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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der katholische Priester unter russischer Herrschaft

"Im Jahre 1905 sang der Priester B. als erster mit seiner Gemeinde während
des Gottesdienstes in der Kirche das Lied ,kZc>2ö eos powks^), hielt bei
sich in der Wohnung verschiedene Versammlungen ab, auf denen er Reden
hielt, veranstaltete eine Geldsammlung zu unbekannten Zwecken, besuchte häufig
den Gemeindeschreiber von W., I. N., wobei nach den Berichten von Agenten
die Frage der Ausführung einer Demonstration nach dem Erlaß des Aller¬
höchsten Manifestes vom 17. Oktober 1905 erwogen wurde; außerdem ist der
Priester B. der unbefugten Aufbewahrung zweier Revolver überführt sowie
zweier Exemplare von Volksliedersammlungen, worunter sich auch Lieder auf¬
reizenden Charakters wie eos polskiz', ,^e3?exL polska nie 8^mela/**)
und andere befinden*""), hierfür wurde nach Verfügung des Departements
der geistlichen Angelegenheiten fremder Konfessionen vom 8. August 1909 der
Priester B. gemäß Benachrichtigung des römisch-katholischen Bischofs vom
6. September 1909 vom Amte der Verwaltung der Gemeinde K. entfernt."
1910 wurde dem Gemaßregelten dann gestattet, als Vikar wieder einzutreten,
erst 1912 wird er wieder mit feinem früheren Rang bekleidet.

Ausgeführt wird die Überwachung der Geistlichen von den niederen Polizei-
und Verwaltungsorganen. Ein charakteristisches Beispiel enthält ein Bericht
des Kreisvorstehers von A. im Gouvernement K. an den Gouverneur unter
dem 31. Mai 1914: "Ich bringe zur Kenntnis Ew. Exzellenz, daß in der
Gemeindekirche zu Se. Vincenz in P. am 25. Mai, dem Geburtstag Ihrer
Majestät der Kaiserin, Alexandra Fjodorowna, während des Gottesdienstes
kein Segen gesprochen wurde. Hierbei muß berichtet werden, daß der Verwalter
des genannten Kirchspiels, Priester G., überhaupt die Vorschriften des Gottes¬
dienstes, die das Kaiserhaus betreffen, nicht streng innehält."

Ungern sieht die Regierung alle kirchlichen, mit öffentlichem Schaugepränge
verbundenen Feiern, da es hierbei bisweilen zu nationalpolnischen Demonstrationen
kommt. So wendet sich der Generalgouvemeur von Warschau 1905 gegen die
sogenannten "Banderien", bäuerliche Kavalkaden, bisweilen von tausend und
mehr Reitern mit nationalen Abzeichen, die die in ihrer Eparchie herumreisenden
Bischöfe empfingen, und noch 1913 rügt der Gouverneur von K.. daß die
Polizeiorgane das Aufhängen "unerlaubter" Fahnen bei ähnlichen Gelegen¬
heiten nicht verhindert hätten. Erst in allerjüngster Zeit haben die Russen in
einem bis vor kurzem von ihnen besetzt gehaltenen Teil Polens sogar die
Fronleichnamsprozession untersagt.

Anstößig ist bei polnischen Geistlichen schon der Besitz polnisch-nationaler
Schriften. Demonstrative Äußerungen bei Grabreden oder anläßlich polnisch-





") "Gott, der du Polen" (se. beschützest), ein nationalpolnisches Lied.
"
*") "Noch ist Polen nicht verloren.
Man beachte: Nach vier Jahren setzt der eintragende Beamte -- der Handschrift
nach ein anderer als der Schreiber des ersten Teils -- hier ein Komma und fährt einfach
im Satz sorti
Der katholische Priester unter russischer Herrschaft

„Im Jahre 1905 sang der Priester B. als erster mit seiner Gemeinde während
des Gottesdienstes in der Kirche das Lied ,kZc>2ö eos powks^), hielt bei
sich in der Wohnung verschiedene Versammlungen ab, auf denen er Reden
hielt, veranstaltete eine Geldsammlung zu unbekannten Zwecken, besuchte häufig
den Gemeindeschreiber von W., I. N., wobei nach den Berichten von Agenten
die Frage der Ausführung einer Demonstration nach dem Erlaß des Aller¬
höchsten Manifestes vom 17. Oktober 1905 erwogen wurde; außerdem ist der
Priester B. der unbefugten Aufbewahrung zweier Revolver überführt sowie
zweier Exemplare von Volksliedersammlungen, worunter sich auch Lieder auf¬
reizenden Charakters wie eos polskiz', ,^e3?exL polska nie 8^mela/**)
und andere befinden*""), hierfür wurde nach Verfügung des Departements
der geistlichen Angelegenheiten fremder Konfessionen vom 8. August 1909 der
Priester B. gemäß Benachrichtigung des römisch-katholischen Bischofs vom
6. September 1909 vom Amte der Verwaltung der Gemeinde K. entfernt."
1910 wurde dem Gemaßregelten dann gestattet, als Vikar wieder einzutreten,
erst 1912 wird er wieder mit feinem früheren Rang bekleidet.

Ausgeführt wird die Überwachung der Geistlichen von den niederen Polizei-
und Verwaltungsorganen. Ein charakteristisches Beispiel enthält ein Bericht
des Kreisvorstehers von A. im Gouvernement K. an den Gouverneur unter
dem 31. Mai 1914: „Ich bringe zur Kenntnis Ew. Exzellenz, daß in der
Gemeindekirche zu Se. Vincenz in P. am 25. Mai, dem Geburtstag Ihrer
Majestät der Kaiserin, Alexandra Fjodorowna, während des Gottesdienstes
kein Segen gesprochen wurde. Hierbei muß berichtet werden, daß der Verwalter
des genannten Kirchspiels, Priester G., überhaupt die Vorschriften des Gottes¬
dienstes, die das Kaiserhaus betreffen, nicht streng innehält."

Ungern sieht die Regierung alle kirchlichen, mit öffentlichem Schaugepränge
verbundenen Feiern, da es hierbei bisweilen zu nationalpolnischen Demonstrationen
kommt. So wendet sich der Generalgouvemeur von Warschau 1905 gegen die
sogenannten „Banderien", bäuerliche Kavalkaden, bisweilen von tausend und
mehr Reitern mit nationalen Abzeichen, die die in ihrer Eparchie herumreisenden
Bischöfe empfingen, und noch 1913 rügt der Gouverneur von K.. daß die
Polizeiorgane das Aufhängen „unerlaubter" Fahnen bei ähnlichen Gelegen¬
heiten nicht verhindert hätten. Erst in allerjüngster Zeit haben die Russen in
einem bis vor kurzem von ihnen besetzt gehaltenen Teil Polens sogar die
Fronleichnamsprozession untersagt.

Anstößig ist bei polnischen Geistlichen schon der Besitz polnisch-nationaler
Schriften. Demonstrative Äußerungen bei Grabreden oder anläßlich polnisch-





") „Gott, der du Polen" (se. beschützest), ein nationalpolnisches Lied.
"
*") „Noch ist Polen nicht verloren.
Man beachte: Nach vier Jahren setzt der eintragende Beamte — der Handschrift
nach ein anderer als der Schreiber des ersten Teils — hier ein Komma und fährt einfach
im Satz sorti
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/146>, abgerufen am 23.07.2024.