Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Kriegsbeschädigtenfürsorge und Sozialversicherung

Beseitigung oder doch größtmöglichen Abmilderung oft eine ganze Reihe von
Jahren. Dasselbe gilt für viele chronische Krankheiten, die sich zahlreiche
Soldaten infolge der aufreibenden Strapazen des Winterfeldzuges und des
Stellungskampfes zugezogen haben, so namentlich für Rheumatismus, Herz¬
krankheiten, Lungenleiden und Nervenübel aller Art. In Hunderttausenden
solcher Fälle wird erst eine längere Badekur die erforderliche Kräftigung für
den Wiedereintritt in das Berufsleben schaffen, und sehr häufig wird es nötig
sein, die erste Kur jahrelang hintereinander zu wiederholen, um die erlittenen
körperlichen Schädigungen voll und ganz auszugleichen. Die Militärverwaltung
kann das unmöglich alles leisten, so sehr sie sich auch darum bemühen mag.
Einmal muß sie die Verwundeten und Kriegskranken doch entlassen, in deren
eigenem Interesse und der des deutschen Wirtschaftslebens es sogar liegt, daß
dieser Zeitpunkt nicht allzu weit hinausgeschoben wird.

Hier nun ist der Punkt, an dem die Sozialversicherung mit ihren reichen
Einrichtungen und Mitteln helfend eingreifen muß. 'Die weit überwiegende
Mehrheit der Kriegsteilnehmer gehört zu den Versicherten der Landesversicherungs¬
anstalten oder der Reichsverficherungsanstalt für Angestellte. Für diese Organe
besteht deshalb die hohe Gefahr, daß Hunderttausende bei ihnen verhinderter
Kriegsteilnehmer infolge der Nachwirkungen von Erkrankungen und Verwun¬
dungen früher invalide werden, als es dem bisherigen Gesundheitszustande der
arbeitenden Bevölkerung entspricht, und durch höheren und längeren Renten¬
bezug die Versicherungsorgane finanziell in unvorhergesehener und überplan¬
mäßiger Weise belasten. Die Versicherungsanstalten haben deshalb ein sehr
lebhaftes Interesse daran, sich sobald wie irgend angängig, möglichst schon vor
der Entlassung der Kriegsbeschädigten aus dem Heeresdienste, auf alle Fälle
aber unmittelbar danach der Versicherten unter denselben anzunehmen und sie
auf ihre Kosten in ein Heilverfahren zu schicken. Dieses Heilverfahren wird
sich auf alle Fälle erstrecken, in denen irgendwie begründete Hoffnung auf
Wiederherstellung der Gesundheit und Berufsfähigkeit besteht. Für die ständige
Behandlung in Sanatorien, Lungenheilstätten, Kranken- und Genesungshäusern,
in Kurorten sowie in der Sprechstunde des Arztes (zum Beispiel elektrische Be¬
handlung, mechano-thempeutisches Verfahren, Orthopädie) kommen in Frage:
Schwächezustände, Fälle verzögerter Genesung und geistige und körperliche
Erschöpfungszustände ohne eigentliche Organerkrankung, wie sie schon jetzt
massenhaft vorliegen, ferner aber besonders solche Erkrankungen, die durch eine
längere planmäßige Kur günstig zu beeinflussen sind, also namentlich die
Krankheiten der Atmungsorgane (insbesondere die Rückstände von Lungen- und
Rippenfellentzündungen, beginnende Lungentuberkulose usw.), des Herzens und
der Nerven, Rheumatismus, Gelenkversteifungen nach Knochenbrüchen und
'Schüssen, Verwachsungen, Lähmungen und dergleichen mehr. Daneben werden
auch nichtständige Heilverfahren, die sich vor allem auf Zahnersatz und Lieferung
künstlicher Glieder erstrecken werden, in größerem Umfange einzuleiten sein,


Kriegsbeschädigtenfürsorge und Sozialversicherung

Beseitigung oder doch größtmöglichen Abmilderung oft eine ganze Reihe von
Jahren. Dasselbe gilt für viele chronische Krankheiten, die sich zahlreiche
Soldaten infolge der aufreibenden Strapazen des Winterfeldzuges und des
Stellungskampfes zugezogen haben, so namentlich für Rheumatismus, Herz¬
krankheiten, Lungenleiden und Nervenübel aller Art. In Hunderttausenden
solcher Fälle wird erst eine längere Badekur die erforderliche Kräftigung für
den Wiedereintritt in das Berufsleben schaffen, und sehr häufig wird es nötig
sein, die erste Kur jahrelang hintereinander zu wiederholen, um die erlittenen
körperlichen Schädigungen voll und ganz auszugleichen. Die Militärverwaltung
kann das unmöglich alles leisten, so sehr sie sich auch darum bemühen mag.
