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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Der preis für Italiens Neutralität

zum Brennpunkte gewisser endgültiger Möglichkeiten. Diese Möglichkeiten
umfassen, wie schon oben erwähnt, den Erwerb von Trentino und der öster¬
reichisch-ungarischen Küste von Friaul bis Fiume und außerdem einige kroatische
und dalmatische Inseln. Die gewöhnlichen Gründe, die zur Stütze der italienischen
Ansprüche aus diese Gebiete vorgebracht werden, sind folgende: sie seien fast
ganz von Italienern bewohnt, die dem Königreich Italien angegliedert zu
werden wünschen; sie würden furchtbar unterdrückt und schlecht regiert, und
bis vor kurzem hätten sie der einen oder anderen der italienischen Provinzen
angehört; kurzum der Erwerb des neuen Italien sei nichts anderes als das
Wiedergutmachen eines großen Unrechts, die Wiedervereinigung Italiens mit
Völkern, die ihm gestohlen worden seien. Diese Gründe sind so beständig
angegeben worden, daß sie allgemein angenommen wurden, obgleich sie natürlich
weit davon entfernt sind, im einzelnen zutreffend zu sein.

Die irredentischen Ansprüche auf Trentino erstrecken sich von der italienischen
Grenze bis Franzensfeste, ein Gebiet von 96 Meilen. Dies Gebiet wird nur auf
einer Strecke von 35 Meilen von der Grenze von einer italienisch sprechenden
Bevölkerung bewohnt, und die übrigen 61 Meilen von deutsch sprechenden
Germanen. In der Stadt Trient, die im Süden liegt, sprechen von den
135 000 Einwohnern nur zwei Drittel italienisch und ein Drittel deutsch. Das
österreichische Kronland Görz und Gradiska liegt zwischen dem italienischen
Friaul und Trieft. Von den Einwohnern sind zwei Drittel italienisch sprechende
Italiener, die übrigen sind deutsch sprechende Slawen, während von den
235 000 Einwohnern von Trieft drei Viertel italienisch sprechen, die übrigen
deutsch. Von den 350000 Bewohnern Jstriens sind drei Viertel Slawen, die
übrigen Italiener, und von den Bewohnern Kroatiens und Dalmatiens, ein¬
schließlich der Inseln, sind nur drei Prozent Italiener.

Bei dem Vorwurf der Unterdrückung und schlechter Regierung ist großenteils
der Wunsch der Vater des Gedanken gewesen, denn die Gemeindeverwaltungen
Österreichs können sich sicher mit denen Italiens messen, und der industrielle
Wohlstand ist dort in normalen Zeiten sogar größer. Der Hauptkummer der
Italienisch - Österreicher ist das Fehlen einer italienischen Universität auf öster¬
reichischem Boden, und Österreich hat wenig oder nichts getan, dem zu begegnen.

Man nimmt allgemein an, daß alle österreichischen Provinzen, in denen
Italienisch die Sprache der Mehrzahl der Einwohner ist, früher und in neueren
Zeiten zu italienischen Staaten gehörten; das ist aber durchaus nicht der Fall.

Von Trentino gehörte nur die äußerste Südspitze bis zu einer Linie etwas
nördlich des Gardasees zur venetianischen Republik, bis diese verfiel. Das
übrige Trentino war zwar 774 Karls des Großen italienischem Königreich
einverleibt gewesen, aber schon im Jahre 1027 trat Kaiser Konrad der
Zweite alle weltlichen Rechte dieses Gebietes an den Bischof von Trient ab
und brachte es an Deutschland, dem es seitdem auch immer (beziehungsweise
Osterreich) angehört hat, ausgenommen während der Herrschaft Napoleons.


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Der preis für Italiens Neutralität

zum Brennpunkte gewisser endgültiger Möglichkeiten. Diese Möglichkeiten
umfassen, wie schon oben erwähnt, den Erwerb von Trentino und der öster¬
reichisch-ungarischen Küste von Friaul bis Fiume und außerdem einige kroatische
und dalmatische Inseln. Die gewöhnlichen Gründe, die zur Stütze der italienischen
Ansprüche aus diese Gebiete vorgebracht werden, sind folgende: sie seien fast
ganz von Italienern bewohnt, die dem Königreich Italien angegliedert zu
werden wünschen; sie würden furchtbar unterdrückt und schlecht regiert, und
bis vor kurzem hätten sie der einen oder anderen der italienischen Provinzen
angehört; kurzum der Erwerb des neuen Italien sei nichts anderes als das
Wiedergutmachen eines großen Unrechts, die Wiedervereinigung Italiens mit
Völkern, die ihm gestohlen worden seien. Diese Gründe sind so beständig
angegeben worden, daß sie allgemein angenommen wurden, obgleich sie natürlich
weit davon entfernt sind, im einzelnen zutreffend zu sein.

Die irredentischen Ansprüche auf Trentino erstrecken sich von der italienischen
Grenze bis Franzensfeste, ein Gebiet von 96 Meilen. Dies Gebiet wird nur auf
einer Strecke von 35 Meilen von der Grenze von einer italienisch sprechenden
Bevölkerung bewohnt, und die übrigen 61 Meilen von deutsch sprechenden
Germanen. In der Stadt Trient, die im Süden liegt, sprechen von den
135 000 Einwohnern nur zwei Drittel italienisch und ein Drittel deutsch. Das
österreichische Kronland Görz und Gradiska liegt zwischen dem italienischen
Friaul und Trieft. Von den Einwohnern sind zwei Drittel italienisch sprechende
Italiener, die übrigen sind deutsch sprechende Slawen, während von den
235 000 Einwohnern von Trieft drei Viertel italienisch sprechen, die übrigen
deutsch. Von den 350000 Bewohnern Jstriens sind drei Viertel Slawen, die
übrigen Italiener, und von den Bewohnern Kroatiens und Dalmatiens, ein¬
schließlich der Inseln, sind nur drei Prozent Italiener.

