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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Die Zukunft der Jugendpflege

tüchtigkeit im engeren Sinne treiben wollten, von vielen Seiten daraus einen
offenen Vorwurf gemacht.

Nach Ausbruch des Krieges hat sich in dieser Beziehung auf allen Seiten
ein Umschwung vollzogen. Die preußischen Ministerien des Krieges und des
Kultus taten einen energischen Schritt weiter zur Militarisierung der körper¬
lichen Jugendpflege. Sie organisierten durch eine Verfügung vom 4. September
1914 eine umfassende Werbetätigkeit, um die Jugend vom vollendeten sechzehnten
Lebensjahr an zum Eintritt in die allerorts ausgebauten oder neu gegründeten
Jugendwehrkompagnien zu veranlassen. Dort sollte die Jugend zunächst "während
der Dauer des Krieges" für den militärischen Hilfs- und Arbeitsdienst wie für
den ihnen bevorstehenden Dienst im Heer und in der Marine vorbereitet werden,
"soweit es ohne Ausbildung mit der Waffe möglich ist".

Dieses Vorgehen der Regierung ist überall gebilligt worden, sogar im
Lager der Sozialdemokratie. So erkennt beispielsweise Hermann Mattutat in
einem Aufsatze der sozialistischen Monatshefte*) diesen Ausbau der Jugend-
wehr als eine nationale Notwendigkeit an, begrüßt sogar in ihm die Aner¬
kennung einer alten Programmforderung der sozialistischen Partei, nämlich der
Erziehung zur allgemeinen Wehrhaftigkeit. Er verlangt, daß die Jugendwehr
politisch neutral gestaltet würde und tritt für die Beteiligung der sozial¬
demokratischen Jugendorganisationen an der Jugendwehr ein, um diesen Zweck
zu erreichen. Dabei erkennt er an, daß die Regierung ein redliches Bemühen
zeige, diese politische Neutralität in der Jugendwehr zu erhalten, indem sie die
sozialdemokratischen Organe zur Beteiligung aufgefordert und bei der Aufstellung
der Grundzüge ihnen Entgegenkommen gezeigt habe. Ein besonderes Lob wegen
des Fehlens "jedes nationalen Überschwangs" in diesen Grundzügen erhält
von ihm die württembergische Jugendwehr.

Man kann also, ohne zuviel zu sagen, behaupten, daß heute innerhalb
des deutschen Volkes Einmütigkeit darüber herrscht, daß die körperliche Er¬
ziehung der deutschen Jugend unbedingt eine Erziehung zur Wehrtüchtigkeit
sein oder werden müsse. Daher muß man erwarten und verlangen, daß die
Erziehung zur Wehrtüchtigkeit. wie sie jetzt zunächst während der Kriegszeit in
den Jugendwehren angestrebt wird, auch nach dem Kriege fortgesetzt werde.
Allerdings wird man dann nicht umhin können, diese ganze Erziehung
organisatorisch und zum Teil vielleicht auch inhaltlich auf neue Grundlagen zu
stellen. Denn ihre augenblickliche Organisation, gekennzeichnet als Ausbau der
schon vorhandenen Jugendwehren und anknüpfend an schon Bestehendes, war
zwar für den Augenblick das Gegebene, trägt aber doch nur den Charakter
eines Provisoriums. Sie erfüllt schon jetzt kaum mehr ihren Zweck. Überall
wird über das Abströmen und Fortbleiben der Jugend aus den Jugend¬
kompagnien geklagt.



*) Jugendwehr und Arbeiterbewegung. Sozialistische Monatshefte 1914, Ur. 20,.
Seite 1240 ff.
Die Zukunft der Jugendpflege

tüchtigkeit im engeren Sinne treiben wollten, von vielen Seiten daraus einen
offenen Vorwurf gemacht.

Nach Ausbruch des Krieges hat sich in dieser Beziehung auf allen Seiten
ein Umschwung vollzogen. Die preußischen Ministerien des Krieges und des
Kultus taten einen energischen Schritt weiter zur Militarisierung der körper¬
lichen Jugendpflege. Sie organisierten durch eine Verfügung vom 4. September
1914 eine umfassende Werbetätigkeit, um die Jugend vom vollendeten sechzehnten
Lebensjahr an zum Eintritt in die allerorts ausgebauten oder neu gegründeten
Jugendwehrkompagnien zu veranlassen. Dort sollte die Jugend zunächst „während
der Dauer des Krieges" für den militärischen Hilfs- und Arbeitsdienst wie für
den ihnen bevorstehenden Dienst im Heer und in der Marine vorbereitet werden,
„soweit es ohne Ausbildung mit der Waffe möglich ist".

Dieses Vorgehen der Regierung ist überall gebilligt worden, sogar im
Lager der Sozialdemokratie. So erkennt beispielsweise Hermann Mattutat in
einem Aufsatze der sozialistischen Monatshefte*) diesen Ausbau der Jugend-
wehr als eine nationale Notwendigkeit an, begrüßt sogar in ihm die Aner¬
kennung einer alten Programmforderung der sozialistischen Partei, nämlich der
Erziehung zur allgemeinen Wehrhaftigkeit. Er verlangt, daß die Jugendwehr
politisch neutral gestaltet würde und tritt für die Beteiligung der sozial¬
demokratischen Jugendorganisationen an der Jugendwehr ein, um diesen Zweck
zu erreichen. Dabei erkennt er an, daß die Regierung ein redliches Bemühen
zeige, diese politische Neutralität in der Jugendwehr zu erhalten, indem sie die
sozialdemokratischen Organe zur Beteiligung aufgefordert und bei der Aufstellung
der Grundzüge ihnen Entgegenkommen gezeigt habe. Ein besonderes Lob wegen
des Fehlens „jedes nationalen Überschwangs" in diesen Grundzügen erhält
von ihm die württembergische Jugendwehr.

Man kann also, ohne zuviel zu sagen, behaupten, daß heute innerhalb
des deutschen Volkes Einmütigkeit darüber herrscht, daß die körperliche Er¬
ziehung der deutschen Jugend unbedingt eine Erziehung zur Wehrtüchtigkeit
sein oder werden müsse. Daher muß man erwarten und verlangen, daß die
Erziehung zur Wehrtüchtigkeit. wie sie jetzt zunächst während der Kriegszeit in
den Jugendwehren angestrebt wird, auch nach dem Kriege fortgesetzt werde.
Allerdings wird man dann nicht umhin können, diese ganze Erziehung
organisatorisch und zum Teil vielleicht auch inhaltlich auf neue Grundlagen zu
stellen. Denn ihre augenblickliche Organisation, gekennzeichnet als Ausbau der
schon vorhandenen Jugendwehren und anknüpfend an schon Bestehendes, war
zwar für den Augenblick das Gegebene, trägt aber doch nur den Charakter
eines Provisoriums. Sie erfüllt schon jetzt kaum mehr ihren Zweck. Überall
wird über das Abströmen und Fortbleiben der Jugend aus den Jugend¬
kompagnien geklagt.



*) Jugendwehr und Arbeiterbewegung. Sozialistische Monatshefte 1914, Ur. 20,.
Seite 1240 ff.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/316>, abgerufen am 22.07.2024.