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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Die völkerrechtliche Stellung des Papstes

Das italienische Garantiegesetz beruht weder auf einer Vereinbarung mit
anderen Staaten noch ist es vom Papste anerkannt, der insbesondere die An¬
nahme der ihm durch das Gesetz zugebilligten Jahresrente abgelehnt hat. Damit
fehlt aber dem Pasttum eine allgemein anerkannte völkerrechtliche Rechtsgrund¬
lage überhaupt. Vielmehr ergiebt sich ein dreifach verschiedener Rechtsstandpunkt,
der des italienischen Staates, der des Papstes und der der neutralen
Staaten.

Italien hat die Rechtsfolge der Eroberung des Kirchenstaates in vollem
Umfange gezogen. Der Kirchenstaat besteht nicht etwa fort, beschränkt auf das
bescheidene Staatsgebiet der apostolischen Paläste von Vatikan. Lateran und
Castel Gandolfo. Auch diese sind samt allen darin befindlichen Sammlungen
italienisches Staatsgebiet und italienisches Staatseigentum geworden, der Papst
hat nur den Nießbrauch. Ebensowenig wie päpstliches Staatsgebiet gibt
es noch päpstliche Untertanen, der Papst selbst ist italienischer Untertan geworden,
dessen Rechtsverhältnisse eben im Garantiegesetz durch die italienische Staats¬
gewalt einseitig geregelt werden. Der italienische Staat unterbindet sich in
gewissen Beziehungen nur die Ausübung seiner Staatsgewalt, indem er den
Papst mit den persönlichen Ehren eines Souveräns für unverletzlich, seine
Residenz für italienische Beamten unbetretbar, seinen Verkehr für frei und
unbehindert und die bei ihm beglaubigten Gesandten für unter dem Schutz des
Völkerrechtes stehend erklärt. Aber dieser Selbstbefchränkungen kann der
italienische Staat sich jederzeit durch einseitige Abänderung oder Aufhebung des
Garantiegesetzes wieder entledigen. Damit beantwortet sich insbesondere die
Doktorfrage, ob der Papst, wenn er das Garantiegesetz anerkennt, die Rente
von 1870 ab oder erst vom Zeitpunkte der Anerkennung nachfordern kann.
Italien, das völlig außerstande ist, die Rente für beinahe ein halbes Jahr¬
hundert nachzuzählen, würde diese Frage allein im Wege der authentischen
Interpretation des Garantiegesetzes beantworten.

Vom päpstlichen Standpunkte wird weder die völkerrechtliche Tatsache der
Eroberung des Kirchenstaates noch das Garantiegesetz anerkannt. Die Beseitigung
der weltlichen Herrschaft des Papstes ist einfach Kirchenraub und kann daher
niemals ein Recht der italienischen Staatsgewalt begründen. Die apostolischen
Paläste nebst Zubehör, in deren Besitze Italien das Papsttum nicht behindert,
sind Eigentum der Kirche. Der Papstkönig bleibt nach wie vor weltlicher
Herrscher und der erste und legitimste unter den Souveränen, kann aber infolge
der italienischen Vergewaltigung das Gebiet des Vatikans nicht verlassen, sondern
ist hinter seinen Mauern gefangen. Den freien völkerrechtlichen Verkehr mit
anderen Staaten beansprucht er nicht nach dem italienischen Garantiegesetze,
sondern kraft eigenen unverjährbaren Rechtes als Souverän. Die Kirche
duldet den dermaligen Zustand temporum rations Kabita. mit Rücksicht auf
die schlechten Zeiten, nachdem sie alle ihre Machtmittel bis zum großen Kirchen¬
bann, gegen die Kirchenräuber erschöpft hat, aber sie erkennt ihn nicht an.


21'
Die völkerrechtliche Stellung des Papstes

Das italienische Garantiegesetz beruht weder auf einer Vereinbarung mit
anderen Staaten noch ist es vom Papste anerkannt, der insbesondere die An¬
nahme der ihm durch das Gesetz zugebilligten Jahresrente abgelehnt hat. Damit
fehlt aber dem Pasttum eine allgemein anerkannte völkerrechtliche Rechtsgrund¬
lage überhaupt. Vielmehr ergiebt sich ein dreifach verschiedener Rechtsstandpunkt,
der des italienischen Staates, der des Papstes und der der neutralen
Staaten.

Italien hat die Rechtsfolge der Eroberung des Kirchenstaates in vollem
Umfange gezogen. Der Kirchenstaat besteht nicht etwa fort, beschränkt auf das
bescheidene Staatsgebiet der apostolischen Paläste von Vatikan. Lateran und
Castel Gandolfo. Auch diese sind samt allen darin befindlichen Sammlungen
italienisches Staatsgebiet und italienisches Staatseigentum geworden, der Papst
hat nur den Nießbrauch. Ebensowenig wie päpstliches Staatsgebiet gibt
es noch päpstliche Untertanen, der Papst selbst ist italienischer Untertan geworden,
dessen Rechtsverhältnisse eben im Garantiegesetz durch die italienische Staats¬
gewalt einseitig geregelt werden. Der italienische Staat unterbindet sich in
gewissen Beziehungen nur die Ausübung seiner Staatsgewalt, indem er den
Papst mit den persönlichen Ehren eines Souveräns für unverletzlich, seine
Residenz für italienische Beamten unbetretbar, seinen Verkehr für frei und
unbehindert und die bei ihm beglaubigten Gesandten für unter dem Schutz des
Völkerrechtes stehend erklärt. Aber dieser Selbstbefchränkungen kann der
italienische Staat sich jederzeit durch einseitige Abänderung oder Aufhebung des
Garantiegesetzes wieder entledigen. Damit beantwortet sich insbesondere die
Doktorfrage, ob der Papst, wenn er das Garantiegesetz anerkennt, die Rente
von 1870 ab oder erst vom Zeitpunkte der Anerkennung nachfordern kann.
Italien, das völlig außerstande ist, die Rente für beinahe ein halbes Jahr¬
hundert nachzuzählen, würde diese Frage allein im Wege der authentischen
Interpretation des Garantiegesetzes beantworten.

