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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Rückblick auf das Rriegsjahr

Noch bedenklicher und den englischen Charakter noch besser kennzeichnend
war es, daß England seinen Plan auf unsere blinde Ehrlichkeit aufbaute.
Es war überzeugt, wir würden Belgiens "Neutralität" achten, um dieses
Land herumziehen und damit zu spät oder überhaupt nicht nach Frankreich
gelangen. Es erwartete, daß wir die ersten Schläge einheimsen und daß
es damit auch Holland auf seine Seite bekommen würde. Es rechnete auf
unsere Niederlage und glaubte sich auf diese Weise sicher, daß die Wahr¬
heit über seine Intriguen- und Zuversichtspolitik nie zum Vorschein kommen
würde. Es wird nie abzuleugnen sein, daß Belgien durch England militärisch
und politisch soweit bearbeitet und in Sicherheit gewiegt worden war, daß
dieses Land uns mit geringschätzigen Lächeln vor die Notwendigkeit stellen
konnte, den "Fetzen" seines Neutralitätsvertrages zerreißen zu müssen. Wir
zeigten Belgien trotzdem Freundschaft, Geduld und die beste Absicht, mit uns
reden zu lassen. Nichts half, Belgien antwortete mit Deutschenpogroms, mit
wüster Verfolgung von Ausländern, die an seinem nationalen Reichtum mit¬
gearbeitet hatten. Es lieferte damit der erschreckten Welt den Beweis, daß
Menschenwürde und Menschenrechte nicht nur in Rußland mit Füßen getreten
werden dürfen. So gezwungen, gaben wir die Antwort darauf und legten
dem verbohrten Lande Lüttich, Löwen und Namur zerschmettert vor die Füße.
Wir gingen, was man auch immer sagen und durch falsche Zeugen erhärten
möge, über das allgemeine Kriegsrecht nicht hinaus, als wir Belgien besetzten
und die belgische Bevölkerung, wo sie sich unbotmäßig zeigte, nach Kriegsrecht
behandelten. Unser Bedauern, daß Kunstwerke darunter litten, wird verhöhnt,
wir gelten noch bis zur Stunde sür Verwüster und Barbaren. Für den Augen¬
blick und bis zum Ende des Krieges werden wir auch diesen Vorwurf, diese
grundlose Beleidigung und Verkennung neben vielen anderen geduldig zu
ertragen wissen. Unsere gute Verwaltung des besetzten Landes ist inzwischen
eine würdige Antwort auf berufsmäßiges Verleumder gewesen. Am 17. August
noch war von Belgien die ihm abermals hingestreckte Freundschaftsband zurück¬
gewiesen worden; die Geschichte kennt kaum ein zweites Beispiel einer derartigen
versöhnlichen Politik im Kriege. Unsere Heere zogen darauf im Sturmmarsch
auf Paris zu und bewiesen bei Maubeuge, Charleroi, Se. Ouentin usw., daß
uns selbst die kombinierten Heere des Dreiverbandes im offenen Felde nicht
gewachsen waren. Wir saßen am 10. Oktober bereits in Antwerpen und
drängten das belgisch-englische Heer bis in den äußersten nordwestlichen Zipfel
des Landes zurück, wo wir es seitdem im Schach halten. Unserseits war
alles darauf angelegt und getan worden, um den Krieg in sehr kurzer Zeit zu
beenden, nicht um uns schnell an Land und Geld zu bereichern, fondern um
der Welt so schnell als möglich die ihr zur Friedensarbeit notwendige Ruhe
zurückzugeben. War das Selbstsucht, so war sie doch auch fruchtbar für die
anderen, mehr vielleicht als für uns selbst. In der guten Hoffnung einen
baldigen Frieden für uns und die Welt zu erringen, mögen wir die strategische


7*
Rückblick auf das Rriegsjahr

Noch bedenklicher und den englischen Charakter noch besser kennzeichnend
war es, daß England seinen Plan auf unsere blinde Ehrlichkeit aufbaute.
Es war überzeugt, wir würden Belgiens „Neutralität" achten, um dieses
Land herumziehen und damit zu spät oder überhaupt nicht nach Frankreich
gelangen. Es erwartete, daß wir die ersten Schläge einheimsen und daß
es damit auch Holland auf seine Seite bekommen würde. Es rechnete auf
unsere Niederlage und glaubte sich auf diese Weise sicher, daß die Wahr¬
heit über seine Intriguen- und Zuversichtspolitik nie zum Vorschein kommen
würde. Es wird nie abzuleugnen sein, daß Belgien durch England militärisch
und politisch soweit bearbeitet und in Sicherheit gewiegt worden war, daß
dieses Land uns mit geringschätzigen Lächeln vor die Notwendigkeit stellen
konnte, den „Fetzen" seines Neutralitätsvertrages zerreißen zu müssen. Wir
zeigten Belgien trotzdem Freundschaft, Geduld und die beste Absicht, mit uns
reden zu lassen. Nichts half, Belgien antwortete mit Deutschenpogroms, mit
wüster Verfolgung von Ausländern, die an seinem nationalen Reichtum mit¬
gearbeitet hatten. Es lieferte damit der erschreckten Welt den Beweis, daß
Menschenwürde und Menschenrechte nicht nur in Rußland mit Füßen getreten
werden dürfen. So gezwungen, gaben wir die Antwort darauf und legten
dem verbohrten Lande Lüttich, Löwen und Namur zerschmettert vor die Füße.
Wir gingen, was man auch immer sagen und durch falsche Zeugen erhärten
möge, über das allgemeine Kriegsrecht nicht hinaus, als wir Belgien besetzten
und die belgische Bevölkerung, wo sie sich unbotmäßig zeigte, nach Kriegsrecht
behandelten. Unser Bedauern, daß Kunstwerke darunter litten, wird verhöhnt,
wir gelten noch bis zur Stunde sür Verwüster und Barbaren. Für den Augen¬
blick und bis zum Ende des Krieges werden wir auch diesen Vorwurf, diese
grundlose Beleidigung und Verkennung neben vielen anderen geduldig zu
ertragen wissen. Unsere gute Verwaltung des besetzten Landes ist inzwischen
eine würdige Antwort auf berufsmäßiges Verleumder gewesen. Am 17. August
noch war von Belgien die ihm abermals hingestreckte Freundschaftsband zurück¬
gewiesen worden; die Geschichte kennt kaum ein zweites Beispiel einer derartigen
versöhnlichen Politik im Kriege. Unsere Heere zogen darauf im Sturmmarsch
auf Paris zu und bewiesen bei Maubeuge, Charleroi, Se. Ouentin usw., daß
uns selbst die kombinierten Heere des Dreiverbandes im offenen Felde nicht
gewachsen waren. Wir saßen am 10. Oktober bereits in Antwerpen und
drängten das belgisch-englische Heer bis in den äußersten nordwestlichen Zipfel
des Landes zurück, wo wir es seitdem im Schach halten. Unserseits war
alles darauf angelegt und getan worden, um den Krieg in sehr kurzer Zeit zu
beenden, nicht um uns schnell an Land und Geld zu bereichern, fondern um
der Welt so schnell als möglich die ihr zur Friedensarbeit notwendige Ruhe
zurückzugeben. War das Selbstsucht, so war sie doch auch fruchtbar für die
anderen, mehr vielleicht als für uns selbst. In der guten Hoffnung einen
baldigen Frieden für uns und die Welt zu erringen, mögen wir die strategische


7*
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/111>, abgerufen am 23.07.2024.