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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Die russische Gesellschaft und der gegenwärtige Rrieg

beliebt ist. Der deutsche Adel der Ostseeprovinzen ist dem Russen stets verhaßt
oder lächerlich gewesen, soweit er nicht ganz im Russentum untergegangen ist,
dem deutschen Kaufmann wurden feine Erfolge auf Grund eines für Rußland
angeblich ungünstigen Handelsvertrages, dem deutschen Ansiedler das gute
Gedeihen seiner Wirtschaft beneidet. Es ist daher nicht wegzuleugnen, daß in
Rußland eine starke Gegnerschaft gegen alles, was deutsch war, schon lange
Zeit vorhanden war, es geht aber wohl zu weit, wenn man annehmen wollte,
daß der Russe wirklich das Empfinden hatte, der Deutsche sei sein Erbfeind,
der vernichtet werden müsse und daß dieser Krieg von seinem Beginnen an
im Volk als Befreiungskrieg gegen den Deutschen begrüßt worden ist. Das Gefühl
des Hasses ist erst im Laufe des Krieges unter dem Eindruck der Kriegsereignisse
und durch den Verleumdungsfeldzug der gewissenlosen Presse entstanden. In der
Tat hat sich doch der Deutsche seit den Tagen Alexanders des Dritten in
Rußland viel mehr in der Verteidigungsstellung als in der Angriffsstellung
befunden. Wir alle erinnern uns der rücksichtslosen und gewaltsamen Rusfifizierungs"
Politik dieses "echt russischen Mannes", dessen Charakter und Natur so gut in
dem bekannten Denkmal des Fürsten Trubetzkoi auf dem Snamenskiplatz in
Petersburg dargestellt sind. Sein Kampf gegen das baltische Deutschtum, gegen
den deutschen Grundbesitz in den Westprovinzen des Reiches war vorbildlich
auch für die Anschauungen des russischen Beamten, der überall, wo er es
konnte, die doch gewiß nicht übermäßigen Rechte beschnitt und anzweifelte, die
dem Deutschen auf Grund der Verträge in Rußland eingeräumt waren; die
Gesetzesvorlagen von Stolypin gegen die deutschen Kolonisten in Südrußland
waren nur der letzte Ausläufer der von Alexander begonnenen Politik. Die
Zeiten waren längst vorüber, wo in jede, vornehmen russischen Familie sich
ein deutscher Hauslehrer befand, auf jedem russischen Gut ein deutscher Verwalter.
Der deutsche Kaufmann trat schon lange in Rußland mit einer Zurückhaltung auf,
die ihm gleich an der Grenze gelehrt wurde, wo er mehr oder weniger der
Willkür der russischen Gendarmen und Zollbeamten ausgeliefert war.

Nein, ein gefährlicher Feind im Innern war der Deutsche nicht mehr, der
Russe hatte ihm gegenüber kaum ein Gefühl des Hasses, viel mehr ein Gefühl
des Neides und des Unbehagens. Man wäre froh gewesen, wenn man die
Deutschen losgewesen wäre, wenn sie sich damit begnügt hätten, wie Franzosen
und Engländer ihr Kapital nach Rußland zu geben und die Russen damit
schalten und walten zu lassen. Die Stimmung breiter Gesellschaftskreise gegen
den Deutschen bot aber wohl ein günstiges Feld für die Regierung, die hier
jederzeit, wenn es ihre politischen Interessen geboten, eine volkstümliche Unter¬
lage für eine Aktion gegen Deutschland finden konnte.
'

Wir kennen die Popularität, die das französische Bündnis seit Alexanders
des Dritten Zeiten in Rußland gehabt hat, wir haben es miterlebt, daß alle
Versuche der Berliner Diplomaten, ein günstiges Verhältnis zu Rußland zu
schaffen, in Rußland selbst ohne Widerhall blieben, die kühle sogar feindliche


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Die russische Gesellschaft und der gegenwärtige Rrieg

beliebt ist. Der deutsche Adel der Ostseeprovinzen ist dem Russen stets verhaßt
oder lächerlich gewesen, soweit er nicht ganz im Russentum untergegangen ist,
dem deutschen Kaufmann wurden feine Erfolge auf Grund eines für Rußland
angeblich ungünstigen Handelsvertrages, dem deutschen Ansiedler das gute
Gedeihen seiner Wirtschaft beneidet. Es ist daher nicht wegzuleugnen, daß in
Rußland eine starke Gegnerschaft gegen alles, was deutsch war, schon lange
Zeit vorhanden war, es geht aber wohl zu weit, wenn man annehmen wollte,
daß der Russe wirklich das Empfinden hatte, der Deutsche sei sein Erbfeind,
der vernichtet werden müsse und daß dieser Krieg von seinem Beginnen an
im Volk als Befreiungskrieg gegen den Deutschen begrüßt worden ist. Das Gefühl
des Hasses ist erst im Laufe des Krieges unter dem Eindruck der Kriegsereignisse
und durch den Verleumdungsfeldzug der gewissenlosen Presse entstanden. In der
Tat hat sich doch der Deutsche seit den Tagen Alexanders des Dritten in
Rußland viel mehr in der Verteidigungsstellung als in der Angriffsstellung
befunden. Wir alle erinnern uns der rücksichtslosen und gewaltsamen Rusfifizierungs»
Politik dieses „echt russischen Mannes", dessen Charakter und Natur so gut in
dem bekannten Denkmal des Fürsten Trubetzkoi auf dem Snamenskiplatz in
Petersburg dargestellt sind. Sein Kampf gegen das baltische Deutschtum, gegen
den deutschen Grundbesitz in den Westprovinzen des Reiches war vorbildlich
auch für die Anschauungen des russischen Beamten, der überall, wo er es
konnte, die doch gewiß nicht übermäßigen Rechte beschnitt und anzweifelte, die
dem Deutschen auf Grund der Verträge in Rußland eingeräumt waren; die
Gesetzesvorlagen von Stolypin gegen die deutschen Kolonisten in Südrußland
waren nur der letzte Ausläufer der von Alexander begonnenen Politik. Die
Zeiten waren längst vorüber, wo in jede, vornehmen russischen Familie sich
ein deutscher Hauslehrer befand, auf jedem russischen Gut ein deutscher Verwalter.
Der deutsche Kaufmann trat schon lange in Rußland mit einer Zurückhaltung auf,
die ihm gleich an der Grenze gelehrt wurde, wo er mehr oder weniger der
Willkür der russischen Gendarmen und Zollbeamten ausgeliefert war.

