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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Die völkerrechtliche Stellung des Papstes

So seltsam die Haltung des starren Einspruchs gegen die Macht der
Tatsachen und der durch sie begründeten völkerrechtlichen und staatsrechtlichen
Ordnung der Dinge berühren mag, so ist sie doch nicht ohne rechtliche und
tatsächliche Grundlage. Rechtlich kann die katholische Kirche kraft der ihr von
ihrem göttlichen Stifter erteilten Sendung nicht auf die weltliche Grundlage
der freien Stellung des Papsttums verzichten. Sie würde damit, wenn auch
die Notwendigkeit der weltlichen Herrschaft des Papsttums nicht, wie zeitweise
beabsichtigt, dogmatisch festgelegt wurde, gegen göttliches Recht verstoßen. Die
Durchführung des Anspruches des Papsttums bleibt auf bessere Zeiten vorbehalten.
Und tatsächlich ist die durch das italienische Garantiegesetz gewährleistete Freiheit
des Papsttums ein höchst unsicherer Besitz, solange in Italien nicht das Gesetz,
sondern der Straßenpöbel die Verhältnisse beherrscht. Nicht einmal die Leiche Leos
des Dreizehnter hat man gewagt, seinem letztwilligen Wunsche entsprechend, aus
dem vatikanischen in das einige Kilometer davon entfernte lateranische
Gebiet zu überführen. Und die Vertreter Deutschlands und Österreichs
beim Papste sahen sich genötigt, beim Ausbruche des Krieges Italien zu
verlassen.

Die andern Staaten endlich haben sich der Tatsache nicht entziehen können"
daß der Kirchenstaat durch Eroberung untergegangen ist. Aber sie betrachten
den Papst nach wie vor. trotz des Fortfalls der territorialen Grundlage, alA
persönlichen Souverän mit königlichen Ehren, entsenden an ihn Botschafter und-
Gesandte und empfangen seine Abgesandten, denen sogar in katholischen Staaten
ein besonderer Vorrang zugebilligt wird; sie erkennen auch die Ordensverleihungen
des Souveräns ohne Land an. Damit ist die im Völkerrechte einzigartige
Erscheinung eines persönlichen Souveräns entstanden, wir haben es mit einer
völkerrechtlichen Persönlichkeit zu tun, hinter der kein Staat steht. Gegenstand
des völkerrechtlichen Verkehrs mit diesem Souverän können natürlich überhaupt
nicht mehr die Verhältnisse von Staat zu Staat, sondern nur die von Staat
und Kirche sein. Das Völkerrecht dient hier als rechtliche Verkehrsform für
Verhältnisse, die des völkerrechtlichen Inhaltes entbehren. Diese Auffassung der
neutralen Staatenwelt ist ebenso unabhängig von dem italienischen Garantie¬
gesetze wie von dem Standpunkte der katholischen Kirche, sie ist seit 1870
gewohnheitsrechtlich neu entwickeltes Völkerrecht.

Trotz der Verschiedenheit des Standpunktes haben sich doch alle Beteiligten
im Laufe der Jahrzehnte in einen gewissen Noäus vivenäl hineingefunden.
Der Papst ist ein unabhängiger Souverän, aber hinter den Mauern des Vatikans,
den er tatsächlich nicht verlassen darf. Das Konklave ist unbehindert, aber der
Kardinal, der zum Papste erwählt wird, bleibt im Vatikan gefangen. Der
Papst kann durch Gesandte und anderweitig frei mit der Welt verkehren, aber
nur im Vatikans. Besuche katholischer Staatsoberhäupter empfängt er nur,
wenn sie bei ihrem Besuche in Rom mit dem Ouirinal nicht in Beziehung
getreten find, und daher, da diese Bedingung nicht erfüllt werden kann, gar nichts


Die völkerrechtliche Stellung des Papstes

So seltsam die Haltung des starren Einspruchs gegen die Macht der
Tatsachen und der durch sie begründeten völkerrechtlichen und staatsrechtlichen
Ordnung der Dinge berühren mag, so ist sie doch nicht ohne rechtliche und
tatsächliche Grundlage. Rechtlich kann die katholische Kirche kraft der ihr von
ihrem göttlichen Stifter erteilten Sendung nicht auf die weltliche Grundlage
der freien Stellung des Papsttums verzichten. Sie würde damit, wenn auch
die Notwendigkeit der weltlichen Herrschaft des Papsttums nicht, wie zeitweise
beabsichtigt, dogmatisch festgelegt wurde, gegen göttliches Recht verstoßen. Die
Durchführung des Anspruches des Papsttums bleibt auf bessere Zeiten vorbehalten.
Und tatsächlich ist die durch das italienische Garantiegesetz gewährleistete Freiheit
des Papsttums ein höchst unsicherer Besitz, solange in Italien nicht das Gesetz,
sondern der Straßenpöbel die Verhältnisse beherrscht. Nicht einmal die Leiche Leos
des Dreizehnter hat man gewagt, seinem letztwilligen Wunsche entsprechend, aus
dem vatikanischen in das einige Kilometer davon entfernte lateranische
Gebiet zu überführen. Und die Vertreter Deutschlands und Österreichs
beim Papste sahen sich genötigt, beim Ausbruche des Krieges Italien zu
verlassen.

