Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der katholische Priester unter russischer Herrschaft

nationaler Gedenktage kommen den betreffenden Priestern in der Regel in des
Wortes eigenster Bedeutung teuer zu stehen. Wenn nur Nachrichten über ver-
dächtige Gesinnung oder verdächtige Korrespondenz, etwa mit dem Ausland
(Galizien), vorliegen, wird, wenn dies zur Bestrafung nicht ausreicht, öfters
geheime Überwachung angeordnet. Die Strafen sind Geldstrafen, Straf¬
versetzung, peinliches Verhör, mehrjährige Verschickung, Verbot der Bekleidung
eines Amtes im Weichselgebiet, Amtsentsetzung.

Getreu ihrem sonstigen System hat es die russische Regierung auch um¬
gekehrt verstanden, Gesinnungslosigkeit zu belohnen. Häufig werden Priestern
"Beihilfen" von 25 bis 150 Rubeln bewilligt, bisweilen als "Auszeichnung"
"der auch als "Kurkostenbeitrag" bezeichnet. Welcher Art diese Beihilfe ist,
zeigt folgender Vermerk:

"Das Manifest der Großfürstin Tatiana Nikolajewna vom 29. Mai 1897
verlas er in der Gemeindekirche in russischer Sprache. Im Jahre 1897 erhielt
er eine Geldprämie von 100 Rubeln."

Noch deutlicher ist der Fall eines Priesters R. von auffällig russophiler
Gesinnung, der sogar mit einem orthodoxen Kollegen befreundet war. Er bezog
dafür 1883 75 Rubel. 1892 150 Rubel, 1894 120 Rubel, 1896 75 Rubel.
1899 150 Rubel in bar, ferner 1900. 1905 und 1910 Orden und sonstige
Auszeichnungen.

Sollten es etwa solche Elemente im katholischen Klerus sein, die jetzt noch
hier und da das russische Regime verstohlen zu propagieren versuchen?

Streng kontrolliert werden ferner die unmittelbaren Stützpunkte der Geistlich¬
keit im Lande und jenseits der Grenze, also die Seminarien, kirchlichen Gesell¬
schaften und religiösen Orden. Zum Eintritt in ein Kloster oder in ein Priester--
Seminar ist Genehmigung vom Gouverneur nötig. Ausdrücklich pflegt bei dem
Konduitenbericht über einen künftigen Seminarzögling bemerkt zu werden: "In
das Ausland ist er niemals gereist." Die Mitglieder der verschiedenen
katholischen Orden, Franziskaner und andere, erhalten vom Ausland nur in
Ausnahmefällen für mehr als zwei Monate Pässe nach dem Weichselgebiet; die
fraglichen Personen sind in der Regel Österreicher. Ordinierte Priester müssen
anscheinend ein besonders begründetes Gesuch einreichen, wenn sie als Aus¬
länder nach Polen reisen wollen und erhalten ebenfalls nur Zweimonatspässe.
Bei der Bildung kirchlicher Gesellschaften und Sekten wird streng darauf gesehen,
daß sie sich der Propaganda enthalten und nur rituell-kirchliche Dinge betreiben;
dies gilt auch für alle Zusammenkünfte von Geistlichen im Auslande. Aus¬
ländische Ordensbrüder werden ohne weiteres als Missionare aufgefaßt;
bezeichnenderweise ist ein Aktenstück, daß sich mit dem Aufenthalt solcher Mönche
in Polen beschäftigt, kurzweg "Missionare" betitelt. Aber das Recht auf Be¬
kehrung Andersgläubiger steht nur der rechtgläubigen Kirche zu, wie in einem
Geheimzirkular des Generalgouverneurs von Warschau vom 9. April 1913
ausdrücklich betont wird: "Nur die herrschende rechtgläubige Kirche hat das


Der katholische Priester unter russischer Herrschaft

nationaler Gedenktage kommen den betreffenden Priestern in der Regel in des
Wortes eigenster Bedeutung teuer zu stehen. Wenn nur Nachrichten über ver-
dächtige Gesinnung oder verdächtige Korrespondenz, etwa mit dem Ausland
(Galizien), vorliegen, wird, wenn dies zur Bestrafung nicht ausreicht, öfters
geheime Überwachung angeordnet. Die Strafen sind Geldstrafen, Straf¬
versetzung, peinliches Verhör, mehrjährige Verschickung, Verbot der Bekleidung
eines Amtes im Weichselgebiet, Amtsentsetzung.

