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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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vom unbekannten Geibel

als bloße und unpersönliche Abstraktion. Gegen die "Gedichte" gehalten, sind
die Anklänge an andere freilich vermieden, der Inhalt ist hier und da reifer
geworden, aber wer merkt es dem Bande, abgesehen von einigen Selbstbekennt¬
nissen (Donatuslieder. Ein Bild) an, daß er in das für den Dichter von be¬
ständiger Unruhe erfüllte Jahrzehnt zwischen dem griechischen Aufenthalt und
der Berufung nach München fällt? Gerade dieser Unpersönlichkeit aber lag
ein persönliches Streben zugrunde. "Es ist schön," schrieb er 1847, also
dem Erscheinungsjahr der "Juniuslieder", "ein Dichter zu sein, aber es ist schwer,
unendlich schwer. Denken Sie sich ein Gemüt voll vielseitiger Empfänglichkeit,
voll inniger rastloser Sehnsucht, voll verhaltenen Feuers, wie das Gemüt jedes
echten Poeten es sein muß. denken Sie sich das im wechselnden Verkehr mit
Tausenden, einsam hineingerissen in den Strudel blendender Geselligkeit, bewegt
und durchschüttelt von den Pulsschlägen der Zeit, bezaubert von dem Glänze,
abgestoßen von der Hohlheit neuer sich ihm ausschließender Lebenssphären, heute
in kühner Jugendlust aufjauchzend, morgen durch bittere Enttäuschung gekränkt,
und fühlen Sie dann mit mir, wie schwer es sein muß, in diesem hastig
stürmischen Leben, in all der blühenden Verworrenheit immer das rechte Gleich¬
gewicht zu bewahren, immer rein von Eitelkeit und Sinnlichkeit, frei von Selbst¬
betrug, Übermut und Verzagtheit zu bleiben." Deutlich spürt man unter
diesen vorsichtig andeutenden Worten, auf was es ankam. Geibel war eben
alles andere als ein bloßer Schöngeist, er war ausgesprochen cholerisch veranlagt,
ein temperamentvoller heißblütiger Mensch. Aber in seinem ganzen Leben, das
wir ziemlich genau kennen, ist kein Abenteuer. Niemals hätte er es fertig
gebracht, aus Leidenschaft einen Fehltritt zu begehen, nicht aus Temperament-
losigkeit, sondern weil er durch die Tradition des bürgerlich tüchtigen fromm-sittlichen
Elternhauses gebunden war. Doch oft genug mag er während der ruhelosen
Wanderjahre, in denen er bald hier, bald dort das verwöhnte, verführerisch
ungebundene Leben des überall hochgeehrten Gastes führte, der nur empfing
und nichts zu geben brauchte, als was Laune und Temperament mühelos ge¬
währten, um seinen sittlichen Halt, um seine gesunde Weiterentwicklung gebangt
haben. Er sehnte sich nach Ruhe, nach Bodenständigkeit, nach einer Lebensform.
Aber vorderhand blieben sie ihm, der sich in kein festes reales Verhältnis
finden konnte, Ideale: die traditionellen Ideale standen ihm über den wirklichen
Dingen. Dies eben ist es, was den Epigonen ausmacht. Er wagte nicht, sich
der Leidenschaft hinzugeben und dichtete sie daher zur "Minne", dem Begriff des
Mittelalters, um, wagte nicht, sich der Politik tätig in die Arme zu werfen
und wurde zum Sänger, der über den Parteien stand. Das ist der Dichter
der "Juniuslieder", der sich hinter der idealen Form versteckt, statt sie aus sich
zum eigenen Ausdruck neu zu gestalten. Aber, mag man es nun Zufall oder,
fatalistischer, Schicksal nennen, seinem Streben ward Erfüllung: er fand eine
feste Lebensstellung, gründete einen eigenen Hausstand, genoß soviel ruhiges
Glück, wie es nur selten einem Sterblichen zuteil geworden ist.


