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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Die Zukunft der Jugendpflege

Das ist überhaupt der schlimmste Fehler der augenblicklichen Organisation,
daß sie auf dem Grundsatz der freiwilligen Beteiligung der Jugend aufgebaut
ist und daher niemals die gesamte Jugend erfaßt und erfassen kann. In weiten
Kreisen der Jugend besteht noch immer trotz der eifrigen Werbetätigkeit, die
nach dem Jugendpflegeerlaß von 1911 einsetzte, Gleichgültigkeit, in andern
Kreisen, namentlich in denen der selbständigen Jugendbewegung (Wandervogel
und verwandte Vereine) Mißtrauen gegen diese von Erwachsenen geleitete
Jugendpflege. Ja, selbst nach dem Erlaß vom September 1914 ist die Be¬
geisterung für die Jugendwehr sehr schnell wieder abgeflaut.

Die Gründe dafür sind zum Teil allgemein-psychologischer Art. Sie liegen
im Wesen der menschlichen Natur im allgemeinen und dem der Jugend im
besonderen. Es nützt daher nichts, über solche Erscheinungen zu klagen oder
zu schelten; man muß sie vielmehr zu verhindern suchen.

Eine allgemeine und dauernde Erfassung unserer Jugend durch eine Er¬
ziehung zur Wehrtüchtigkeit ist nur dann möglich, wenn die Beteiligung an
ihren Einrichtungen allgemein verbindlich ist. Und nur der Staat allein ist
imstande diese Allgemeinverbindlichkeit für die Veranstaltungen der körperlichen
Jugendpflege auszusprechen. Daher muß die körperliche Jugendpflege, insoweit
sie eine Erziehung zur Wehrtüchtigkeit sein soll, verstaatlicht werden.

Man hat bisher einer Verstaatlichung der Jugendpflege oder auch nur
irgendeines ihrer Zweige gerade in den Kreisen der freien Jugendpflege fast
allgemein durchaus ablehnend gegenübergestanden. Man fürchtete den Bureau¬
kratismus und Schematismus, der mit einer Verstaatlichung notwendigerweise
verbunden sein müßte, und betonte, daß gerade in der Jugendpflege Indivi¬
dualisierung in den Mitteln, je nach der sozialen Stellung, der Bildung, selbst
nach dem Charakter des Volksschlages vonnöten ist, dem die Kreise angehören,
die für die Jugendpflege gewonnen werden sollen. Man betrachtete mit Recht
die Vielgestaltigkeit der Jugendpflegeeinrichtungen, die begeisterte Freiwilligkeit
und Hingabe an ihre Aufgabe, die bei den Jugendpflegern, die freiwillige Mit¬
arbeit und Selbstbetätigung der sich beteiligenden Jugend als hohe Vorzüge,
die der bisherigen Art der Jugendpflege anhafteten. Der preußische Jugend¬
pflegeerlaß vom Jahre 1911 wußte diese Vorzüge richtig einzuschätzen, da er
die Wichtigkeit der opferwilligen Tätigkeit der leitenden Personen und der
Selbstbetätigung der Jugend am Ausbau und der Leitung der Einrichtungen
für den Erfolg der Jugendpflege betont. Er wollte daher die Jugendpflege
auch gar nicht verstaatlichen, sondern vielmehr, wie Dr. Friedrich Reimers im
Handbuch für Jugendpflege*) sich ausdrückt, als Träger der Jugendpflege die
Nation -- mit den besten geeignetsten Persönlichkeiten in völlig freiwilliger
Betätigung -- hinstellen, der Staat selber aber sollte der "treue, von tiefem



*) Herausgegeben von der Deutschen Zentralstelle für Jugendpflege. Langensalza>
Hera. Beyer u. Söhne. 1913.
Grenzboten II 19jk>20
Die Zukunft der Jugendpflege

Das ist überhaupt der schlimmste Fehler der augenblicklichen Organisation,
daß sie auf dem Grundsatz der freiwilligen Beteiligung der Jugend aufgebaut
ist und daher niemals die gesamte Jugend erfaßt und erfassen kann. In weiten
Kreisen der Jugend besteht noch immer trotz der eifrigen Werbetätigkeit, die
nach dem Jugendpflegeerlaß von 1911 einsetzte, Gleichgültigkeit, in andern
Kreisen, namentlich in denen der selbständigen Jugendbewegung (Wandervogel
und verwandte Vereine) Mißtrauen gegen diese von Erwachsenen geleitete
Jugendpflege. Ja, selbst nach dem Erlaß vom September 1914 ist die Be¬
geisterung für die Jugendwehr sehr schnell wieder abgeflaut.

Die Gründe dafür sind zum Teil allgemein-psychologischer Art. Sie liegen
im Wesen der menschlichen Natur im allgemeinen und dem der Jugend im
besonderen. Es nützt daher nichts, über solche Erscheinungen zu klagen oder
zu schelten; man muß sie vielmehr zu verhindern suchen.

Eine allgemeine und dauernde Erfassung unserer Jugend durch eine Er¬
ziehung zur Wehrtüchtigkeit ist nur dann möglich, wenn die Beteiligung an
ihren Einrichtungen allgemein verbindlich ist. Und nur der Staat allein ist
imstande diese Allgemeinverbindlichkeit für die Veranstaltungen der körperlichen
Jugendpflege auszusprechen. Daher muß die körperliche Jugendpflege, insoweit
sie eine Erziehung zur Wehrtüchtigkeit sein soll, verstaatlicht werden.