Getreu ihrem sonstigen System hat es die russische Regierung auch um¬
gekehrt verstanden, Gesinnungslosigkeit zu belohnen. Häufig werden Priestern
„Beihilfen" von 25 bis 150 Rubeln bewilligt, bisweilen als „Auszeichnung"
»der auch als „Kurkostenbeitrag" bezeichnet. Welcher Art diese Beihilfe ist,
zeigt folgender Vermerk:

„Das Manifest der Großfürstin Tatiana Nikolajewna vom 29. Mai 1897
verlas er in der Gemeindekirche in russischer Sprache. Im Jahre 1897 erhielt
er eine Geldprämie von 100 Rubeln."

Noch deutlicher ist der Fall eines Priesters R. von auffällig russophiler
Gesinnung, der sogar mit einem orthodoxen Kollegen befreundet war. Er bezog
dafür 1883 75 Rubel. 1892 150 Rubel, 1894 120 Rubel, 1896 75 Rubel.
1899 150 Rubel in bar, ferner 1900. 1905 und 1910 Orden und sonstige
Auszeichnungen.

Sollten es etwa solche Elemente im katholischen Klerus sein, die jetzt noch
hier und da das russische Regime verstohlen zu propagieren versuchen?

Streng kontrolliert werden ferner die unmittelbaren Stützpunkte der Geistlich¬
keit im Lande und jenseits der Grenze, also die Seminarien, kirchlichen Gesell¬
schaften und religiösen Orden. Zum Eintritt in ein Kloster oder in ein Priester--
Seminar ist Genehmigung vom Gouverneur nötig. Ausdrücklich pflegt bei dem
Konduitenbericht über einen künftigen Seminarzögling bemerkt zu werden: „In
das Ausland ist er niemals gereist." Die Mitglieder der verschiedenen
katholischen Orden, Franziskaner und andere, erhalten vom Ausland nur in
Ausnahmefällen für mehr als zwei Monate Pässe nach dem Weichselgebiet; die
fraglichen Personen sind in der Regel Österreicher. Ordinierte Priester müssen
anscheinend ein besonders begründetes Gesuch einreichen, wenn sie als Aus¬
länder nach Polen reisen wollen und erhalten ebenfalls nur Zweimonatspässe.
Bei der Bildung kirchlicher Gesellschaften und Sekten wird streng darauf gesehen,
daß sie sich der Propaganda enthalten und nur rituell-kirchliche Dinge betreiben;
dies gilt auch für alle Zusammenkünfte von Geistlichen im Auslande. Aus¬
ländische Ordensbrüder werden ohne weiteres als Missionare aufgefaßt;
bezeichnenderweise ist ein Aktenstück, daß sich mit dem Aufenthalt solcher Mönche
in Polen beschäftigt, kurzweg „Missionare" betitelt. Aber das Recht auf Be¬
kehrung Andersgläubiger steht nur der rechtgläubigen Kirche zu, wie in einem
Geheimzirkular des Generalgouverneurs von Warschau vom 9. April 1913
ausdrücklich betont wird: „Nur die herrschende rechtgläubige Kirche hat das