Nein, ein gefährlicher Feind im Innern war der Deutsche nicht mehr, der
Russe hatte ihm gegenüber kaum ein Gefühl des Hasses, viel mehr ein Gefühl
des Neides und des Unbehagens. Man wäre froh gewesen, wenn man die
Deutschen losgewesen wäre, wenn sie sich damit begnügt hätten, wie Franzosen
und Engländer ihr Kapital nach Rußland zu geben und die Russen damit
schalten und walten zu lassen. Die Stimmung breiter Gesellschaftskreise gegen
den Deutschen bot aber wohl ein günstiges Feld für die Regierung, die hier
jederzeit, wenn es ihre politischen Interessen geboten, eine volkstümliche Unter¬
lage für eine Aktion gegen Deutschland finden konnte.
'

Wir kennen die Popularität, die das französische Bündnis seit Alexanders
des Dritten Zeiten in Rußland gehabt hat, wir haben es miterlebt, daß alle
Versuche der Berliner Diplomaten, ein günstiges Verhältnis zu Rußland zu
schaffen, in Rußland selbst ohne Widerhall blieben, die kühle sogar feindliche


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[0399] Die russische Gesellschaft und der gegenwärtige Rrieg beliebt ist. Der deutsche Adel der Ostseeprovinzen ist dem Russen stets verhaßt oder lächerlich gewesen, soweit er nicht ganz im Russentum untergegangen ist, dem deutschen Kaufmann wurden feine Erfolge auf Grund eines für Rußland angeblich ungünstigen Handelsvertrages, dem deutschen Ansiedler das gute Gedeihen seiner Wirtschaft beneidet. Es ist daher nicht wegzuleugnen, daß in Rußland eine starke Gegnerschaft gegen alles, was deutsch war, schon lange Zeit vorhanden war, es geht aber wohl zu weit, wenn man annehmen wollte, daß der Russe wirklich das Empfinden hatte, der Deutsche sei sein Erbfeind, der vernichtet werden müsse und daß dieser Krieg von seinem Beginnen an im Volk als Befreiungskrieg gegen den Deutschen begrüßt worden ist. Das Gefühl des Hasses ist erst im Laufe des Krieges unter dem Eindruck der Kriegsereignisse und durch den Verleumdungsfeldzug der gewissenlosen Presse entstanden. In der Tat hat sich doch der Deutsche seit den Tagen Alexanders des Dritten in Rußland viel mehr in der Verteidigungsstellung als in der Angriffsstellung befunden. Wir alle erinnern uns der rücksichtslosen und gewaltsamen Rusfifizierungs» Politik dieses „echt russischen Mannes", dessen Charakter und Natur so gut in dem bekannten Denkmal des Fürsten Trubetzkoi auf dem Snamenskiplatz in Petersburg dargestellt sind. Sein Kampf gegen das baltische Deutschtum, gegen den deutschen Grundbesitz in den Westprovinzen des Reiches war vorbildlich auch für die Anschauungen des russischen Beamten, der überall, wo er es konnte, die doch gewiß nicht übermäßigen Rechte beschnitt und anzweifelte, die dem Deutschen auf Grund der Verträge in Rußland eingeräumt waren; die Gesetzesvorlagen von Stolypin gegen die deutschen Kolonisten in Südrußland waren nur der letzte Ausläufer der von Alexander begonnenen Politik. Die Zeiten waren längst vorüber, wo in jede, vornehmen russischen Familie sich ein deutscher Hauslehrer befand, auf jedem russischen Gut ein deutscher Verwalter. Der deutsche Kaufmann trat schon lange in Rußland mit einer Zurückhaltung auf, die ihm gleich an der Grenze gelehrt wurde, wo er mehr oder weniger der Willkür der russischen Gendarmen und Zollbeamten ausgeliefert war. Nein, ein gefährlicher Feind im Innern war der Deutsche nicht mehr, der Russe hatte ihm gegenüber kaum ein Gefühl des Hasses, viel mehr ein Gefühl des Neides und des Unbehagens. Man wäre froh gewesen, wenn man die Deutschen losgewesen wäre, wenn sie sich damit begnügt hätten, wie Franzosen und Engländer ihr Kapital nach Rußland zu geben und die Russen damit schalten und walten zu lassen. Die Stimmung breiter Gesellschaftskreise gegen den Deutschen bot aber wohl ein günstiges Feld für die Regierung, die hier jederzeit, wenn es ihre politischen Interessen geboten, eine volkstümliche Unter¬ lage für eine Aktion gegen Deutschland finden konnte. ' Wir kennen die Popularität, die das französische Bündnis seit Alexanders des Dritten Zeiten in Rußland gehabt hat, wir haben es miterlebt, daß alle Versuche der Berliner Diplomaten, ein günstiges Verhältnis zu Rußland zu schaffen, in Rußland selbst ohne Widerhall blieben, die kühle sogar feindliche 26"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/399>, abgerufen am 24.08.2024.