vom unbekannten Geibel

als bloße und unpersönliche Abstraktion. Gegen die „Gedichte" gehalten, sind
die Anklänge an andere freilich vermieden, der Inhalt ist hier und da reifer
geworden, aber wer merkt es dem Bande, abgesehen von einigen Selbstbekennt¬
nissen (Donatuslieder. Ein Bild) an, daß er in das für den Dichter von be¬
ständiger Unruhe erfüllte Jahrzehnt zwischen dem griechischen Aufenthalt und
der Berufung nach München fällt? Gerade dieser Unpersönlichkeit aber lag
ein persönliches Streben zugrunde. „Es ist schön," schrieb er 1847, also
dem Erscheinungsjahr der „Juniuslieder", „ein Dichter zu sein, aber es ist schwer,
unendlich schwer. Denken Sie sich ein Gemüt voll vielseitiger Empfänglichkeit,
voll inniger rastloser Sehnsucht, voll verhaltenen Feuers, wie das Gemüt jedes
echten Poeten es sein muß. denken Sie sich das im wechselnden Verkehr mit
Tausenden, einsam hineingerissen in den Strudel blendender Geselligkeit, bewegt
und durchschüttelt von den Pulsschlägen der Zeit, bezaubert von dem Glänze,
abgestoßen von der Hohlheit neuer sich ihm ausschließender Lebenssphären, heute
in kühner Jugendlust aufjauchzend, morgen durch bittere Enttäuschung gekränkt,
und fühlen Sie dann mit mir, wie schwer es sein muß, in diesem hastig
stürmischen Leben, in all der blühenden Verworrenheit immer das rechte Gleich¬
gewicht zu bewahren, immer rein von Eitelkeit und Sinnlichkeit, frei von Selbst¬
betrug, Übermut und Verzagtheit zu bleiben." Deutlich spürt man unter
diesen vorsichtig andeutenden Worten, auf was es ankam. Geibel war eben
alles andere als ein bloßer Schöngeist, er war ausgesprochen cholerisch veranlagt,
ein temperamentvoller heißblütiger Mensch. Aber in seinem ganzen Leben, das
wir ziemlich genau kennen, ist kein Abenteuer. Niemals hätte er es fertig
gebracht, aus Leidenschaft einen Fehltritt zu begehen, nicht aus Temperament-
losigkeit, sondern weil er durch die Tradition des bürgerlich tüchtigen fromm-sittlichen
Elternhauses gebunden war. Doch oft genug mag er während der ruhelosen
Wanderjahre, in denen er bald hier, bald dort das verwöhnte, verführerisch
ungebundene Leben des überall hochgeehrten Gastes führte, der nur empfing
und nichts zu geben brauchte, als was Laune und Temperament mühelos ge¬
währten, um seinen sittlichen Halt, um seine gesunde Weiterentwicklung gebangt
haben. Er sehnte sich nach Ruhe, nach Bodenständigkeit, nach einer Lebensform.
Aber vorderhand blieben sie ihm, der sich in kein festes reales Verhältnis
finden konnte, Ideale: die traditionellen Ideale standen ihm über den wirklichen
Dingen. Dies eben ist es, was den Epigonen ausmacht. Er wagte nicht, sich
der Leidenschaft hinzugeben und dichtete sie daher zur „Minne", dem Begriff des
Mittelalters, um, wagte nicht, sich der Politik tätig in die Arme zu werfen
und wurde zum Sänger, der über den Parteien stand. Das ist der Dichter
der „Juniuslieder", der sich hinter der idealen Form versteckt, statt sie aus sich
zum eigenen Ausdruck neu zu gestalten. Aber, mag man es nun Zufall oder,
fatalistischer, Schicksal nennen, seinem Streben ward Erfüllung: er fand eine
feste Lebensstellung, gründete einen eigenen Hausstand, genoß soviel ruhiges
Glück, wie es nur selten einem Sterblichen zuteil geworden ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/263>, abgerufen am 22.07.2024.