südlich des Maines unerträglich<lb/>
schien. Dalwigk, der sich anfangs in Nikolsburg gegen diese Regelung<lb/>
gesträubt hatte, nahm das Gegebene hin und suchte daraus eine Waffe zu<lb/>
schmieden, mit der er Preußen beunruhigte. Denn während Hessen mit seiner<lb/>
norddeutschen Hälfte der Berliner Politik sich unterordnen mußte, glaubte sich<lb/>
Dalwigk berechtigt, daneben eine unabhängige europäische Politik auch gegen<lb/>
Preußens Interessen zu treiben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_632" next="#ID_633"> Das konnte er natürlich nur, wenn er im eigenen Lande Stützen für sein<lb/>
Vorgehen fand. Hinter ihm stand sein Landesherr, dessen großdeutsche, anti¬<lb/>
preußische Gesinnung bekannt war. Einen sicheren Rückhalt bildete auch der<lb/>
größte Teil der Ersten Kammer, wo neben den Standesherren der Vertreter des<lb/>
Mainzer Bischofs für Dalwigks Politik eintrat, seitdem dieser durch die viel¬<lb/>
befehdete Mainz-Darmstädter Konvention den Wünschen Emanuel von<lb/>
Kettelers weit entgegengekommen war. Aber auch in der Zweiten Kammer<lb/>
bestand eine ansehnliche Regierungspartei, die sogenannten Liberal-Konservativen,<lb/>
großenteils Beamte; freilich war sie vor 1866 noch nicht stark genug gewesen,<lb/>
um der Regierung eine sichere Stütze zu bieten. Dies wurde erst durch die<lb/>
Ungeschicklichkeit des Führers der oppositionellen Fortschrittspartei möglich, der<lb/>
zwar aufs schärfste gegen die Bismarcksche Politik aufgetreten war, aber auch<lb/>
das Zusammengehen mit Österreich abgelehnt und, um Dalwigk kein Vertrauens-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0214] Der letzte Rheinbund minister diese Männer des dritten Deutschlands schon in der Zeit, da in Preußen König Wilhelm den Thron bestieg, in ihre Zukunftspläne die Anlehnung an Frankreich verwoben, so trat hier eine nie ganz erloschene Tradition wieder hervor, nach der man von Frankreich, dem Urheber der süddeutschen Territorialstaatsgebilde, nichts zu fürchten habe, vielmehr dort seinen natürlichen Beschützer sehen müsse. Der andere Punkt, nach dem die süddeutsche und besonders die hessische Politik gravitierte, war Österreich, das als natürlicher Rivale Preußens und als Träger der kaiserlichen Tradition Anspruch auf Autorität in Süddeutschland hatte. So finden wir 1866 Dalwigk mit ganzer Seele auf der Seite Österreichs. Die Ereignisse dieses Jahres bedeuten die erste große Niederlage der Dalwigkschen Politik. Die Stellung des Ministers war damit nicht erschüttert. Großherzog Ludwig der Dritte hat, soviel wir wissen, in allen wesentlichen Punkten seine Ansichten geteilt, seine Maßnahmen gutgeheißen. Aber natürlich vollzog sich gerade dadurch die Neuorientierung der hessischen Politik nach dem Kriege nicht ohne große Schwierigkeiten. Man kann sagen, daß die Lage Hessens geradezu nach einer Entscheidung im Sinne eines engen Anschlusses an Preußen rief. Hessen war nicht nur im Friedensschluß um ein beträchtliches Stück geschmälert, es war auch weiterhin politisch halbiert worden; sein nördlicher Teil, Ober¬ hessen, hatte dem Norddeutschen Bund beitreten müssen, während der südliche ihm nicht angehörte. Dieses unnatürliche Verhältnis war zum Teil durch die Rücksichtnahme Bismarcks auf Frankreich hervorgerufen, dem ein Übergreifen der preußischen Einflußsphäre auf die Länder südlich des Maines unerträglich schien. Dalwigk, der sich anfangs in Nikolsburg gegen diese Regelung gesträubt hatte, nahm das Gegebene hin und suchte daraus eine Waffe zu schmieden, mit der er Preußen beunruhigte. Denn während Hessen mit seiner norddeutschen Hälfte der Berliner Politik sich unterordnen mußte, glaubte sich Dalwigk berechtigt, daneben eine unabhängige europäische Politik auch gegen Preußens Interessen zu treiben. Das konnte er natürlich nur, wenn er im eigenen Lande Stützen für sein Vorgehen fand. Hinter ihm stand sein Landesherr, dessen großdeutsche, anti¬ preußische Gesinnung bekannt war. Einen sicheren Rückhalt bildete auch der größte Teil der Ersten Kammer, wo neben den Standesherren der Vertreter des Mainzer Bischofs für Dalwigks Politik eintrat, seitdem dieser durch die viel¬ befehdete Mainz-Darmstädter Konvention den Wünschen Emanuel von Kettelers weit entgegengekommen war. Aber auch in der Zweiten Kammer bestand eine ansehnliche Regierungspartei, die sogenannten Liberal-Konservativen, großenteils Beamte; freilich war sie vor 1866 noch nicht stark genug gewesen, um der Regierung eine sichere Stütze zu bieten. Dies wurde erst durch die Ungeschicklichkeit des Führers der oppositionellen Fortschrittspartei möglich, der zwar aufs schärfste gegen die Bismarcksche Politik aufgetreten war, aber auch das Zusammengehen mit Österreich abgelehnt und, um Dalwigk kein Vertrauens-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/214
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/214>, abgerufen am 29.06.2024.