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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Der Preis für Italiens Neutralität

Die Behauptung, daß Garibaldi es im Jahre 1866 eroberte, ist ganz unhaltbar.
Er hatte nur die Grenze überschritten, als er von Cavour den Befehl zum
Rückzug erhielt.

Görz und Gradiska gehörte während eines Teiles des elften Jahrhunderts
dem Patriarchen von Aquileja. Das Land wurde dann nacheinander von den
Eppenstein- und Lurngan-Familien >in Besitz gehalten, und seit 1500 hat es
mit Ausnahme der napoleonischen Zeit dem Hause Habsburg gehört.

Trieft gehörte seit dem Untergange des römischen Reiches bis zur Ein¬
nahme durch Venedig im Jahre 1203 den deutschen Graf-Bischöfen. Bis 1382
war es hin und wieder unter der Herrschaft Venedigs und kam dann endgültig
an Osterreich. Die nicht italienisch sprechende Provinz Jstrien gehörte zu
Venedig vom zwölften Jahrhundert bis zum Frieden von Campo Formio 1797,
durch den sie an Österreich fiel. Dalmatien, ebenfalls ein nicht-italienisches
Gebiet, ist ungefähr während derselben Zeit zum Teil unter venetianischer
Herrschaft gewesen. Von dem ganzen österreichischen Gebiet, das die Jrredentisten
verlangen, haben also nur Jstrien und die dalmatischen Inseln in verhältnis¬
mäßig neuerer Zeit einem italienischen Staate, dann aber hundertundachtzehn
Jahre lang Osterreich angehört, dazu sind die sogenannten "unerlösteu" Ein¬
wohner zur Hälfte Deutsche oder Slawen und sprechen gar nicht italienisch.

Wenn Trieft und Fiume zu Italien kommen, wird das adriatische Meer
ein italienischer See. Österreich und Ungarn werden weiter nichts als Binnen¬
staaten sein, und Deutschland wird zur See im Osten jeder Ausfuhrküste beraubt
werden. Es leuchtet ein, daß weder Deutschland noch Österreich in ein solches
Abkommen einwilligen können, solange sie überhaupt Heere im Felde haben.
Aber die Frage, die für Italien von größerer Bedeutung ist, lautet: werden
und können die Verbandsmächte (England und Frankreich) einwilligen? Vom
englischen und französischen Standpunkt ist es schon schlimm genug, wenn das
Schwarze Meer ein russischer Binnensee werden und Rußland als Mittelmeer¬
macht ein Viertel des Mittelmeeres beherrschen sollte. Es scheint kaum möglich,
daß sowohl England wie Frankreich erlauben werden, daß Italien die völlige
Beherrschung der Adria erlangt mit der möglichen Ausschließung der ganzen
übrigen Welt. Nachdem sie gezwungen worden find, die Anwartschaft von
einem Viertel des Mittelmeeres Rußland zu überlassen, werden sie sicher nicht,
wenn sie es auf irgend eine Weise vermeiden können, ein zweites Viertel an Italien
abtreten. Dem Schauspiel, das Italien das einzige österreichische Ausfuhrgebiet
zur See beherrscht, kann weder London noch Paris mit Gleichgültigkeit zu¬
schauen. Und doch nimmt die italienische Presse an, daß Italien, wenn es zu
den Ententemächten übertritt, Sulche nur die Beherrschung und den fast ganzen
Besitz der Adria erhält, sondern auch "seinen Anteil an der türkischen Beute"
bekommt; und zu alledem noch obendrein ganz Trentino.

Die Jrredentisten umfassen nicht nur die Nationalisten, die in fast allen
Parteien vorhanden und nur durch ihren Chauvinismus lose vereinigt sind.


Der Preis für Italiens Neutralität

Die Behauptung, daß Garibaldi es im Jahre 1866 eroberte, ist ganz unhaltbar.
Er hatte nur die Grenze überschritten, als er von Cavour den Befehl zum
Rückzug erhielt.

Görz und Gradiska gehörte während eines Teiles des elften Jahrhunderts
dem Patriarchen von Aquileja. Das Land wurde dann nacheinander von den
Eppenstein- und Lurngan-Familien >in Besitz gehalten, und seit 1500 hat es
mit Ausnahme der napoleonischen Zeit dem Hause Habsburg gehört.

Trieft gehörte seit dem Untergange des römischen Reiches bis zur Ein¬
nahme durch Venedig im Jahre 1203 den deutschen Graf-Bischöfen. Bis 1382
war es hin und wieder unter der Herrschaft Venedigs und kam dann endgültig
an Osterreich. Die nicht italienisch sprechende Provinz Jstrien gehörte zu
Venedig vom zwölften Jahrhundert bis zum Frieden von Campo Formio 1797,
durch den sie an Österreich fiel. Dalmatien, ebenfalls ein nicht-italienisches
Gebiet, ist ungefähr während derselben Zeit zum Teil unter venetianischer
Herrschaft gewesen. Von dem ganzen österreichischen Gebiet, das die Jrredentisten
verlangen, haben also nur Jstrien und die dalmatischen Inseln in verhältnis¬
mäßig neuerer Zeit einem italienischen Staate, dann aber hundertundachtzehn
Jahre lang Osterreich angehört, dazu sind die sogenannten „unerlösteu" Ein¬
wohner zur Hälfte Deutsche oder Slawen und sprechen gar nicht italienisch.

