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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Ariegsliteratur

zunächst das Wesen seiner Bewohner kennen lernen; denn "die Politik eines
Volkes ist ein Produkt seines Charakters". Von diesem Grundsatze ausgehend
schildert Dr. W. Prenzel in seiner Schrift "Charakter und Politik des Japaners"
(A. Markus und E. Webers Verlag in Bonn) den Japaner in der Familie
und zeigt, wie das Familienleben im Lande der Chrysanthemen grundverschieden
ist von dem unsrigen. Es ergibt sich dies aus der Stellung zwischen Mann
und Frau, der eigenartigen Auffassung von der Ehe und vor allem aus der
Erziehung der Kinder beiderlei Geschlechts. Alsdann führt ihn der Verfasser
uns als Freund vor und weiterhin in seiner Stellung zu seiner sonstigen
Umgebung, in der das Hauptthema der japanischen Erziehung: "Vorsicht!"
am schärfsten zum Ausdruck kommt. Im Anschluß hieran unterwirft Prenzel
das Verhältnis des Japaners zur Religion und Ethik einer kurzen Betrachtung,
zum Schintoismus. der grundlegend ist für die gesamte japanische Auffassung
vom Staate, für die bewunderungswürdige Vaterlandsliebe und Hingebung an
das Vaterland, die den Kindern schon in der Schule eingeprägt und durch die
militärischen Übungen der Knaben während der Schulzeit bis zur Universität
in nicht zu unterschätzender Weise gefördert wird. Aus dieser Erziehung läßt
sich manches Verhalten der Japaner als Staatsbürger und Politiker erklären,
das sonst völlig unverständlich erscheint.

Unter dem Titel "Soziale Moral in China und Japan" veröffentlicht
Ernst Viktor Zenker in den "Schriften des Sozialwissenschaftlichen Akademischen
Vereins in Czernowitz" (Verlag Dunker und Humblot, München) einen inter.
essanten Beitrag zu dem Charakter unseres asiatischen Gegners. Wenn sich
der Verfasser dabei fast ausschließlich mit China beschäftigt, so geht er von der
richtigen Auffassung aus, daß "die soziale Moral Chinas unbestritten die
gesamte Kultur des Fernen Ostens beherrscht, und daß auch das Geistesleben
Japans ganz von den philosophischen Lehren und praktischen Idealen Chinas
beherrscht ist". Die ethische Unterlage ist in beiden Staaten dieselbe, mag
auch der Volkscharakter des japanischen Eroberervolkes grundverschieden
sein von dem des friedlichen Kolonistenvolkes auf dem Festlande. Der Ver¬
fasser gibt einen kurzen, sehr lesenswerten Überblick über die Lehren des Kung-
futse. den Moralkodex des Ostens.

Eines der interessantesten Probleme der japanischen Politik behandelt
L>r. Ernst Grünfeld in der 1913 erschienenen Schrift "Die japanische Aus¬
wanderung" (Verlag für Europa: Behrend u. Co.. Berlin). Auf Grund eines
außerordentlich fleißigen Studiums der Literatur gibt der Verfasser zunächst
"me kurze geschichtliche Skizze der Auswanderung und der japanischen Aus-
Wanderungspolitik. Das Interessante an dieser ist, daß sie den Versuch macht,
die Auswanderung ganz und gar dem staatlichen Interesse dienstbar zu machen.
"Sie wurde in Japan von der Negierung selbst in das Leben gerufen, von
ihr sogar eine Zeitlang geführt, dann an Private abgegeben, von denen man
sich jedoch vergewissert hatte, daß sie ganz den Wünschen der Regierung gemäß


Ariegsliteratur

zunächst das Wesen seiner Bewohner kennen lernen; denn „die Politik eines
Volkes ist ein Produkt seines Charakters". Von diesem Grundsatze ausgehend
schildert Dr. W. Prenzel in seiner Schrift „Charakter und Politik des Japaners"
(A. Markus und E. Webers Verlag in Bonn) den Japaner in der Familie
und zeigt, wie das Familienleben im Lande der Chrysanthemen grundverschieden
ist von dem unsrigen. Es ergibt sich dies aus der Stellung zwischen Mann
und Frau, der eigenartigen Auffassung von der Ehe und vor allem aus der
Erziehung der Kinder beiderlei Geschlechts. Alsdann führt ihn der Verfasser
uns als Freund vor und weiterhin in seiner Stellung zu seiner sonstigen
Umgebung, in der das Hauptthema der japanischen Erziehung: „Vorsicht!"
am schärfsten zum Ausdruck kommt. Im Anschluß hieran unterwirft Prenzel
das Verhältnis des Japaners zur Religion und Ethik einer kurzen Betrachtung,
zum Schintoismus. der grundlegend ist für die gesamte japanische Auffassung
vom Staate, für die bewunderungswürdige Vaterlandsliebe und Hingebung an
das Vaterland, die den Kindern schon in der Schule eingeprägt und durch die
militärischen Übungen der Knaben während der Schulzeit bis zur Universität
in nicht zu unterschätzender Weise gefördert wird. Aus dieser Erziehung läßt
sich manches Verhalten der Japaner als Staatsbürger und Politiker erklären,
das sonst völlig unverständlich erscheint.

