Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Rückblick auf das Rriegsjahr

schaffen werden, zur Ehre des deutschen Vaterlandes, zur Ehre des alten
Gottes, der es noch immer mit ihm und uns gut gemeint hat. Bis aber das
Werk getan ist, Vorsicht und kluge Mäßigung in Worten, wie draußen auf
dem Schlachtfelde in Taten. So kommen wir am besten vorwärts.

Wir alle wissen und fühlen es noch, wie es anfing. Österreich stellte
wegen der Ermordung des Thronfolgers und seiner Gemahlin in Serajewo
sein Ultimatum, und das Deutsche Reich trat seinem altbewährten Freunde
bedingungslos zur Seite. Italien roch Gefahr und zog sich abwartend zurück.
Offene Männlichkeit und Bundestreue lag nie im Charakter dieses wetter¬
wendischen und die Früchte gern ohne eigene Gefahr erntenden Volkes. Es
wird erst später den verblendeten Völkern zur vollen Einsicht kommen, daß der
Krieg unserseits nicht gewollt war. Sie glauben trotz aller ihnen vorgeführten
Beweise, daß wir ihn von langer Hand vorbereitet haben. Sie wollen nicht
verstehen, daß es eine Staatsvernunft gibt. Die unsrige verlangt, daß Deutsch¬
land als der am stärksten eingekreiste Staat Europas, zu jeder Stunde schlag¬
fertig dastehen muß, denn nur darin liegt die Gewähr seiner Selbsterhaltung.
Schlagen können ist aber noch nicht schlagen wollen. Während es demnach
zu jeder Zeit bewiesen werden kann und wird, daß wir den Krieg nicht gewollt
haben, hat sich seit Jahresfrist immer mehr herausgestellt, daß er auf der
anderen, auf der englischen Seite in jenem, der englischen Politik willkommenen
Augenblick tatsächlich gewollt war. Mit der Geschicklichkeit einer Spinne, die
im dunklen Winkel ihr Netz schon lange gesponnen hatte, fing es sich diejenigen
Staaten, die von ihm genügend bearbeitet und in irgendeiner Form, durch
Geld, gute Worte und Versprechungen bezahlt, jedenfalls vertrauensselig genug
gemacht worden waren, um sich einfangen zu lassen. England mußte losschlagen:
einige weitere Jahre des Friedens, und es wäre um seine Weltherrschaft ohnehin
geschehen gewesen. Es mußte nicht nur vorgreifen, es konnte auch vorgreifen,
denn es besaß eine starke Flotte, während die unsrige noch im Ausbau steckte.
Unsere Erhaltungsnotwendigkeit war bis vor Jahr und Tag der Friede, denn
wir hatten auf militärischem, maritimen, politischem und wirtschaftlichem Gebiete
noch viel zu schaffen und noch mehr zu vollenden. Wir wollten in diesem
Friedenswerke, das uns zweifellos nach Jahren ohne Waffengewalt eine Welt¬
macht verschafft haben würde, wenn sich uns der Neid nicht in den Weg
gestellt hätte, nicht gestört sein. Englands Selbsterhaltungstrieb dagegen drängte
zum Kriege, denn es sah die Weltmacht unserer Zukunft sich immer deutlicher
abzeichnen. Als es sich seiner heutigen Verbündeten sicher wußte, als es fühlte,
daß sein Vorbereitungswerk der Verblendung und Irreführungen Erfolg gehabt
hatte, als es daher fest glauben durfte, daß Deutschland bei aller seiner
Tapferkeit und militärischen Organisation gegen eine erdrückende Menge Feinde
nichts ausrichten würde, kam ihm Österreichs Ultimatum gelegen, um sich, indem
es seine eigenen Interessen verteidigte, als Beschützer der antideutschen Welt
aufspielen zu können.


