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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Charakterbild eines altrömischen Feldarztes

können, ersieht man daraus, daß weder die Chirurgie ohne die Diätetik noch
diese ohne die Chirurgie . . . fertig werden können, sondern daß die eine von
dieser, die andere von jener unterstützt und gleichsam vervollständigt wird."
Wem diese Anschauung in Fleisch und Blut übergegangen war, bei dem ist
der Zorn über solche Berufsgenossen, die infolge falscher Behandlung die
Kranken "gleichsam hinmorden", ebenso verständlich wie der teils bedauernde,
teils verächtliche Hinweis auf denjenigen Arzt, der nur danach trachtet, was
er "ohne Anstrengung erreichen und was ihm scheinbar ebensoviel Ansehen
und Nutzen gewähren kann", kurz die wahrhaft ideale Auffassung seiner
Berufspflichten. Gemildert werden die zuletzt zitierten Zeilen durch des Autors
eigene Hindeutung auf den Zeitgeist, infolge dessen "der Gute und der Schlechte
für gleichwertig gehalten werden" oder durch den sicherlich auf Erfahrung
beruhenden Einblick in den Leichtsinn, mit dem manche Patienten sich blind¬
lings in die Behandlung eines Arztes begeben, von dessen Geschicklichkeit und
Fähigkeiten sie nichts Näheres wissen, während doch "niemand sein Bild einem
Künstler zu malen anvertraut, der sich nicht zuvor durch einige Proben bewährt
hat". Es soll eben, wie dieser geschickt gewählte Vergleich andeuten will,
nur solch ein Arzt herangezogen werden, der schon einige glückliche Kuren
aufzuweisen und dadurch einen Namen gewonnen hat. Daß er damit nicht
einem blinden Autoritätenglauben das Banner tragen will, geht aus der
energischen Abwehr hervor, die er sich nicht scheut, gegen hochberühmte, aber
bisweilen anders urteilende Vorgänger verlauten zu lassen: "Ich lasse mich
nicht durch eine Persönlichkeit abschrecken, wenn ich sehe, daß die Sache so
offenbar von Nutzen ist".

So beachtenswert für alle Zeiten auch die im vorhergehenden Abschnitte
mitgeteilten Gedanken des bedeutenden Mannes sein mögen, diejenigen Äußerungen
stehen noch aus, die seinen Idealismus, die hohe Auffassung von den Pflichten feines
Berufes ins hellste Licht setzen. Zuvörderst verlangt er von jedem Arzte einen
"rechtschaffenen und unsträflichen Sinn", wohl gegenüber den Gesetzen und
dem Ärzteeide. Über die zumeist zu wünschenden Eigenschaften der Mediziner
hat er sich kurz zuvor dahin ausgesprochen, daß sie, "wenn ihnen nicht
ein Herz voller Mitleid und Menschenliebe . . . innewohnt, allen Göttern und
Menschen verhaßt sein müssen." Der göttlichen Strafe also wird von dem
frommen Römer, für den die "waltende Macht der Gottheit" eine greifbare
Wesenheit, kein blasser Schemen ist, für sein frevelhaftes Beginnen derjenige
Arzt anheimgegeben, der ohne Herz zu handeln pflegt. Was aber soll, so
fragt er, im Kriege geschehen, wenn einem ein Landesfeind in die Hände fällt?
Das patriotische Empfinden des "guten Soldaten und Bürgers" gebietet, ihn
zu verfolgen, die Obliegenheiten des Arztes dagegen verlangen eine ganz ent¬
gegengesetzte Handlungsweise: "Wer sich auf den ärztlichen Eid verpflichtet hat.
wird nicht einmal den Staatsfeinden eine schädliche Arznei reichen, weil die
Heilkunde die Menschen nicht nach ihren Verhältnissen noch nach ihrer


Charakterbild eines altrömischen Feldarztes

können, ersieht man daraus, daß weder die Chirurgie ohne die Diätetik noch
diese ohne die Chirurgie . . . fertig werden können, sondern daß die eine von
dieser, die andere von jener unterstützt und gleichsam vervollständigt wird."
Wem diese Anschauung in Fleisch und Blut übergegangen war, bei dem ist
der Zorn über solche Berufsgenossen, die infolge falscher Behandlung die
Kranken „gleichsam hinmorden", ebenso verständlich wie der teils bedauernde,
teils verächtliche Hinweis auf denjenigen Arzt, der nur danach trachtet, was
er „ohne Anstrengung erreichen und was ihm scheinbar ebensoviel Ansehen
und Nutzen gewähren kann", kurz die wahrhaft ideale Auffassung seiner
Berufspflichten. Gemildert werden die zuletzt zitierten Zeilen durch des Autors
eigene Hindeutung auf den Zeitgeist, infolge dessen „der Gute und der Schlechte
für gleichwertig gehalten werden" oder durch den sicherlich auf Erfahrung
beruhenden Einblick in den Leichtsinn, mit dem manche Patienten sich blind¬
lings in die Behandlung eines Arztes begeben, von dessen Geschicklichkeit und
Fähigkeiten sie nichts Näheres wissen, während doch „niemand sein Bild einem
Künstler zu malen anvertraut, der sich nicht zuvor durch einige Proben bewährt
hat". Es soll eben, wie dieser geschickt gewählte Vergleich andeuten will,
nur solch ein Arzt herangezogen werden, der schon einige glückliche Kuren
aufzuweisen und dadurch einen Namen gewonnen hat. Daß er damit nicht
einem blinden Autoritätenglauben das Banner tragen will, geht aus der
energischen Abwehr hervor, die er sich nicht scheut, gegen hochberühmte, aber
bisweilen anders urteilende Vorgänger verlauten zu lassen: „Ich lasse mich
nicht durch eine Persönlichkeit abschrecken, wenn ich sehe, daß die Sache so
offenbar von Nutzen ist".

So beachtenswert für alle Zeiten auch die im vorhergehenden Abschnitte
mitgeteilten Gedanken des bedeutenden Mannes sein mögen, diejenigen Äußerungen
stehen noch aus, die seinen Idealismus, die hohe Auffassung von den Pflichten feines
Berufes ins hellste Licht setzen. Zuvörderst verlangt er von jedem Arzte einen
„rechtschaffenen und unsträflichen Sinn", wohl gegenüber den Gesetzen und
dem Ärzteeide. Über die zumeist zu wünschenden Eigenschaften der Mediziner
hat er sich kurz zuvor dahin ausgesprochen, daß sie, „wenn ihnen nicht
ein Herz voller Mitleid und Menschenliebe . . . innewohnt, allen Göttern und
Menschen verhaßt sein müssen." Der göttlichen Strafe also wird von dem
frommen Römer, für den die „waltende Macht der Gottheit" eine greifbare
Wesenheit, kein blasser Schemen ist, für sein frevelhaftes Beginnen derjenige
Arzt anheimgegeben, der ohne Herz zu handeln pflegt. Was aber soll, so
fragt er, im Kriege geschehen, wenn einem ein Landesfeind in die Hände fällt?
Das patriotische Empfinden des „guten Soldaten und Bürgers" gebietet, ihn
zu verfolgen, die Obliegenheiten des Arztes dagegen verlangen eine ganz ent¬
gegengesetzte Handlungsweise: „Wer sich auf den ärztlichen Eid verpflichtet hat.
wird nicht einmal den Staatsfeinden eine schädliche Arznei reichen, weil die
Heilkunde die Menschen nicht nach ihren Verhältnissen noch nach ihrer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/395>, abgerufen am 22.07.2024.