Vom päpstlichen Standpunkte wird weder die völkerrechtliche Tatsache der
Eroberung des Kirchenstaates noch das Garantiegesetz anerkannt. Die Beseitigung
der weltlichen Herrschaft des Papstes ist einfach Kirchenraub und kann daher
niemals ein Recht der italienischen Staatsgewalt begründen. Die apostolischen
Paläste nebst Zubehör, in deren Besitze Italien das Papsttum nicht behindert,
sind Eigentum der Kirche. Der Papstkönig bleibt nach wie vor weltlicher
Herrscher und der erste und legitimste unter den Souveränen, kann aber infolge
der italienischen Vergewaltigung das Gebiet des Vatikans nicht verlassen, sondern
ist hinter seinen Mauern gefangen. Den freien völkerrechtlichen Verkehr mit
anderen Staaten beansprucht er nicht nach dem italienischen Garantiegesetze,
sondern kraft eigenen unverjährbaren Rechtes als Souverän. Die Kirche
duldet den dermaligen Zustand temporum rations Kabita. mit Rücksicht auf
die schlechten Zeiten, nachdem sie alle ihre Machtmittel bis zum großen Kirchen¬
bann, gegen die Kirchenräuber erschöpft hat, aber sie erkennt ihn nicht an.


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[0335] Die völkerrechtliche Stellung des Papstes Das italienische Garantiegesetz beruht weder auf einer Vereinbarung mit anderen Staaten noch ist es vom Papste anerkannt, der insbesondere die An¬ nahme der ihm durch das Gesetz zugebilligten Jahresrente abgelehnt hat. Damit fehlt aber dem Pasttum eine allgemein anerkannte völkerrechtliche Rechtsgrund¬ lage überhaupt. Vielmehr ergiebt sich ein dreifach verschiedener Rechtsstandpunkt, der des italienischen Staates, der des Papstes und der der neutralen Staaten. Italien hat die Rechtsfolge der Eroberung des Kirchenstaates in vollem Umfange gezogen. Der Kirchenstaat besteht nicht etwa fort, beschränkt auf das bescheidene Staatsgebiet der apostolischen Paläste von Vatikan. Lateran und Castel Gandolfo. Auch diese sind samt allen darin befindlichen Sammlungen italienisches Staatsgebiet und italienisches Staatseigentum geworden, der Papst hat nur den Nießbrauch. Ebensowenig wie päpstliches Staatsgebiet gibt es noch päpstliche Untertanen, der Papst selbst ist italienischer Untertan geworden, dessen Rechtsverhältnisse eben im Garantiegesetz durch die italienische Staats¬ gewalt einseitig geregelt werden. Der italienische Staat unterbindet sich in gewissen Beziehungen nur die Ausübung seiner Staatsgewalt, indem er den Papst mit den persönlichen Ehren eines Souveräns für unverletzlich, seine Residenz für italienische Beamten unbetretbar, seinen Verkehr für frei und unbehindert und die bei ihm beglaubigten Gesandten für unter dem Schutz des Völkerrechtes stehend erklärt. Aber dieser Selbstbefchränkungen kann der italienische Staat sich jederzeit durch einseitige Abänderung oder Aufhebung des Garantiegesetzes wieder entledigen. Damit beantwortet sich insbesondere die Doktorfrage, ob der Papst, wenn er das Garantiegesetz anerkennt, die Rente von 1870 ab oder erst vom Zeitpunkte der Anerkennung nachfordern kann. Italien, das völlig außerstande ist, die Rente für beinahe ein halbes Jahr¬ hundert nachzuzählen, würde diese Frage allein im Wege der authentischen Interpretation des Garantiegesetzes beantworten. Vom päpstlichen Standpunkte wird weder die völkerrechtliche Tatsache der Eroberung des Kirchenstaates noch das Garantiegesetz anerkannt. Die Beseitigung der weltlichen Herrschaft des Papstes ist einfach Kirchenraub und kann daher niemals ein Recht der italienischen Staatsgewalt begründen. Die apostolischen Paläste nebst Zubehör, in deren Besitze Italien das Papsttum nicht behindert, sind Eigentum der Kirche. Der Papstkönig bleibt nach wie vor weltlicher Herrscher und der erste und legitimste unter den Souveränen, kann aber infolge der italienischen Vergewaltigung das Gebiet des Vatikans nicht verlassen, sondern ist hinter seinen Mauern gefangen. Den freien völkerrechtlichen Verkehr mit anderen Staaten beansprucht er nicht nach dem italienischen Garantiegesetze, sondern kraft eigenen unverjährbaren Rechtes als Souverän. Die Kirche duldet den dermaligen Zustand temporum rations Kabita. mit Rücksicht auf die schlechten Zeiten, nachdem sie alle ihre Machtmittel bis zum großen Kirchen¬ bann, gegen die Kirchenräuber erschöpft hat, aber sie erkennt ihn nicht an. 21'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/335>, abgerufen am 22.07.2024.