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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Italienische oder slawische Jrredenta?

endung der nationalen Einheit", die Bestand haben soll, nicht möglich ohne
schwere Verletzung der Rechte fremder Nationalitäten.

Über die ethnischen Verhältnisse in den österreichischen Grenzgebieten gibt
die offizielle Statistik Anhaltspunkte, da bei den Volkszählungen die "Umgangs¬
sprache" der einzelnen Familien angegeben werden muß. Eine völlig einwand¬
freie Statistik der Nationalitäten bekommen wir damit allerdings nicht in die
Hand, da in sprachlich stark gemischten Bezirken die "Umgangssprache" kein
Kriterium für die ethnische Zugehörigkeit bildet, und da überdies bei diesen
Feststellungen die Willkür des Zählers und des Gezahlten freien Spielraum hat.

Was insbesondere Welschtirol anlangt, so hält die offizielle Statistik
Italiener und Ladiner nicht auseinander, während tatsächlich diese Urbevölkerung
nach Abstammung und Sprache als ein völlig selbständiger Volksteil zu betrachten
ist; man berechnet ihre Kopfzahl auf über 90000. Anderseits werden die aus
dem Königreich zugezogenen Italiener, soweit sie nicht die österreichische Staats¬
angehörigkeit erwerben, nicht berücksichtigt.

Bei der Volkszählung vom 31. Dezember 1910 gaben 385700 Bewohner
Tirols Italienisch oder Ladinisch als ihre Umgangssprache an (gegen 368021
im Jahre 1900). Davon sitzen fast 370000 in kompakter Majorität in folgenden
Bezirkshauptmannschaften und Städten:

Deutsche Italiener
Riva......... 1 643 26296
Roveredo (Stadt)..... 811 9 509
" (Land)..... 294 55 357
Tione......... 264 35 955
Trient (Stadt)...... 2 819 24196
" (Land...... 1 187 66745
Borgo........^1 617 42989
Primiero........ 245 10663
Clef . ........ 1 857 45 798
Mezolombardo...... 301 20849
Cavalese........ 1 782 22 517
Ampezzo ........ 443 5 990
13 893 366 937

Gerade im Gebiet von Ampezzo, in dem Winkel zwischen Pustertal und
Etschtal, fehlt eine feste Sprachgrenze, die mit den geographischen Verhältnissen
in Einklang zu bringen wäre; hier vor allem schiebt sich die ladinische
Bevölkerung zwischen die deutsche und die italienische ein.

Weit verworrener aber liegen die ethnischen Verhältnisse im Küstengebiet
an der Adria. Insgesamt wurden in diesem Teile der habsburgisch-n Monarchie
1910 gezählt: 266614 Slowenen, 170773 Serbokroaten, und 356 495 Italiener.
Ihre Gliederung wird aus folgenden Tabellen ersichtlich:


Italienische oder slawische Jrredenta?

endung der nationalen Einheit", die Bestand haben soll, nicht möglich ohne
schwere Verletzung der Rechte fremder Nationalitäten.

Über die ethnischen Verhältnisse in den österreichischen Grenzgebieten gibt
die offizielle Statistik Anhaltspunkte, da bei den Volkszählungen die „Umgangs¬
sprache" der einzelnen Familien angegeben werden muß. Eine völlig einwand¬
freie Statistik der Nationalitäten bekommen wir damit allerdings nicht in die
Hand, da in sprachlich stark gemischten Bezirken die „Umgangssprache" kein
Kriterium für die ethnische Zugehörigkeit bildet, und da überdies bei diesen
Feststellungen die Willkür des Zählers und des Gezahlten freien Spielraum hat.

Was insbesondere Welschtirol anlangt, so hält die offizielle Statistik
Italiener und Ladiner nicht auseinander, während tatsächlich diese Urbevölkerung
nach Abstammung und Sprache als ein völlig selbständiger Volksteil zu betrachten
ist; man berechnet ihre Kopfzahl auf über 90000. Anderseits werden die aus
dem Königreich zugezogenen Italiener, soweit sie nicht die österreichische Staats¬
angehörigkeit erwerben, nicht berücksichtigt.

Bei der Volkszählung vom 31. Dezember 1910 gaben 385700 Bewohner
Tirols Italienisch oder Ladinisch als ihre Umgangssprache an (gegen 368021
im Jahre 1900). Davon sitzen fast 370000 in kompakter Majorität in folgenden
Bezirkshauptmannschaften und Städten:

Deutsche Italiener
Riva......... 1 643 26296
Roveredo (Stadt)..... 811 9 509
„ (Land)..... 294 55 357
Tione......... 264 35 955
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Cavalese........ 1 782 22 517
Ampezzo ........ 443 5 990
13 893 366 937

Gerade im Gebiet von Ampezzo, in dem Winkel zwischen Pustertal und
Etschtal, fehlt eine feste Sprachgrenze, die mit den geographischen Verhältnissen
in Einklang zu bringen wäre; hier vor allem schiebt sich die ladinische
Bevölkerung zwischen die deutsche und die italienische ein.

Weit verworrener aber liegen die ethnischen Verhältnisse im Küstengebiet
an der Adria. Insgesamt wurden in diesem Teile der habsburgisch-n Monarchie
1910 gezählt: 266614 Slowenen, 170773 Serbokroaten, und 356 495 Italiener.
Ihre Gliederung wird aus folgenden Tabellen ersichtlich:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/368>, abgerufen am 22.07.2024.