Unter dem Titel „Soziale Moral in China und Japan" veröffentlicht
Ernst Viktor Zenker in den „Schriften des Sozialwissenschaftlichen Akademischen
Vereins in Czernowitz" (Verlag Dunker und Humblot, München) einen inter.
essanten Beitrag zu dem Charakter unseres asiatischen Gegners. Wenn sich
der Verfasser dabei fast ausschließlich mit China beschäftigt, so geht er von der
richtigen Auffassung aus, daß „die soziale Moral Chinas unbestritten die
gesamte Kultur des Fernen Ostens beherrscht, und daß auch das Geistesleben
Japans ganz von den philosophischen Lehren und praktischen Idealen Chinas
beherrscht ist". Die ethische Unterlage ist in beiden Staaten dieselbe, mag
auch der Volkscharakter des japanischen Eroberervolkes grundverschieden
sein von dem des friedlichen Kolonistenvolkes auf dem Festlande. Der Ver¬
fasser gibt einen kurzen, sehr lesenswerten Überblick über die Lehren des Kung-
futse. den Moralkodex des Ostens.

Eines der interessantesten Probleme der japanischen Politik behandelt
L>r. Ernst Grünfeld in der 1913 erschienenen Schrift „Die japanische Aus¬
wanderung" (Verlag für Europa: Behrend u. Co.. Berlin). Auf Grund eines
außerordentlich fleißigen Studiums der Literatur gibt der Verfasser zunächst
«me kurze geschichtliche Skizze der Auswanderung und der japanischen Aus-
Wanderungspolitik. Das Interessante an dieser ist, daß sie den Versuch macht,
die Auswanderung ganz und gar dem staatlichen Interesse dienstbar zu machen.
"Sie wurde in Japan von der Negierung selbst in das Leben gerufen, von
ihr sogar eine Zeitlang geführt, dann an Private abgegeben, von denen man
sich jedoch vergewissert hatte, daß sie ganz den Wünschen der Regierung gemäß


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[0197] Ariegsliteratur zunächst das Wesen seiner Bewohner kennen lernen; denn „die Politik eines Volkes ist ein Produkt seines Charakters". Von diesem Grundsatze ausgehend schildert Dr. W. Prenzel in seiner Schrift „Charakter und Politik des Japaners" (A. Markus und E. Webers Verlag in Bonn) den Japaner in der Familie und zeigt, wie das Familienleben im Lande der Chrysanthemen grundverschieden ist von dem unsrigen. Es ergibt sich dies aus der Stellung zwischen Mann und Frau, der eigenartigen Auffassung von der Ehe und vor allem aus der Erziehung der Kinder beiderlei Geschlechts. Alsdann führt ihn der Verfasser uns als Freund vor und weiterhin in seiner Stellung zu seiner sonstigen Umgebung, in der das Hauptthema der japanischen Erziehung: „Vorsicht!" am schärfsten zum Ausdruck kommt. Im Anschluß hieran unterwirft Prenzel das Verhältnis des Japaners zur Religion und Ethik einer kurzen Betrachtung, zum Schintoismus. der grundlegend ist für die gesamte japanische Auffassung vom Staate, für die bewunderungswürdige Vaterlandsliebe und Hingebung an das Vaterland, die den Kindern schon in der Schule eingeprägt und durch die militärischen Übungen der Knaben während der Schulzeit bis zur Universität in nicht zu unterschätzender Weise gefördert wird. Aus dieser Erziehung läßt sich manches Verhalten der Japaner als Staatsbürger und Politiker erklären, das sonst völlig unverständlich erscheint. Unter dem Titel „Soziale Moral in China und Japan" veröffentlicht Ernst Viktor Zenker in den „Schriften des Sozialwissenschaftlichen Akademischen Vereins in Czernowitz" (Verlag Dunker und Humblot, München) einen inter. essanten Beitrag zu dem Charakter unseres asiatischen Gegners. Wenn sich der Verfasser dabei fast ausschließlich mit China beschäftigt, so geht er von der richtigen Auffassung aus, daß „die soziale Moral Chinas unbestritten die gesamte Kultur des Fernen Ostens beherrscht, und daß auch das Geistesleben Japans ganz von den philosophischen Lehren und praktischen Idealen Chinas beherrscht ist". Die ethische Unterlage ist in beiden Staaten dieselbe, mag auch der Volkscharakter des japanischen Eroberervolkes grundverschieden sein von dem des friedlichen Kolonistenvolkes auf dem Festlande. Der Ver¬ fasser gibt einen kurzen, sehr lesenswerten Überblick über die Lehren des Kung- futse. den Moralkodex des Ostens. Eines der interessantesten Probleme der japanischen Politik behandelt L>r. Ernst Grünfeld in der 1913 erschienenen Schrift „Die japanische Aus¬ wanderung" (Verlag für Europa: Behrend u. Co.. Berlin). Auf Grund eines außerordentlich fleißigen Studiums der Literatur gibt der Verfasser zunächst «me kurze geschichtliche Skizze der Auswanderung und der japanischen Aus- Wanderungspolitik. Das Interessante an dieser ist, daß sie den Versuch macht, die Auswanderung ganz und gar dem staatlichen Interesse dienstbar zu machen. "Sie wurde in Japan von der Negierung selbst in das Leben gerufen, von ihr sogar eine Zeitlang geführt, dann an Private abgegeben, von denen man sich jedoch vergewissert hatte, daß sie ganz den Wünschen der Regierung gemäß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/197>, abgerufen am 23.07.2024.