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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der katholische Priester unter russischer Herrschaft

Recht, im Reichsgebiet die Anhänger anderer christlicher Bekenntnisse und Nicht-
christen zur Annahme ihrer Lehre zu bekehren." Neue religiöse Vereine und
Gesellschaften außer den gesetzlich zugelassenen können nur auf Grund von Ver¬
ordnungen, also nicht schon durch freiwilligen Zusammenschluß entstehen. Vor¬
steher von Sektierergemeinden müssen im allgemeinen russische Staats¬
angehörige sein.

Die Kontrolle der russischen Regierung erstreckt sich, wie aus den letzten
Ausführungen hervorgeht, nicht nur auf die katholische Geistlichkeit, sondern sie
wacht auch darüber, daß der rechtgläubigen Kirche keine Anhänger entzogen
werden. Die Gouverneure des Weichselgebtets müssen jährlich genaue Statistiker
über die Bevölkerungsvorgänge nach einzelnen Konfessionen einliefern, insbesondere
über alle Fälle berichten, in denen Rechtgläubige von der Kirche "abgefallen"
sind. Bemerkenswert ist, daß in diesen Listen der Abtrünnigen besonders
anzuführen sind: Bauern, Fabrikarbeiter, Kleinhandwerker, Hausgesinde und
untere Etsenbahnbeamte. Es sind dies wohl diejenigen Bevölkerungsschichten,
auf deren Angehörige man wegen ihrer sozialen Abhängigkeit durch Pressionen
zu wirken hofft.

Man darf wohl behaupten, daß Tatsachen, wie wir sie hier auf Grund
aktenmäßigen, bis in die neueste Zeit reichenden Materials mitgeteilt haben, in
mehrfacher Beziehung äußerst lehrreich sind. Lehrreich für die Kenntnis des
Systems der russischen Regierung; lehrreich, um ihr wahres Gesicht gegenüber
dem Katholizismus und dem Polentum zu enthüllen; lehrreich für alle, denen
die schwere Aufgabe obliegt, den richtigen Weg zur Verständigung mit fremden
Stämmen und Konfessionen zu finden.




Der katholische Priester unter russischer Herrschaft

Recht, im Reichsgebiet die Anhänger anderer christlicher Bekenntnisse und Nicht-
christen zur Annahme ihrer Lehre zu bekehren." Neue religiöse Vereine und
Gesellschaften außer den gesetzlich zugelassenen können nur auf Grund von Ver¬
ordnungen, also nicht schon durch freiwilligen Zusammenschluß entstehen. Vor¬
steher von Sektierergemeinden müssen im allgemeinen russische Staats¬
angehörige sein.

Die Kontrolle der russischen Regierung erstreckt sich, wie aus den letzten
Ausführungen hervorgeht, nicht nur auf die katholische Geistlichkeit, sondern sie
wacht auch darüber, daß der rechtgläubigen Kirche keine Anhänger entzogen
werden. Die Gouverneure des Weichselgebtets müssen jährlich genaue Statistiker
über die Bevölkerungsvorgänge nach einzelnen Konfessionen einliefern, insbesondere
über alle Fälle berichten, in denen Rechtgläubige von der Kirche „abgefallen"
sind. Bemerkenswert ist, daß in diesen Listen der Abtrünnigen besonders
anzuführen sind: Bauern, Fabrikarbeiter, Kleinhandwerker, Hausgesinde und
untere Etsenbahnbeamte. Es sind dies wohl diejenigen Bevölkerungsschichten,
auf deren Angehörige man wegen ihrer sozialen Abhängigkeit durch Pressionen
zu wirken hofft.

Man darf wohl behaupten, daß Tatsachen, wie wir sie hier auf Grund
aktenmäßigen, bis in die neueste Zeit reichenden Materials mitgeteilt haben, in
mehrfacher Beziehung äußerst lehrreich sind. Lehrreich für die Kenntnis des
Systems der russischen Regierung; lehrreich, um ihr wahres Gesicht gegenüber
dem Katholizismus und dem Polentum zu enthüllen; lehrreich für alle, denen
die schwere Aufgabe obliegt, den richtigen Weg zur Verständigung mit fremden
Stämmen und Konfessionen zu finden.




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[0148] Der katholische Priester unter russischer Herrschaft Recht, im Reichsgebiet die Anhänger anderer christlicher Bekenntnisse und Nicht- christen zur Annahme ihrer Lehre zu bekehren." Neue religiöse Vereine und Gesellschaften außer den gesetzlich zugelassenen können nur auf Grund von Ver¬ ordnungen, also nicht schon durch freiwilligen Zusammenschluß entstehen. Vor¬ steher von Sektierergemeinden müssen im allgemeinen russische Staats¬ angehörige sein. Die Kontrolle der russischen Regierung erstreckt sich, wie aus den letzten Ausführungen hervorgeht, nicht nur auf die katholische Geistlichkeit, sondern sie wacht auch darüber, daß der rechtgläubigen Kirche keine Anhänger entzogen werden. Die Gouverneure des Weichselgebtets müssen jährlich genaue Statistiker über die Bevölkerungsvorgänge nach einzelnen Konfessionen einliefern, insbesondere über alle Fälle berichten, in denen Rechtgläubige von der Kirche „abgefallen" sind. Bemerkenswert ist, daß in diesen Listen der Abtrünnigen besonders anzuführen sind: Bauern, Fabrikarbeiter, Kleinhandwerker, Hausgesinde und untere Etsenbahnbeamte. Es sind dies wohl diejenigen Bevölkerungsschichten, auf deren Angehörige man wegen ihrer sozialen Abhängigkeit durch Pressionen zu wirken hofft. Man darf wohl behaupten, daß Tatsachen, wie wir sie hier auf Grund aktenmäßigen, bis in die neueste Zeit reichenden Materials mitgeteilt haben, in mehrfacher Beziehung äußerst lehrreich sind. Lehrreich für die Kenntnis des Systems der russischen Regierung; lehrreich, um ihr wahres Gesicht gegenüber dem Katholizismus und dem Polentum zu enthüllen; lehrreich für alle, denen die schwere Aufgabe obliegt, den richtigen Weg zur Verständigung mit fremden Stämmen und Konfessionen zu finden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/148>, abgerufen am 23.07.2024.