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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Schwedische Politik im Lichte der einheimischen Kritik

Die Tagespresse hat mit wenige" Ausnahmen den Artikel Molins in allen
Tonarten vom Bedauern bis zur zornigen Entrüstung verurteilt. Sogar die aus¬
gesprochen deutsch-fteundlichen "LvenLkaOaZb laciet" und "^ktonblaäet" bezeichnen
ihn als bedenklich und unvatriotisch, verschweigen aber den Inhalt. Der links¬
stehenden Presse ist er natürlich ein Anlaß zu wütenden Angriffen geworden.
Nur die hochkonservative "I^a DaZIi^t ^Ileiianäa" gibt ihn ungekürzt wieder
und scheint beizustimmen. Der Minister des Äußeren konnte natürlich die Be¬
schuldigung nicht auf sich sitzen lassen, sondern forderte den Verfasser auf, die
Vermittler des Konterbandehandels anzugeben, damit die Schuldigen bestraft
werden könnten, worauf Mölln erwiderte, er habe nicht von Konterbande
sondern von Kriegsbedarf gesprochen, der nicht trotz sondern vielmehr infolge
der gesetzlichen Bestimmungen über Schweden zwischen Rußland und England
transitiert worden sei. Kurz darauf wurde von der Regierung eine Ver¬
schärfung des Transitverbots erlassen. Aus Schweden darf nur in "geordnetem
Frachtoerkehr" eingetroffener Kriegsbedarf weiterbefördert werden. Unter "ge¬
ordnetem Frachtverkehr" ist zu verstehen, daß die Güter mit einem und dem¬
selben Frachtbrief von dem Absendungsort bis zum Bestimmungsort befördert
werden müssen. Eine Umladung in Schweden sür Transport nach Rußland
oder England ist aber nicht mehr möglich. Außer den drei skandinavischen
Staaten ist wohl Deutschland das einzige Land, das mit Schweden in einem
"geordneten Frachtverkehr" steht. Als Grund der neuen Bestimmung wurde
angegeben, es seien neuerdings große Mengen von Maschinen zum Ausheben
von Laufgräben und zum Anfertigen von Waffen aus England über Schweden
nach Rußland gesandt worden.

Die Nachgiebigkeit der Regierung gegenüber England, die ja tatsächlich
unerklärlich erscheinen muß. hat in Kaufmanns- und Reederkreisen tiefe Un¬
zufriedenheit erregt und die nationale Presse verlangt fast täglich in geharnischten
Artikeln effektive Maßnahmen. Aber bisher ist von dem Minister des Äußeren
nichts getan worden. Er protestiert nur. Waren im Werte vieler Millionen
find auf dem Wege von und nach Amerika von den Engländern beschlagnahmt
worden und liegen in englischen Häfen. Es handelt sich dabei durchaus nicht um
Kriegsbedarf, sondern um Lebensmittel und für Schweden selbst bestimmte Produkte,
die größtenteils dem Ausfuhrverbot unterliegen, also im Lande bleiben
würden. Die Forderungen der schwedischen Reeber an den englischen Staat
find bereits so enorm, daß man unter keinen Umständen diese schwebenden
Schulden zu vermehren wagt, ehe die Ersatzfrage geordnet ist. Überall in den
skandinavischen Hafenstädten betreibt England eine weitverzweigte Handels¬
spionage, die von den Gesandten geleitet wird. Die sogenannten Handels¬
attaches arbeiten eifrig mit unzähligen Unteragenten, verschaffen sich durch
Bestechung von Angestellten der Spediteure und Reeber genaue Angaben
über die Warenabsender und Empfänger und die Waren, die nach Deutschland
weitergesandt werden sollen. In Gotenburg ist die Spionage besonders arg


Schwedische Politik im Lichte der einheimischen Kritik

Die Tagespresse hat mit wenige» Ausnahmen den Artikel Molins in allen
Tonarten vom Bedauern bis zur zornigen Entrüstung verurteilt. Sogar die aus¬
gesprochen deutsch-fteundlichen „LvenLkaOaZb laciet" und „^ktonblaäet" bezeichnen
ihn als bedenklich und unvatriotisch, verschweigen aber den Inhalt. Der links¬
stehenden Presse ist er natürlich ein Anlaß zu wütenden Angriffen geworden.
Nur die hochkonservative „I^a DaZIi^t ^Ileiianäa" gibt ihn ungekürzt wieder
und scheint beizustimmen. Der Minister des Äußeren konnte natürlich die Be¬
schuldigung nicht auf sich sitzen lassen, sondern forderte den Verfasser auf, die
Vermittler des Konterbandehandels anzugeben, damit die Schuldigen bestraft
werden könnten, worauf Mölln erwiderte, er habe nicht von Konterbande
sondern von Kriegsbedarf gesprochen, der nicht trotz sondern vielmehr infolge
der gesetzlichen Bestimmungen über Schweden zwischen Rußland und England
transitiert worden sei. Kurz darauf wurde von der Regierung eine Ver¬
schärfung des Transitverbots erlassen. Aus Schweden darf nur in „geordnetem
Frachtoerkehr" eingetroffener Kriegsbedarf weiterbefördert werden. Unter „ge¬
ordnetem Frachtverkehr" ist zu verstehen, daß die Güter mit einem und dem¬
selben Frachtbrief von dem Absendungsort bis zum Bestimmungsort befördert
werden müssen. Eine Umladung in Schweden sür Transport nach Rußland
oder England ist aber nicht mehr möglich. Außer den drei skandinavischen
Staaten ist wohl Deutschland das einzige Land, das mit Schweden in einem
„geordneten Frachtverkehr" steht. Als Grund der neuen Bestimmung wurde
angegeben, es seien neuerdings große Mengen von Maschinen zum Ausheben
von Laufgräben und zum Anfertigen von Waffen aus England über Schweden
nach Rußland gesandt worden.