Bei dem Vorwurf der Unterdrückung und schlechter Regierung ist großenteils
der Wunsch der Vater des Gedanken gewesen, denn die Gemeindeverwaltungen
Österreichs können sich sicher mit denen Italiens messen, und der industrielle
Wohlstand ist dort in normalen Zeiten sogar größer. Der Hauptkummer der
Italienisch - Österreicher ist das Fehlen einer italienischen Universität auf öster¬
reichischem Boden, und Österreich hat wenig oder nichts getan, dem zu begegnen.

Man nimmt allgemein an, daß alle österreichischen Provinzen, in denen
Italienisch die Sprache der Mehrzahl der Einwohner ist, früher und in neueren
Zeiten zu italienischen Staaten gehörten; das ist aber durchaus nicht der Fall.

Von Trentino gehörte nur die äußerste Südspitze bis zu einer Linie etwas
nördlich des Gardasees zur venetianischen Republik, bis diese verfiel. Das
übrige Trentino war zwar 774 Karls des Großen italienischem Königreich
einverleibt gewesen, aber schon im Jahre 1027 trat Kaiser Konrad der
Zweite alle weltlichen Rechte dieses Gebietes an den Bischof von Trient ab
und brachte es an Deutschland, dem es seitdem auch immer (beziehungsweise
Osterreich) angehört hat, ausgenommen während der Herrschaft Napoleons.


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[0271] Der preis für Italiens Neutralität zum Brennpunkte gewisser endgültiger Möglichkeiten. Diese Möglichkeiten umfassen, wie schon oben erwähnt, den Erwerb von Trentino und der öster¬ reichisch-ungarischen Küste von Friaul bis Fiume und außerdem einige kroatische und dalmatische Inseln. Die gewöhnlichen Gründe, die zur Stütze der italienischen Ansprüche aus diese Gebiete vorgebracht werden, sind folgende: sie seien fast ganz von Italienern bewohnt, die dem Königreich Italien angegliedert zu werden wünschen; sie würden furchtbar unterdrückt und schlecht regiert, und bis vor kurzem hätten sie der einen oder anderen der italienischen Provinzen angehört; kurzum der Erwerb des neuen Italien sei nichts anderes als das Wiedergutmachen eines großen Unrechts, die Wiedervereinigung Italiens mit Völkern, die ihm gestohlen worden seien. Diese Gründe sind so beständig angegeben worden, daß sie allgemein angenommen wurden, obgleich sie natürlich weit davon entfernt sind, im einzelnen zutreffend zu sein. Die irredentischen Ansprüche auf Trentino erstrecken sich von der italienischen Grenze bis Franzensfeste, ein Gebiet von 96 Meilen. Dies Gebiet wird nur auf einer Strecke von 35 Meilen von der Grenze von einer italienisch sprechenden Bevölkerung bewohnt, und die übrigen 61 Meilen von deutsch sprechenden Germanen. In der Stadt Trient, die im Süden liegt, sprechen von den 135 000 Einwohnern nur zwei Drittel italienisch und ein Drittel deutsch. Das österreichische Kronland Görz und Gradiska liegt zwischen dem italienischen Friaul und Trieft. Von den Einwohnern sind zwei Drittel italienisch sprechende Italiener, die übrigen sind deutsch sprechende Slawen, während von den 235 000 Einwohnern von Trieft drei Viertel italienisch sprechen, die übrigen deutsch. Von den 350000 Bewohnern Jstriens sind drei Viertel Slawen, die übrigen Italiener, und von den Bewohnern Kroatiens und Dalmatiens, ein¬ schließlich der Inseln, sind nur drei Prozent Italiener. Bei dem Vorwurf der Unterdrückung und schlechter Regierung ist großenteils der Wunsch der Vater des Gedanken gewesen, denn die Gemeindeverwaltungen Österreichs können sich sicher mit denen Italiens messen, und der industrielle Wohlstand ist dort in normalen Zeiten sogar größer. Der Hauptkummer der Italienisch - Österreicher ist das Fehlen einer italienischen Universität auf öster¬ reichischem Boden, und Österreich hat wenig oder nichts getan, dem zu begegnen. Man nimmt allgemein an, daß alle österreichischen Provinzen, in denen Italienisch die Sprache der Mehrzahl der Einwohner ist, früher und in neueren Zeiten zu italienischen Staaten gehörten; das ist aber durchaus nicht der Fall. Von Trentino gehörte nur die äußerste Südspitze bis zu einer Linie etwas nördlich des Gardasees zur venetianischen Republik, bis diese verfiel. Das übrige Trentino war zwar 774 Karls des Großen italienischem Königreich einverleibt gewesen, aber schon im Jahre 1027 trat Kaiser Konrad der Zweite alle weltlichen Rechte dieses Gebietes an den Bischof von Trient ab und brachte es an Deutschland, dem es seitdem auch immer (beziehungsweise Osterreich) angehört hat, ausgenommen während der Herrschaft Napoleons. 17«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/271>, abgerufen am 22.07.2024.