Rückblick auf das Rriegsjahr

schaffen werden, zur Ehre des deutschen Vaterlandes, zur Ehre des alten
Gottes, der es noch immer mit ihm und uns gut gemeint hat. Bis aber das
Werk getan ist, Vorsicht und kluge Mäßigung in Worten, wie draußen auf
dem Schlachtfelde in Taten. So kommen wir am besten vorwärts.

Wir alle wissen und fühlen es noch, wie es anfing. Österreich stellte
wegen der Ermordung des Thronfolgers und seiner Gemahlin in Serajewo
sein Ultimatum, und das Deutsche Reich trat seinem altbewährten Freunde
bedingungslos zur Seite. Italien roch Gefahr und zog sich abwartend zurück.
Offene Männlichkeit und Bundestreue lag nie im Charakter dieses wetter¬
wendischen und die Früchte gern ohne eigene Gefahr erntenden Volkes. Es
wird erst später den verblendeten Völkern zur vollen Einsicht kommen, daß der
Krieg unserseits nicht gewollt war. Sie glauben trotz aller ihnen vorgeführten
Beweise, daß wir ihn von langer Hand vorbereitet haben. Sie wollen nicht
verstehen, daß es eine Staatsvernunft gibt. Die unsrige verlangt, daß Deutsch¬
land als der am stärksten eingekreiste Staat Europas, zu jeder Stunde schlag¬
fertig dastehen muß, denn nur darin liegt die Gewähr seiner Selbsterhaltung.
Schlagen können ist aber noch nicht schlagen wollen. Während es demnach
zu jeder Zeit bewiesen werden kann und wird, daß wir den Krieg nicht gewollt
haben, hat sich seit Jahresfrist immer mehr herausgestellt, daß er auf der
anderen, auf der englischen Seite in jenem, der englischen Politik willkommenen
Augenblick tatsächlich gewollt war. Mit der Geschicklichkeit einer Spinne, die
im dunklen Winkel ihr Netz schon lange gesponnen hatte, fing es sich diejenigen
Staaten, die von ihm genügend bearbeitet und in irgendeiner Form, durch
Geld, gute Worte und Versprechungen bezahlt, jedenfalls vertrauensselig genug
gemacht worden waren, um sich einfangen zu lassen. England mußte losschlagen:
einige weitere Jahre des Friedens, und es wäre um seine Weltherrschaft ohnehin
geschehen gewesen. Es mußte nicht nur vorgreifen, es konnte auch vorgreifen,
denn es besaß eine starke Flotte, während die unsrige noch im Ausbau steckte.
Unsere Erhaltungsnotwendigkeit war bis vor Jahr und Tag der Friede, denn
wir hatten auf militärischem, maritimen, politischem und wirtschaftlichem Gebiete
noch viel zu schaffen und noch mehr zu vollenden. Wir wollten in diesem
Friedenswerke, das uns zweifellos nach Jahren ohne Waffengewalt eine Welt¬
macht verschafft haben würde, wenn sich uns der Neid nicht in den Weg
gestellt hätte, nicht gestört sein. Englands Selbsterhaltungstrieb dagegen drängte
zum Kriege, denn es sah die Weltmacht unserer Zukunft sich immer deutlicher
abzeichnen. Als es sich seiner heutigen Verbündeten sicher wußte, als es fühlte,
daß sein Vorbereitungswerk der Verblendung und Irreführungen Erfolg gehabt
hatte, als es daher fest glauben durfte, daß Deutschland bei aller seiner
Tapferkeit und militärischen Organisation gegen eine erdrückende Menge Feinde
nichts ausrichten würde, kam ihm Österreichs Ultimatum gelegen, um sich, indem
es seine eigenen Interessen verteidigte, als Beschützer der antideutschen Welt
aufspielen zu können.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324083"/>
          <fw type="header" place="top"> Rückblick auf das Rriegsjahr</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_294" prev="#ID_293"> schaffen werden, zur Ehre des deutschen Vaterlandes, zur Ehre des alten<lb/>