Wenn Trieft und Fiume zu Italien kommen, wird das adriatische Meer
ein italienischer See. Österreich und Ungarn werden weiter nichts als Binnen¬
staaten sein, und Deutschland wird zur See im Osten jeder Ausfuhrküste beraubt
werden. Es leuchtet ein, daß weder Deutschland noch Österreich in ein solches
Abkommen einwilligen können, solange sie überhaupt Heere im Felde haben.
Aber die Frage, die für Italien von größerer Bedeutung ist, lautet: werden
und können die Verbandsmächte (England und Frankreich) einwilligen? Vom
englischen und französischen Standpunkt ist es schon schlimm genug, wenn das
Schwarze Meer ein russischer Binnensee werden und Rußland als Mittelmeer¬
macht ein Viertel des Mittelmeeres beherrschen sollte. Es scheint kaum möglich,
daß sowohl England wie Frankreich erlauben werden, daß Italien die völlige
Beherrschung der Adria erlangt mit der möglichen Ausschließung der ganzen
übrigen Welt. Nachdem sie gezwungen worden find, die Anwartschaft von
einem Viertel des Mittelmeeres Rußland zu überlassen, werden sie sicher nicht,
wenn sie es auf irgend eine Weise vermeiden können, ein zweites Viertel an Italien
abtreten. Dem Schauspiel, das Italien das einzige österreichische Ausfuhrgebiet
zur See beherrscht, kann weder London noch Paris mit Gleichgültigkeit zu¬
schauen. Und doch nimmt die italienische Presse an, daß Italien, wenn es zu
den Ententemächten übertritt, Sulche nur die Beherrschung und den fast ganzen
Besitz der Adria erhält, sondern auch „seinen Anteil an der türkischen Beute"
bekommt; und zu alledem noch obendrein ganz Trentino.

Die Jrredentisten umfassen nicht nur die Nationalisten, die in fast allen
Parteien vorhanden und nur durch ihren Chauvinismus lose vereinigt sind.


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[0272] Der Preis für Italiens Neutralität Die Behauptung, daß Garibaldi es im Jahre 1866 eroberte, ist ganz unhaltbar. Er hatte nur die Grenze überschritten, als er von Cavour den Befehl zum Rückzug erhielt. Görz und Gradiska gehörte während eines Teiles des elften Jahrhunderts dem Patriarchen von Aquileja. Das Land wurde dann nacheinander von den Eppenstein- und Lurngan-Familien >in Besitz gehalten, und seit 1500 hat es mit Ausnahme der napoleonischen Zeit dem Hause Habsburg gehört. Trieft gehörte seit dem Untergange des römischen Reiches bis zur Ein¬ nahme durch Venedig im Jahre 1203 den deutschen Graf-Bischöfen. Bis 1382 war es hin und wieder unter der Herrschaft Venedigs und kam dann endgültig an Osterreich. Die nicht italienisch sprechende Provinz Jstrien gehörte zu Venedig vom zwölften Jahrhundert bis zum Frieden von Campo Formio 1797, durch den sie an Österreich fiel. Dalmatien, ebenfalls ein nicht-italienisches Gebiet, ist ungefähr während derselben Zeit zum Teil unter venetianischer Herrschaft gewesen. Von dem ganzen österreichischen Gebiet, das die Jrredentisten verlangen, haben also nur Jstrien und die dalmatischen Inseln in verhältnis¬ mäßig neuerer Zeit einem italienischen Staate, dann aber hundertundachtzehn Jahre lang Osterreich angehört, dazu sind die sogenannten „unerlösteu" Ein¬ wohner zur Hälfte Deutsche oder Slawen und sprechen gar nicht italienisch. Wenn Trieft und Fiume zu Italien kommen, wird das adriatische Meer ein italienischer See. Österreich und Ungarn werden weiter nichts als Binnen¬ staaten sein, und Deutschland wird zur See im Osten jeder Ausfuhrküste beraubt werden. Es leuchtet ein, daß weder Deutschland noch Österreich in ein solches Abkommen einwilligen können, solange sie überhaupt Heere im Felde haben. Aber die Frage, die für Italien von größerer Bedeutung ist, lautet: werden und können die Verbandsmächte (England und Frankreich) einwilligen? Vom englischen und französischen Standpunkt ist es schon schlimm genug, wenn das Schwarze Meer ein russischer Binnensee werden und Rußland als Mittelmeer¬ macht ein Viertel des Mittelmeeres beherrschen sollte. Es scheint kaum möglich, daß sowohl England wie Frankreich erlauben werden, daß Italien die völlige Beherrschung der Adria erlangt mit der möglichen Ausschließung der ganzen übrigen Welt. Nachdem sie gezwungen worden find, die Anwartschaft von einem Viertel des Mittelmeeres Rußland zu überlassen, werden sie sicher nicht, wenn sie es auf irgend eine Weise vermeiden können, ein zweites Viertel an Italien abtreten. Dem Schauspiel, das Italien das einzige österreichische Ausfuhrgebiet zur See beherrscht, kann weder London noch Paris mit Gleichgültigkeit zu¬ schauen. Und doch nimmt die italienische Presse an, daß Italien, wenn es zu den Ententemächten übertritt, Sulche nur die Beherrschung und den fast ganzen Besitz der Adria erhält, sondern auch „seinen Anteil an der türkischen Beute" bekommt; und zu alledem noch obendrein ganz Trentino. Die Jrredentisten umfassen nicht nur die Nationalisten, die in fast allen Parteien vorhanden und nur durch ihren Chauvinismus lose vereinigt sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/272>, abgerufen am 24.08.2024.