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0147" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324120"/>
          <fw type="header" place="top"> Der katholische Priester unter russischer Herrschaft</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_437" prev="#ID_436"> nationaler Gedenktage kommen den betreffenden Priestern in der Regel in des<lb/>
Wortes eigenster Bedeutung teuer zu stehen. Wenn nur Nachrichten über ver-<lb/>
dächtige Gesinnung oder verdächtige Korrespondenz, etwa mit dem Ausland<lb/>
(Galizien), vorliegen, wird, wenn dies zur Bestrafung nicht ausreicht, öfters<lb/>
geheime Überwachung angeordnet. Die Strafen sind Geldstrafen, Straf¬<lb/>
versetzung, peinliches Verhör, mehrjährige Verschickung, Verbot der Bekleidung<lb/>
eines Amtes im Weichselgebiet, Amtsentsetzung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_438"> Getreu ihrem sonstigen System hat es die russische Regierung auch um¬<lb/>
gekehrt verstanden, Gesinnungslosigkeit zu belohnen. Häufig werden Priestern<lb/>
&#x201E;Beihilfen" von 25 bis 150 Rubeln bewilligt, bisweilen als &#x201E;Auszeichnung"<lb/>
»der auch als &#x201E;Kurkostenbeitrag" bezeichnet. Welcher Art diese Beihilfe ist,<lb/>
zeigt folgender Vermerk:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_439"> &#x201E;Das Manifest der Großfürstin Tatiana Nikolajewna vom 29. Mai 1897<lb/>
verlas er in der Gemeindekirche in russischer Sprache. Im Jahre 1897 erhielt<lb/>
er eine Geldprämie von 100 Rubeln."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_440"> Noch deutlicher ist der Fall eines Priesters R. von auffällig russophiler<lb/>
Gesinnung, der sogar mit einem orthodoxen Kollegen befreundet war. Er bezog<lb/>
dafür 1883 75 Rubel. 1892 150 Rubel, 1894 120 Rubel, 1896 75 Rubel.<lb/>
1899 150 Rubel in bar, ferner 1900. 1905 und 1910 Orden und sonstige<lb/>
Auszeichnungen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_441"> Sollten es etwa solche Elemente im katholischen Klerus sein, die jetzt noch<lb/>
hier und da das russische Regime verstohlen zu propagieren versuchen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_442" next="#ID_443"> Streng kontrolliert werden ferner die unmittelbaren Stützpunkte der Geistlich¬<lb/>
keit im Lande und jenseits der Grenze, also die Seminarien, kirchlichen Gesell¬<lb/>
schaften und religiösen Orden. Zum Eintritt in ein Kloster oder in ein Priester--<lb/>
Seminar ist Genehmigung vom Gouverneur nötig. Ausdrücklich pflegt bei dem<lb/>
Konduitenbericht über einen künftigen Seminarzögling bemerkt zu werden: &#x201E;In<lb/>
das Ausland ist er niemals gereist." Die Mitglieder der verschiedenen<lb/>
katholischen Orden, Franziskaner und andere, erhalten vom Ausland nur in<lb/>
Ausnahmefällen für mehr als zwei Monate Pässe nach dem Weichselgebiet; die<lb/>
fraglichen Personen sind in der Regel Österreicher. Ordinierte Priester müssen<lb/>
anscheinend ein besonders begründetes Gesuch einreichen, wenn sie als Aus¬<lb/>
länder nach Polen reisen wollen und erhalten ebenfalls nur Zweimonatspässe.<lb/>
Bei der Bildung kirchlicher Gesellschaften und Sekten wird streng darauf gesehen,<lb/>
daß sie sich der Propaganda enthalten und nur rituell-kirchliche Dinge betreiben;<lb/>
dies gilt auch für alle Zusammenkünfte von Geistlichen im Auslande. Aus¬<lb/>
ländische Ordensbrüder werden ohne weiteres als Missionare aufgefaßt;<lb/>
bezeichnenderweise ist ein Aktenstück, daß sich mit dem Aufenthalt solcher Mönche<lb/>