Gottes, der es noch immer mit ihm und uns gut gemeint hat. Bis aber das<lb/>
Werk getan ist, Vorsicht und kluge Mäßigung in Worten, wie draußen auf<lb/>
dem Schlachtfelde in Taten.  So kommen wir am besten vorwärts.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_295"> Wir alle wissen und fühlen es noch, wie es anfing. Österreich stellte<lb/>
wegen der Ermordung des Thronfolgers und seiner Gemahlin in Serajewo<lb/>
sein Ultimatum, und das Deutsche Reich trat seinem altbewährten Freunde<lb/>
bedingungslos zur Seite. Italien roch Gefahr und zog sich abwartend zurück.<lb/>
Offene Männlichkeit und Bundestreue lag nie im Charakter dieses wetter¬<lb/>
wendischen und die Früchte gern ohne eigene Gefahr erntenden Volkes. Es<lb/>
wird erst später den verblendeten Völkern zur vollen Einsicht kommen, daß der<lb/>
Krieg unserseits nicht gewollt war. Sie glauben trotz aller ihnen vorgeführten<lb/>
Beweise, daß wir ihn von langer Hand vorbereitet haben. Sie wollen nicht<lb/>
verstehen, daß es eine Staatsvernunft gibt. Die unsrige verlangt, daß Deutsch¬<lb/>
land als der am stärksten eingekreiste Staat Europas, zu jeder Stunde schlag¬<lb/>
fertig dastehen muß, denn nur darin liegt die Gewähr seiner Selbsterhaltung.<lb/>
Schlagen können ist aber noch nicht schlagen wollen. Während es demnach<lb/>
zu jeder Zeit bewiesen werden kann und wird, daß wir den Krieg nicht gewollt<lb/>
haben, hat sich seit Jahresfrist immer mehr herausgestellt, daß er auf der<lb/>
anderen, auf der englischen Seite in jenem, der englischen Politik willkommenen<lb/>
Augenblick tatsächlich gewollt war. Mit der Geschicklichkeit einer Spinne, die<lb/>
im dunklen Winkel ihr Netz schon lange gesponnen hatte, fing es sich diejenigen<lb/>
Staaten, die von ihm genügend bearbeitet und in irgendeiner Form, durch<lb/>
Geld, gute Worte und Versprechungen bezahlt, jedenfalls vertrauensselig genug<lb/>
gemacht worden waren, um sich einfangen zu lassen. England mußte losschlagen:<lb/>
einige weitere Jahre des Friedens, und es wäre um seine Weltherrschaft ohnehin<lb/>
geschehen gewesen. Es mußte nicht nur vorgreifen, es konnte auch vorgreifen,<lb/>
denn es besaß eine starke Flotte, während die unsrige noch im Ausbau steckte.<lb/>
Unsere Erhaltungsnotwendigkeit war bis vor Jahr und Tag der Friede, denn<lb/>
wir hatten auf militärischem, maritimen, politischem und wirtschaftlichem Gebiete<lb/>
noch viel zu schaffen und noch mehr zu vollenden. Wir wollten in diesem<lb/>
Friedenswerke, das uns zweifellos nach Jahren ohne Waffengewalt eine Welt¬<lb/>
macht verschafft haben würde, wenn sich uns der Neid nicht in den Weg<lb/>
gestellt hätte, nicht gestört sein. Englands Selbsterhaltungstrieb dagegen drängte<lb/>
zum Kriege, denn es sah die Weltmacht unserer Zukunft sich immer deutlicher<lb/>
abzeichnen. Als es sich seiner heutigen Verbündeten sicher wußte, als es fühlte,<lb/>
daß sein Vorbereitungswerk der Verblendung und Irreführungen Erfolg gehabt<lb/>
hatte, als es daher fest glauben durfte, daß Deutschland bei aller seiner<lb/>
Tapferkeit und militärischen Organisation gegen eine erdrückende Menge Feinde<lb/>
nichts ausrichten würde, kam ihm Österreichs Ultimatum gelegen, um sich, indem<lb/>
es seine eigenen Interessen verteidigte, als Beschützer der antideutschen Welt<lb/>