Die Nachgiebigkeit der Regierung gegenüber England, die ja tatsächlich
unerklärlich erscheinen muß. hat in Kaufmanns- und Reederkreisen tiefe Un¬
zufriedenheit erregt und die nationale Presse verlangt fast täglich in geharnischten
Artikeln effektive Maßnahmen. Aber bisher ist von dem Minister des Äußeren
nichts getan worden. Er protestiert nur. Waren im Werte vieler Millionen
find auf dem Wege von und nach Amerika von den Engländern beschlagnahmt
worden und liegen in englischen Häfen. Es handelt sich dabei durchaus nicht um
Kriegsbedarf, sondern um Lebensmittel und für Schweden selbst bestimmte Produkte,
die größtenteils dem Ausfuhrverbot unterliegen, also im Lande bleiben
würden. Die Forderungen der schwedischen Reeber an den englischen Staat
find bereits so enorm, daß man unter keinen Umständen diese schwebenden
Schulden zu vermehren wagt, ehe die Ersatzfrage geordnet ist. Überall in den
skandinavischen Hafenstädten betreibt England eine weitverzweigte Handels¬
spionage, die von den Gesandten geleitet wird. Die sogenannten Handels¬
attaches arbeiten eifrig mit unzähligen Unteragenten, verschaffen sich durch
Bestechung von Angestellten der Spediteure und Reeber genaue Angaben
über die Warenabsender und Empfänger und die Waren, die nach Deutschland
weitergesandt werden sollen. In Gotenburg ist die Spionage besonders arg


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[0358] Schwedische Politik im Lichte der einheimischen Kritik Die Tagespresse hat mit wenige» Ausnahmen den Artikel Molins in allen Tonarten vom Bedauern bis zur zornigen Entrüstung verurteilt. Sogar die aus¬ gesprochen deutsch-fteundlichen „LvenLkaOaZb laciet" und „^ktonblaäet" bezeichnen ihn als bedenklich und unvatriotisch, verschweigen aber den Inhalt. Der links¬ stehenden Presse ist er natürlich ein Anlaß zu wütenden Angriffen geworden. Nur die hochkonservative „I^a DaZIi^t ^Ileiianäa" gibt ihn ungekürzt wieder und scheint beizustimmen. Der Minister des Äußeren konnte natürlich die Be¬ schuldigung nicht auf sich sitzen lassen, sondern forderte den Verfasser auf, die Vermittler des Konterbandehandels anzugeben, damit die Schuldigen bestraft werden könnten, worauf Mölln erwiderte, er habe nicht von Konterbande sondern von Kriegsbedarf gesprochen, der nicht trotz sondern vielmehr infolge der gesetzlichen Bestimmungen über Schweden zwischen Rußland und England transitiert worden sei. Kurz darauf wurde von der Regierung eine Ver¬ schärfung des Transitverbots erlassen. Aus Schweden darf nur in „geordnetem Frachtoerkehr" eingetroffener Kriegsbedarf weiterbefördert werden. Unter „ge¬ ordnetem Frachtverkehr" ist zu verstehen, daß die Güter mit einem und dem¬ selben Frachtbrief von dem Absendungsort bis zum Bestimmungsort befördert werden müssen. Eine Umladung in Schweden sür Transport nach Rußland oder England ist aber nicht mehr möglich. Außer den drei skandinavischen Staaten ist wohl Deutschland das einzige Land, das mit Schweden in einem „geordneten Frachtverkehr" steht. Als Grund der neuen Bestimmung wurde angegeben, es seien neuerdings große Mengen von Maschinen zum Ausheben von Laufgräben und zum Anfertigen von Waffen aus England über Schweden nach Rußland gesandt worden. Die Nachgiebigkeit der Regierung gegenüber England, die ja tatsächlich unerklärlich erscheinen muß. hat in Kaufmanns- und Reederkreisen tiefe Un¬ zufriedenheit erregt und die nationale Presse verlangt fast täglich in geharnischten Artikeln effektive Maßnahmen. Aber bisher ist von dem Minister des Äußeren nichts getan worden. Er protestiert nur. Waren im Werte vieler Millionen find auf dem Wege von und nach Amerika von den Engländern beschlagnahmt worden und liegen in englischen Häfen. Es handelt sich dabei durchaus nicht um Kriegsbedarf, sondern um Lebensmittel und für Schweden selbst bestimmte Produkte, die größtenteils dem Ausfuhrverbot unterliegen, also im Lande bleiben würden. Die Forderungen der schwedischen Reeber an den englischen Staat find bereits so enorm, daß man unter keinen Umständen diese schwebenden Schulden zu vermehren wagt, ehe die Ersatzfrage geordnet ist. Überall in den skandinavischen Hafenstädten betreibt England eine weitverzweigte Handels¬ spionage, die von den Gesandten geleitet wird. Die sogenannten Handels¬ attaches arbeiten eifrig mit unzähligen Unteragenten, verschaffen sich durch Bestechung von Angestellten der Spediteure und Reeber genaue Angaben über die Warenabsender und Empfänger und die Waren, die nach Deutschland weitergesandt werden sollen. In Gotenburg ist die Spionage besonders arg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/358>, abgerufen am 24.08.2024.