Man hat bisher einer Verstaatlichung der Jugendpflege oder auch nur
irgendeines ihrer Zweige gerade in den Kreisen der freien Jugendpflege fast
allgemein durchaus ablehnend gegenübergestanden. Man fürchtete den Bureau¬
kratismus und Schematismus, der mit einer Verstaatlichung notwendigerweise
verbunden sein müßte, und betonte, daß gerade in der Jugendpflege Indivi¬
dualisierung in den Mitteln, je nach der sozialen Stellung, der Bildung, selbst
nach dem Charakter des Volksschlages vonnöten ist, dem die Kreise angehören,
die für die Jugendpflege gewonnen werden sollen. Man betrachtete mit Recht
die Vielgestaltigkeit der Jugendpflegeeinrichtungen, die begeisterte Freiwilligkeit
und Hingabe an ihre Aufgabe, die bei den Jugendpflegern, die freiwillige Mit¬
arbeit und Selbstbetätigung der sich beteiligenden Jugend als hohe Vorzüge,
die der bisherigen Art der Jugendpflege anhafteten. Der preußische Jugend¬
pflegeerlaß vom Jahre 1911 wußte diese Vorzüge richtig einzuschätzen, da er
die Wichtigkeit der opferwilligen Tätigkeit der leitenden Personen und der
Selbstbetätigung der Jugend am Ausbau und der Leitung der Einrichtungen
für den Erfolg der Jugendpflege betont. Er wollte daher die Jugendpflege
auch gar nicht verstaatlichen, sondern vielmehr, wie Dr. Friedrich Reimers im
Handbuch für Jugendpflege*) sich ausdrückt, als Träger der Jugendpflege die
Nation — mit den besten geeignetsten Persönlichkeiten in völlig freiwilliger
Betätigung — hinstellen, der Staat selber aber sollte der „treue, von tiefem



*) Herausgegeben von der Deutschen Zentralstelle für Jugendpflege. Langensalza>
Hera. Beyer u. Söhne. 1913.
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[0317] Die Zukunft der Jugendpflege Das ist überhaupt der schlimmste Fehler der augenblicklichen Organisation, daß sie auf dem Grundsatz der freiwilligen Beteiligung der Jugend aufgebaut ist und daher niemals die gesamte Jugend erfaßt und erfassen kann. In weiten Kreisen der Jugend besteht noch immer trotz der eifrigen Werbetätigkeit, die nach dem Jugendpflegeerlaß von 1911 einsetzte, Gleichgültigkeit, in andern Kreisen, namentlich in denen der selbständigen Jugendbewegung (Wandervogel und verwandte Vereine) Mißtrauen gegen diese von Erwachsenen geleitete Jugendpflege. Ja, selbst nach dem Erlaß vom September 1914 ist die Be¬ geisterung für die Jugendwehr sehr schnell wieder abgeflaut. Die Gründe dafür sind zum Teil allgemein-psychologischer Art. Sie liegen im Wesen der menschlichen Natur im allgemeinen und dem der Jugend im besonderen. Es nützt daher nichts, über solche Erscheinungen zu klagen oder zu schelten; man muß sie vielmehr zu verhindern suchen. Eine allgemeine und dauernde Erfassung unserer Jugend durch eine Er¬ ziehung zur Wehrtüchtigkeit ist nur dann möglich, wenn die Beteiligung an ihren Einrichtungen allgemein verbindlich ist. Und nur der Staat allein ist imstande diese Allgemeinverbindlichkeit für die Veranstaltungen der körperlichen Jugendpflege auszusprechen. Daher muß die körperliche Jugendpflege, insoweit sie eine Erziehung zur Wehrtüchtigkeit sein soll, verstaatlicht werden. Man hat bisher einer Verstaatlichung der Jugendpflege oder auch nur irgendeines ihrer Zweige gerade in den Kreisen der freien Jugendpflege fast allgemein durchaus ablehnend gegenübergestanden. Man fürchtete den Bureau¬ kratismus und Schematismus, der mit einer Verstaatlichung notwendigerweise verbunden sein müßte, und betonte, daß gerade in der Jugendpflege Indivi¬ dualisierung in den Mitteln, je nach der sozialen Stellung, der Bildung, selbst nach dem Charakter des Volksschlages vonnöten ist, dem die Kreise angehören, die für die Jugendpflege gewonnen werden sollen. Man betrachtete mit Recht die Vielgestaltigkeit der Jugendpflegeeinrichtungen, die begeisterte Freiwilligkeit und Hingabe an ihre Aufgabe, die bei den Jugendpflegern, die freiwillige Mit¬ arbeit und Selbstbetätigung der sich beteiligenden Jugend als hohe Vorzüge, die der bisherigen Art der Jugendpflege anhafteten. Der preußische Jugend¬ pflegeerlaß vom Jahre 1911 wußte diese Vorzüge richtig einzuschätzen, da er die Wichtigkeit der opferwilligen Tätigkeit der leitenden Personen und der Selbstbetätigung der Jugend am Ausbau und der Leitung der Einrichtungen für den Erfolg der Jugendpflege betont. Er wollte daher die Jugendpflege auch gar nicht verstaatlichen, sondern vielmehr, wie Dr. Friedrich Reimers im Handbuch für Jugendpflege*) sich ausdrückt, als Träger der Jugendpflege die Nation — mit den besten geeignetsten Persönlichkeiten in völlig freiwilliger Betätigung — hinstellen, der Staat selber aber sollte der „treue, von tiefem *) Herausgegeben von der Deutschen Zentralstelle für Jugendpflege. Langensalza> Hera. Beyer u. Söhne. 1913. Grenzboten II 19jk>20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/317>, abgerufen am 22.07.2024.