aufspielen zu können.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0110] Rückblick auf das Rriegsjahr schaffen werden, zur Ehre des deutschen Vaterlandes, zur Ehre des alten Gottes, der es noch immer mit ihm und uns gut gemeint hat. Bis aber das Werk getan ist, Vorsicht und kluge Mäßigung in Worten, wie draußen auf dem Schlachtfelde in Taten. So kommen wir am besten vorwärts. Wir alle wissen und fühlen es noch, wie es anfing. Österreich stellte wegen der Ermordung des Thronfolgers und seiner Gemahlin in Serajewo sein Ultimatum, und das Deutsche Reich trat seinem altbewährten Freunde bedingungslos zur Seite. Italien roch Gefahr und zog sich abwartend zurück. Offene Männlichkeit und Bundestreue lag nie im Charakter dieses wetter¬ wendischen und die Früchte gern ohne eigene Gefahr erntenden Volkes. Es wird erst später den verblendeten Völkern zur vollen Einsicht kommen, daß der Krieg unserseits nicht gewollt war. Sie glauben trotz aller ihnen vorgeführten Beweise, daß wir ihn von langer Hand vorbereitet haben. Sie wollen nicht verstehen, daß es eine Staatsvernunft gibt. Die unsrige verlangt, daß Deutsch¬ land als der am stärksten eingekreiste Staat Europas, zu jeder Stunde schlag¬ fertig dastehen muß, denn nur darin liegt die Gewähr seiner Selbsterhaltung. Schlagen können ist aber noch nicht schlagen wollen. Während es demnach zu jeder Zeit bewiesen werden kann und wird, daß wir den Krieg nicht gewollt haben, hat sich seit Jahresfrist immer mehr herausgestellt, daß er auf der anderen, auf der englischen Seite in jenem, der englischen Politik willkommenen Augenblick tatsächlich gewollt war. Mit der Geschicklichkeit einer Spinne, die im dunklen Winkel ihr Netz schon lange gesponnen hatte, fing es sich diejenigen Staaten, die von ihm genügend bearbeitet und in irgendeiner Form, durch Geld, gute Worte und Versprechungen bezahlt, jedenfalls vertrauensselig genug gemacht worden waren, um sich einfangen zu lassen. England mußte losschlagen: einige weitere Jahre des Friedens, und es wäre um seine Weltherrschaft ohnehin geschehen gewesen. Es mußte nicht nur vorgreifen, es konnte auch vorgreifen, denn es besaß eine starke Flotte, während die unsrige noch im Ausbau steckte. Unsere Erhaltungsnotwendigkeit war bis vor Jahr und Tag der Friede, denn wir hatten auf militärischem, maritimen, politischem und wirtschaftlichem Gebiete noch viel zu schaffen und noch mehr zu vollenden. Wir wollten in diesem Friedenswerke, das uns zweifellos nach Jahren ohne Waffengewalt eine Welt¬ macht verschafft haben würde, wenn sich uns der Neid nicht in den Weg gestellt hätte, nicht gestört sein. Englands Selbsterhaltungstrieb dagegen drängte zum Kriege, denn es sah die Weltmacht unserer Zukunft sich immer deutlicher abzeichnen. Als es sich seiner heutigen Verbündeten sicher wußte, als es fühlte, daß sein Vorbereitungswerk der Verblendung und Irreführungen Erfolg gehabt hatte, als es daher fest glauben durfte, daß Deutschland bei aller seiner Tapferkeit und militärischen Organisation gegen eine erdrückende Menge Feinde nichts ausrichten würde, kam ihm Österreichs Ultimatum gelegen, um sich, indem es seine eigenen Interessen verteidigte, als Beschützer der antideutschen Welt aufspielen zu können.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/110
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/110>, abgerufen am 22.07.2024.