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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Charakterbild eines altrömischen Feldarztes

konnte, daß er ihnen göttliche, also übermenschliche Wirkung zuerkennen mußte.
Jene Äußerung erklärt sich eher aus der dem Südländer eigentümlichen
Hinneigung zu übertreibender Redeweise, die sich ja in der lateinischen Sprache
in den vielen Superlativen kundtut, wo wir mit dem Positiv zufrieden sind;
ihre tiefere Wurzel aber hat sie meines Erachtens in dem hohen Selbstgefühl,
das er von seiner Fähigkeit, wirksame Heilmittel herzustellen, besaß. Er hat
nicht nur viele fremde durch besonderes Gewicht oder andersartige Mischung
zu eigenen gestaltet, er versichert sogar gegen Ende der Sammlung an besonders
auffallender Stelle, nämlich im letzten Kapitel, nachdrücklich, er habe "die meisten
dieser Rezepte selbst zusammengesetzt und kenne ihre Wirkung bei den angegebenen
Leiden".

Schon aus dieser tüchtigen Beherrschung der vom Altertum bis zum Aus-
gange des Mittelalters und noch darüber hinaus eine wesentliche Sonder¬
disziplin der Medizin bildenden Pharmakologie, ohne deren Kenntnis ein damaliger
Arzt, weil auf selbständige Bereitung der Arzneien angewiesen, hilflos gewesen
wäre, ergibt sich, wie ernst er es als junger Anfänger oder "Arztlehrling" mit ihrer
Aneignung genommen haben muß. Er hat sicher bei den namhaften Medizinern,
deren praktischer Unterweisung er sich anvertraut hatte, über die den pflanzlichen,
tierischen und mineralischen Bestandteilen der Arzneien innewohnenden Kräfte
Untersuchungen angestellt und schon früh an Patienten ihre weitere Wirkung
erforscht. Seiner Meinung nach liegt dies nur dem geschulten Fachmann
ob, nicht dem "ganz verfluchten Quacksalber", wie er sich an einem Orte
deutlich genug ausdrückt, ein Ausruf, der uns zugleich die Gewißheit gibt, daß
das Kurpfuschertum wenigstens in den Großstädten schon dazumal in Blüte stand.
Mit seiner Grundanschauung, daß der Arzt alles kennen und können müsse,
wessen er bei Ausübung der Praxis bedarf, hängt auch seine Warnung vor
der Hingabe an das Spezialistentum zusammen, wofür die folgenden Worte
charakteristisch sind: "Wir haben von Anfang an den rechten Weg eingeschlagen
und nichts für wichtiger gehalten, als das Begreifen der gesamten Wissenschaft,
soweit es dem Menschen ermöglicht ist, weil wir daraus alle Vorteile zu
erreichen glaubten". Um aber bei dem Ausdruck "Vorteile" keinen Mi߬
verständnissen ausgesetzt zu sein, fügt er gleich darauf hinzu: "wobei wir uns,
bei Gott, nicht durch Geldgier oder Ruhmsucht, als vielmehr durch das Wissen
von der Kunst selbst leiten ließen." Scribonius, der hier so energisch den Gedanken
<in diese unedlen Beweggründe ablehnt, von denen der zuerst genannte noch
heutigen Tages in dem mittelalterlichen Versanfange "etat Oalenus opes"
weiterlebt, ist ganz und gar von der Überzeugung durchdrungen, daß die Medizin
ein einziges, unteilbares Fach sei, eine Meinung, die schon damals trotz ihres
im Verhältnis zur Gegenwart beschränkten Umfanges keineswegs gang und
gäbe war. Er hat sie für einen besonderen Fall folgendermaßen formuliert:
"Daß die Teile der Medizin miteinander verflochten und so verbunden find,
daß sie auf keine Weise ohne Schaden für das ganze Fach getrennt werden


Charakterbild eines altrömischen Feldarztes

konnte, daß er ihnen göttliche, also übermenschliche Wirkung zuerkennen mußte.
Jene Äußerung erklärt sich eher aus der dem Südländer eigentümlichen
Hinneigung zu übertreibender Redeweise, die sich ja in der lateinischen Sprache
in den vielen Superlativen kundtut, wo wir mit dem Positiv zufrieden sind;
ihre tiefere Wurzel aber hat sie meines Erachtens in dem hohen Selbstgefühl,
das er von seiner Fähigkeit, wirksame Heilmittel herzustellen, besaß. Er hat
nicht nur viele fremde durch besonderes Gewicht oder andersartige Mischung
zu eigenen gestaltet, er versichert sogar gegen Ende der Sammlung an besonders
auffallender Stelle, nämlich im letzten Kapitel, nachdrücklich, er habe „die meisten
dieser Rezepte selbst zusammengesetzt und kenne ihre Wirkung bei den angegebenen
Leiden".

Schon aus dieser tüchtigen Beherrschung der vom Altertum bis zum Aus-
gange des Mittelalters und noch darüber hinaus eine wesentliche Sonder¬
disziplin der Medizin bildenden Pharmakologie, ohne deren Kenntnis ein damaliger
Arzt, weil auf selbständige Bereitung der Arzneien angewiesen, hilflos gewesen
wäre, ergibt sich, wie ernst er es als junger Anfänger oder „Arztlehrling" mit ihrer
Aneignung genommen haben muß. Er hat sicher bei den namhaften Medizinern,
deren praktischer Unterweisung er sich anvertraut hatte, über die den pflanzlichen,
tierischen und mineralischen Bestandteilen der Arzneien innewohnenden Kräfte
Untersuchungen angestellt und schon früh an Patienten ihre weitere Wirkung
erforscht. Seiner Meinung nach liegt dies nur dem geschulten Fachmann
ob, nicht dem „ganz verfluchten Quacksalber", wie er sich an einem Orte
deutlich genug ausdrückt, ein Ausruf, der uns zugleich die Gewißheit gibt, daß
das Kurpfuschertum wenigstens in den Großstädten schon dazumal in Blüte stand.
Mit seiner Grundanschauung, daß der Arzt alles kennen und können müsse,
wessen er bei Ausübung der Praxis bedarf, hängt auch seine Warnung vor
der Hingabe an das Spezialistentum zusammen, wofür die folgenden Worte
charakteristisch sind: „Wir haben von Anfang an den rechten Weg eingeschlagen
und nichts für wichtiger gehalten, als das Begreifen der gesamten Wissenschaft,
soweit es dem Menschen ermöglicht ist, weil wir daraus alle Vorteile zu
erreichen glaubten". Um aber bei dem Ausdruck „Vorteile" keinen Mi߬
verständnissen ausgesetzt zu sein, fügt er gleich darauf hinzu: „wobei wir uns,
bei Gott, nicht durch Geldgier oder Ruhmsucht, als vielmehr durch das Wissen
von der Kunst selbst leiten ließen." Scribonius, der hier so energisch den Gedanken
<in diese unedlen Beweggründe ablehnt, von denen der zuerst genannte noch
heutigen Tages in dem mittelalterlichen Versanfange „etat Oalenus opes"
weiterlebt, ist ganz und gar von der Überzeugung durchdrungen, daß die Medizin
ein einziges, unteilbares Fach sei, eine Meinung, die schon damals trotz ihres
im Verhältnis zur Gegenwart beschränkten Umfanges keineswegs gang und
gäbe war. Er hat sie für einen besonderen Fall folgendermaßen formuliert:
„Daß die Teile der Medizin miteinander verflochten und so verbunden find,
daß sie auf keine Weise ohne Schaden für das ganze Fach getrennt werden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/394>, abgerufen am 22.07.2024.