Einmal muß sie die Verwundeten und Kriegskranken doch entlassen, in deren
eigenem Interesse und der des deutschen Wirtschaftslebens es sogar liegt, daß
dieser Zeitpunkt nicht allzu weit hinausgeschoben wird.

Hier nun ist der Punkt, an dem die Sozialversicherung mit ihren reichen
Einrichtungen und Mitteln helfend eingreifen muß. 'Die weit überwiegende
Mehrheit der Kriegsteilnehmer gehört zu den Versicherten der Landesversicherungs¬
anstalten oder der Reichsverficherungsanstalt für Angestellte. Für diese Organe
besteht deshalb die hohe Gefahr, daß Hunderttausende bei ihnen verhinderter
Kriegsteilnehmer infolge der Nachwirkungen von Erkrankungen und Verwun¬
dungen früher invalide werden, als es dem bisherigen Gesundheitszustande der
arbeitenden Bevölkerung entspricht, und durch höheren und längeren Renten¬
bezug die Versicherungsorgane finanziell in unvorhergesehener und überplan¬
mäßiger Weise belasten. Die Versicherungsanstalten haben deshalb ein sehr
lebhaftes Interesse daran, sich sobald wie irgend angängig, möglichst schon vor
der Entlassung der Kriegsbeschädigten aus dem Heeresdienste, auf alle Fälle
aber unmittelbar danach der Versicherten unter denselben anzunehmen und sie
auf ihre Kosten in ein Heilverfahren zu schicken. Dieses Heilverfahren wird
sich auf alle Fälle erstrecken, in denen irgendwie begründete Hoffnung auf
Wiederherstellung der Gesundheit und Berufsfähigkeit besteht. Für die ständige
Behandlung in Sanatorien, Lungenheilstätten, Kranken- und Genesungshäusern,
in Kurorten sowie in der Sprechstunde des Arztes (zum Beispiel elektrische Be¬
handlung, mechano-thempeutisches Verfahren, Orthopädie) kommen in Frage:
Schwächezustände, Fälle verzögerter Genesung und geistige und körperliche
Erschöpfungszustände ohne eigentliche Organerkrankung, wie sie schon jetzt
massenhaft vorliegen, ferner aber besonders solche Erkrankungen, die durch eine
längere planmäßige Kur günstig zu beeinflussen sind, also namentlich die
Krankheiten der Atmungsorgane (insbesondere die Rückstände von Lungen- und
Rippenfellentzündungen, beginnende Lungentuberkulose usw.), des Herzens und
der Nerven, Rheumatismus, Gelenkversteifungen nach Knochenbrüchen und
'Schüssen, Verwachsungen, Lähmungen und dergleichen mehr. Daneben werden
auch nichtständige Heilverfahren, die sich vor allem auf Zahnersatz und Lieferung
künstlicher Glieder erstrecken werden, in größerem Umfange einzuleiten sein,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0161" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324134"/>
          <fw type="header" place="top"> Kriegsbeschädigtenfürsorge und Sozialversicherung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_484" prev="#ID_483"> Beseitigung oder doch größtmöglichen Abmilderung oft eine ganze Reihe von<lb/>
Jahren. Dasselbe gilt für viele chronische Krankheiten, die sich zahlreiche<lb/>
Soldaten infolge der aufreibenden Strapazen des Winterfeldzuges und des<lb/>
Stellungskampfes zugezogen haben, so namentlich für Rheumatismus, Herz¬<lb/>
krankheiten, Lungenleiden und Nervenübel aller Art. In Hunderttausenden<lb/>
solcher Fälle wird erst eine längere Badekur die erforderliche Kräftigung für<lb/>