in Polen beschäftigt, kurzweg &#x201E;Missionare" betitelt. Aber das Recht auf Be¬<lb/>
kehrung Andersgläubiger steht nur der rechtgläubigen Kirche zu, wie in einem<lb/>
Geheimzirkular des Generalgouverneurs von Warschau vom 9. April 1913<lb/>
ausdrücklich betont wird: &#x201E;Nur die herrschende rechtgläubige Kirche hat das</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0147] Der katholische Priester unter russischer Herrschaft nationaler Gedenktage kommen den betreffenden Priestern in der Regel in des Wortes eigenster Bedeutung teuer zu stehen. Wenn nur Nachrichten über ver- dächtige Gesinnung oder verdächtige Korrespondenz, etwa mit dem Ausland (Galizien), vorliegen, wird, wenn dies zur Bestrafung nicht ausreicht, öfters geheime Überwachung angeordnet. Die Strafen sind Geldstrafen, Straf¬ versetzung, peinliches Verhör, mehrjährige Verschickung, Verbot der Bekleidung eines Amtes im Weichselgebiet, Amtsentsetzung. Getreu ihrem sonstigen System hat es die russische Regierung auch um¬ gekehrt verstanden, Gesinnungslosigkeit zu belohnen. Häufig werden Priestern „Beihilfen" von 25 bis 150 Rubeln bewilligt, bisweilen als „Auszeichnung" »der auch als „Kurkostenbeitrag" bezeichnet. Welcher Art diese Beihilfe ist, zeigt folgender Vermerk: „Das Manifest der Großfürstin Tatiana Nikolajewna vom 29. Mai 1897 verlas er in der Gemeindekirche in russischer Sprache. Im Jahre 1897 erhielt er eine Geldprämie von 100 Rubeln." Noch deutlicher ist der Fall eines Priesters R. von auffällig russophiler Gesinnung, der sogar mit einem orthodoxen Kollegen befreundet war. Er bezog dafür 1883 75 Rubel. 1892 150 Rubel, 1894 120 Rubel, 1896 75 Rubel. 1899 150 Rubel in bar, ferner 1900. 1905 und 1910 Orden und sonstige Auszeichnungen. Sollten es etwa solche Elemente im katholischen Klerus sein, die jetzt noch hier und da das russische Regime verstohlen zu propagieren versuchen? Streng kontrolliert werden ferner die unmittelbaren Stützpunkte der Geistlich¬ keit im Lande und jenseits der Grenze, also die Seminarien, kirchlichen Gesell¬ schaften und religiösen Orden. Zum Eintritt in ein Kloster oder in ein Priester-- Seminar ist Genehmigung vom Gouverneur nötig. Ausdrücklich pflegt bei dem Konduitenbericht über einen künftigen Seminarzögling bemerkt zu werden: „In das Ausland ist er niemals gereist." Die Mitglieder der verschiedenen katholischen Orden, Franziskaner und andere, erhalten vom Ausland nur in Ausnahmefällen für mehr als zwei Monate Pässe nach dem Weichselgebiet; die fraglichen Personen sind in der Regel Österreicher. Ordinierte Priester müssen anscheinend ein besonders begründetes Gesuch einreichen, wenn sie als Aus¬ länder nach Polen reisen wollen und erhalten ebenfalls nur Zweimonatspässe. Bei der Bildung kirchlicher Gesellschaften und Sekten wird streng darauf gesehen, daß sie sich der Propaganda enthalten und nur rituell-kirchliche Dinge betreiben; dies gilt auch für alle Zusammenkünfte von Geistlichen im Auslande. Aus¬ ländische Ordensbrüder werden ohne weiteres als Missionare aufgefaßt; bezeichnenderweise ist ein Aktenstück, daß sich mit dem Aufenthalt solcher Mönche in Polen beschäftigt, kurzweg „Missionare" betitelt. Aber das Recht auf Be¬ kehrung Andersgläubiger steht nur der rechtgläubigen Kirche zu, wie in einem Geheimzirkular des Generalgouverneurs von Warschau vom 9. April 1913 ausdrücklich betont wird: „Nur die herrschende rechtgläubige Kirche hat das

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/147
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/147>, abgerufen am 23.07.2024.