Die andern Staaten endlich haben sich der Tatsache nicht entziehen können»
daß der Kirchenstaat durch Eroberung untergegangen ist. Aber sie betrachten
den Papst nach wie vor. trotz des Fortfalls der territorialen Grundlage, alA
persönlichen Souverän mit königlichen Ehren, entsenden an ihn Botschafter und-
Gesandte und empfangen seine Abgesandten, denen sogar in katholischen Staaten
ein besonderer Vorrang zugebilligt wird; sie erkennen auch die Ordensverleihungen
des Souveräns ohne Land an. Damit ist die im Völkerrechte einzigartige
Erscheinung eines persönlichen Souveräns entstanden, wir haben es mit einer
völkerrechtlichen Persönlichkeit zu tun, hinter der kein Staat steht. Gegenstand
des völkerrechtlichen Verkehrs mit diesem Souverän können natürlich überhaupt
nicht mehr die Verhältnisse von Staat zu Staat, sondern nur die von Staat
und Kirche sein. Das Völkerrecht dient hier als rechtliche Verkehrsform für
Verhältnisse, die des völkerrechtlichen Inhaltes entbehren. Diese Auffassung der
neutralen Staatenwelt ist ebenso unabhängig von dem italienischen Garantie¬
gesetze wie von dem Standpunkte der katholischen Kirche, sie ist seit 1870
gewohnheitsrechtlich neu entwickeltes Völkerrecht.

Trotz der Verschiedenheit des Standpunktes haben sich doch alle Beteiligten
im Laufe der Jahrzehnte in einen gewissen Noäus vivenäl hineingefunden.
Der Papst ist ein unabhängiger Souverän, aber hinter den Mauern des Vatikans,
den er tatsächlich nicht verlassen darf. Das Konklave ist unbehindert, aber der
Kardinal, der zum Papste erwählt wird, bleibt im Vatikan gefangen. Der
Papst kann durch Gesandte und anderweitig frei mit der Welt verkehren, aber
nur im Vatikans. Besuche katholischer Staatsoberhäupter empfängt er nur,
wenn sie bei ihrem Besuche in Rom mit dem Ouirinal nicht in Beziehung
getreten find, und daher, da diese Bedingung nicht erfüllt werden kann, gar nichts


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[0336] Die völkerrechtliche Stellung des Papstes So seltsam die Haltung des starren Einspruchs gegen die Macht der Tatsachen und der durch sie begründeten völkerrechtlichen und staatsrechtlichen Ordnung der Dinge berühren mag, so ist sie doch nicht ohne rechtliche und tatsächliche Grundlage. Rechtlich kann die katholische Kirche kraft der ihr von ihrem göttlichen Stifter erteilten Sendung nicht auf die weltliche Grundlage der freien Stellung des Papsttums verzichten. Sie würde damit, wenn auch die Notwendigkeit der weltlichen Herrschaft des Papsttums nicht, wie zeitweise beabsichtigt, dogmatisch festgelegt wurde, gegen göttliches Recht verstoßen. Die Durchführung des Anspruches des Papsttums bleibt auf bessere Zeiten vorbehalten. Und tatsächlich ist die durch das italienische Garantiegesetz gewährleistete Freiheit des Papsttums ein höchst unsicherer Besitz, solange in Italien nicht das Gesetz, sondern der Straßenpöbel die Verhältnisse beherrscht. Nicht einmal die Leiche Leos des Dreizehnter hat man gewagt, seinem letztwilligen Wunsche entsprechend, aus dem vatikanischen in das einige Kilometer davon entfernte lateranische Gebiet zu überführen. Und die Vertreter Deutschlands und Österreichs beim Papste sahen sich genötigt, beim Ausbruche des Krieges Italien zu verlassen. Die andern Staaten endlich haben sich der Tatsache nicht entziehen können» daß der Kirchenstaat durch Eroberung untergegangen ist. Aber sie betrachten den Papst nach wie vor. trotz des Fortfalls der territorialen Grundlage, alA persönlichen Souverän mit königlichen Ehren, entsenden an ihn Botschafter und- Gesandte und empfangen seine Abgesandten, denen sogar in katholischen Staaten ein besonderer Vorrang zugebilligt wird; sie erkennen auch die Ordensverleihungen des Souveräns ohne Land an. Damit ist die im Völkerrechte einzigartige Erscheinung eines persönlichen Souveräns entstanden, wir haben es mit einer völkerrechtlichen Persönlichkeit zu tun, hinter der kein Staat steht. Gegenstand des völkerrechtlichen Verkehrs mit diesem Souverän können natürlich überhaupt nicht mehr die Verhältnisse von Staat zu Staat, sondern nur die von Staat und Kirche sein. Das Völkerrecht dient hier als rechtliche Verkehrsform für Verhältnisse, die des völkerrechtlichen Inhaltes entbehren. Diese Auffassung der neutralen Staatenwelt ist ebenso unabhängig von dem italienischen Garantie¬ gesetze wie von dem Standpunkte der katholischen Kirche, sie ist seit 1870 gewohnheitsrechtlich neu entwickeltes Völkerrecht. Trotz der Verschiedenheit des Standpunktes haben sich doch alle Beteiligten im Laufe der Jahrzehnte in einen gewissen Noäus vivenäl hineingefunden. Der Papst ist ein unabhängiger Souverän, aber hinter den Mauern des Vatikans, den er tatsächlich nicht verlassen darf. Das Konklave ist unbehindert, aber der Kardinal, der zum Papste erwählt wird, bleibt im Vatikan gefangen. Der Papst kann durch Gesandte und anderweitig frei mit der Welt verkehren, aber nur im Vatikans. Besuche katholischer Staatsoberhäupter empfängt er nur, wenn sie bei ihrem Besuche in Rom mit dem Ouirinal nicht in Beziehung getreten find, und daher, da diese Bedingung nicht erfüllt werden kann, gar nichts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/336>, abgerufen am 22.07.2024.