den Wiedereintritt in das Berufsleben schaffen, und sehr häufig wird es nötig<lb/>
sein, die erste Kur jahrelang hintereinander zu wiederholen, um die erlittenen<lb/>
körperlichen Schädigungen voll und ganz auszugleichen. Die Militärverwaltung<lb/>
kann das unmöglich alles leisten, so sehr sie sich auch darum bemühen mag.<lb/>
Einmal muß sie die Verwundeten und Kriegskranken doch entlassen, in deren<lb/>
eigenem Interesse und der des deutschen Wirtschaftslebens es sogar liegt, daß<lb/>
dieser Zeitpunkt nicht allzu weit hinausgeschoben wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_485" next="#ID_486"> Hier nun ist der Punkt, an dem die Sozialversicherung mit ihren reichen<lb/>
Einrichtungen und Mitteln helfend eingreifen muß. 'Die weit überwiegende<lb/>
Mehrheit der Kriegsteilnehmer gehört zu den Versicherten der Landesversicherungs¬<lb/>
anstalten oder der Reichsverficherungsanstalt für Angestellte. Für diese Organe<lb/>
besteht deshalb die hohe Gefahr, daß Hunderttausende bei ihnen verhinderter<lb/>
Kriegsteilnehmer infolge der Nachwirkungen von Erkrankungen und Verwun¬<lb/>
dungen früher invalide werden, als es dem bisherigen Gesundheitszustande der<lb/>
arbeitenden Bevölkerung entspricht, und durch höheren und längeren Renten¬<lb/>
bezug die Versicherungsorgane finanziell in unvorhergesehener und überplan¬<lb/>
mäßiger Weise belasten. Die Versicherungsanstalten haben deshalb ein sehr<lb/>
lebhaftes Interesse daran, sich sobald wie irgend angängig, möglichst schon vor<lb/>
der Entlassung der Kriegsbeschädigten aus dem Heeresdienste, auf alle Fälle<lb/>
aber unmittelbar danach der Versicherten unter denselben anzunehmen und sie<lb/>
auf ihre Kosten in ein Heilverfahren zu schicken. Dieses Heilverfahren wird<lb/>
sich auf alle Fälle erstrecken, in denen irgendwie begründete Hoffnung auf<lb/>
Wiederherstellung der Gesundheit und Berufsfähigkeit besteht. Für die ständige<lb/>
Behandlung in Sanatorien, Lungenheilstätten, Kranken- und Genesungshäusern,<lb/>
in Kurorten sowie in der Sprechstunde des Arztes (zum Beispiel elektrische Be¬<lb/>
handlung, mechano-thempeutisches Verfahren, Orthopädie) kommen in Frage:<lb/>
Schwächezustände, Fälle verzögerter Genesung und geistige und körperliche<lb/>
Erschöpfungszustände ohne eigentliche Organerkrankung, wie sie schon jetzt<lb/>
massenhaft vorliegen, ferner aber besonders solche Erkrankungen, die durch eine<lb/>
längere planmäßige Kur günstig zu beeinflussen sind, also namentlich die<lb/>
Krankheiten der Atmungsorgane (insbesondere die Rückstände von Lungen- und<lb/>
Rippenfellentzündungen, beginnende Lungentuberkulose usw.), des Herzens und<lb/>
der Nerven, Rheumatismus, Gelenkversteifungen nach Knochenbrüchen und<lb/>
'Schüssen, Verwachsungen, Lähmungen und dergleichen mehr. Daneben werden<lb/>
auch nichtständige Heilverfahren, die sich vor allem auf Zahnersatz und Lieferung<lb/>
künstlicher Glieder erstrecken werden, in größerem Umfange einzuleiten sein,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0161] Kriegsbeschädigtenfürsorge und Sozialversicherung Beseitigung oder doch größtmöglichen Abmilderung oft eine ganze Reihe von Jahren. Dasselbe gilt für viele chronische Krankheiten, die sich zahlreiche Soldaten infolge der aufreibenden Strapazen des Winterfeldzuges und des Stellungskampfes zugezogen haben, so namentlich für Rheumatismus, Herz¬ krankheiten, Lungenleiden und Nervenübel aller Art. In Hunderttausenden solcher Fälle wird erst eine längere Badekur die erforderliche Kräftigung für den Wiedereintritt in das Berufsleben schaffen, und sehr häufig wird es nötig sein, die erste Kur jahrelang hintereinander zu wiederholen, um die erlittenen körperlichen Schädigungen voll und ganz auszugleichen. Die Militärverwaltung kann das unmöglich alles leisten, so sehr sie sich auch darum bemühen mag. Einmal muß sie die Verwundeten und Kriegskranken doch entlassen, in deren eigenem Interesse und der des deutschen Wirtschaftslebens es sogar liegt, daß dieser Zeitpunkt nicht allzu weit hinausgeschoben wird. Hier nun ist der Punkt, an dem die Sozialversicherung mit ihren reichen Einrichtungen und Mitteln helfend eingreifen muß. 'Die weit überwiegende Mehrheit der Kriegsteilnehmer gehört zu den Versicherten der Landesversicherungs¬ anstalten oder der Reichsverficherungsanstalt für Angestellte. Für diese Organe besteht deshalb die hohe Gefahr, daß Hunderttausende bei ihnen verhinderter Kriegsteilnehmer infolge der Nachwirkungen von Erkrankungen und Verwun¬ dungen früher invalide werden, als es dem bisherigen Gesundheitszustande der arbeitenden Bevölkerung entspricht, und durch höheren und längeren Renten¬ bezug die Versicherungsorgane finanziell in unvorhergesehener und überplan¬ mäßiger Weise belasten. Die Versicherungsanstalten haben deshalb ein sehr lebhaftes Interesse daran, sich sobald wie irgend angängig, möglichst schon vor der Entlassung der Kriegsbeschädigten aus dem Heeresdienste, auf alle Fälle aber unmittelbar danach der Versicherten unter denselben anzunehmen und sie auf ihre Kosten in ein Heilverfahren zu schicken. Dieses Heilverfahren wird sich auf alle Fälle erstrecken, in denen irgendwie begründete Hoffnung auf Wiederherstellung der Gesundheit und Berufsfähigkeit besteht. Für die ständige Behandlung in Sanatorien, Lungenheilstätten, Kranken- und Genesungshäusern, in Kurorten sowie in der Sprechstunde des Arztes (zum Beispiel elektrische Be¬ handlung, mechano-thempeutisches Verfahren, Orthopädie) kommen in Frage: Schwächezustände, Fälle verzögerter Genesung und geistige und körperliche Erschöpfungszustände ohne eigentliche Organerkrankung, wie sie schon jetzt massenhaft vorliegen, ferner aber besonders solche Erkrankungen, die durch eine längere planmäßige Kur günstig zu beeinflussen sind, also namentlich die Krankheiten der Atmungsorgane (insbesondere die Rückstände von Lungen- und Rippenfellentzündungen, beginnende Lungentuberkulose usw.), des Herzens und der Nerven, Rheumatismus, Gelenkversteifungen nach Knochenbrüchen und 'Schüssen, Verwachsungen, Lähmungen und dergleichen mehr. Daneben werden auch nichtständige Heilverfahren, die sich vor allem auf Zahnersatz und Lieferung künstlicher Glieder erstrecken werden, in größerem Umfange einzuleiten sein,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/161
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/161>, abgerufen am 29.06.2024.