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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Vom unbekannten Geibel

jungen Deutschland, das die geruhsamen Waldesschatten und das realitätsent¬
rückte taugenichtsige Bummelleben der jüngeren Romantik aus Widerspruch gegen
eine weichlich entartete, geistig geknebelte Zeit gar zu ungestüm mit einer rasch-
aber oberflächlich erfaßten und daher schief und tendenziös gesehenen Wirklichkeit
vertauschte und dessen unabweisliche romantische Gefühlsrückstände sich in falsch
geschminkter Sentimentalität oder in Regierenden Weltschmerz Lust machten,
trennte Geibel eine Welt. Er gehörte noch zu jenen harmonisch ausge¬
glichenen Menschen einer für uns längst vergangenen, uns fast unverständlich
gewordenen Epoche, die sich nicht, sozusagen von Gegensatz zu Gegensatz springend,
sondern langsam in traditioneller Gebundenheit aber organisch wachsend entwickelten.
Bei aller Spielerei, die mit unterlief, waren die Elemente seiner Jugendbildung:
das Vaterhaus mit dem protestantischen, tüchtigen Bürgerleben, alte Philologie,
von der man damals auf der Schule noch einen lebendigen Begriff bekam,
und moderne Dichtung -- Schiller, Goethe, Shakespeare, Heine, die damals eben
noch nicht so sehr als Klassiker sondern mehr modern anmuteten, -- fest in
seiner Natur verankert. Und so wenig der Gegenwärtige sich über diese
Einflüsse klar wurde, so lebendig machten sie sich dem Abwesenden bemerkbar.
Nicht als Entdecker, noch minder als moderner Analytiker ging er nach Griechen¬
land, sondern als ein Verehrender, der das von frommgläubigen Altphilologen
in ihm Hineingelegte und dankbar Empfangene durch eigene Anschauung zur
höchsten Lebendigkeit zu steigern trachtete. Aber gewiß war es nun ein¬
Zeichen beginnender Reife, daß er auf griechischem Boden bei aller hoch¬
gehenden Begeisterung für die Antike doch nicht, wie etwa Platen, selbst zum
Griechen wurde, sondern die in der Heimat wurzelnde eigene Kraft erkannte.
Und so spiegelt denn fein erster Gedichtband weniger das in Griechenland
Erworbene (die "Distichen aus Griechenland" kamen erst in die zweite Auflage)
als den zum Ausdruck drängenden Stand festerworbenen organisch verarbeiteten
geistigen Besitzes. Fast alles in diesem Bande ist -- bei aller oft und mit
Recht betonten Unselbständigkeit -- fertig, abgeschlossen. Sein großer, übrigens
erst allmählich sich einstellender Erfolg und die Sprödigkeit der Kritik werden
zum größten Teil dadurch erklärt; denn wenn es dem vorwärts blickenden
Kritiker, der seiner Natur nach das Publikum auf Neues, Zuentdeckendes
hinzuweisen bestrebt ist, besonders bei einer Erstlingsarbeit lockt, Keime des
Neuen. Vielversprechenden zu finden und hervorzuheben, so zieht eben das Publikum,
der gleichermaßen Kenntnis wie Witterung voraussetzenden Arbeit kritischer
Spürkunst den bequemen Genuß auf bereits zugänglich gemachten und bekannten
Bahnen vor.

1847 wurden die "Juniuslieder" veröffentlicht. Sie gelten als Geibels
charakteristischer, vielfach auch als sein bester Band. In der Tat kommt er
hier dem, was man gemeinhin "schöne Form" nennt, am nächsten. Aber alles-
gemeinhin Genannte und daher oberflächlich Gekannte ist nichts als ein Schema
und so ist denn auch tatsächlich die Form der "Juniuslieder" häufig nichts mehr


Vom unbekannten Geibel

jungen Deutschland, das die geruhsamen Waldesschatten und das realitätsent¬
rückte taugenichtsige Bummelleben der jüngeren Romantik aus Widerspruch gegen
eine weichlich entartete, geistig geknebelte Zeit gar zu ungestüm mit einer rasch-
aber oberflächlich erfaßten und daher schief und tendenziös gesehenen Wirklichkeit
vertauschte und dessen unabweisliche romantische Gefühlsrückstände sich in falsch
geschminkter Sentimentalität oder in Regierenden Weltschmerz Lust machten,
trennte Geibel eine Welt. Er gehörte noch zu jenen harmonisch ausge¬
glichenen Menschen einer für uns längst vergangenen, uns fast unverständlich
gewordenen Epoche, die sich nicht, sozusagen von Gegensatz zu Gegensatz springend,
sondern langsam in traditioneller Gebundenheit aber organisch wachsend entwickelten.
Bei aller Spielerei, die mit unterlief, waren die Elemente seiner Jugendbildung:
das Vaterhaus mit dem protestantischen, tüchtigen Bürgerleben, alte Philologie,
von der man damals auf der Schule noch einen lebendigen Begriff bekam,
und moderne Dichtung — Schiller, Goethe, Shakespeare, Heine, die damals eben
noch nicht so sehr als Klassiker sondern mehr modern anmuteten, — fest in
seiner Natur verankert. Und so wenig der Gegenwärtige sich über diese
Einflüsse klar wurde, so lebendig machten sie sich dem Abwesenden bemerkbar.
Nicht als Entdecker, noch minder als moderner Analytiker ging er nach Griechen¬
land, sondern als ein Verehrender, der das von frommgläubigen Altphilologen
in ihm Hineingelegte und dankbar Empfangene durch eigene Anschauung zur
höchsten Lebendigkeit zu steigern trachtete. Aber gewiß war es nun ein¬
Zeichen beginnender Reife, daß er auf griechischem Boden bei aller hoch¬
gehenden Begeisterung für die Antike doch nicht, wie etwa Platen, selbst zum
Griechen wurde, sondern die in der Heimat wurzelnde eigene Kraft erkannte.
Und so spiegelt denn fein erster Gedichtband weniger das in Griechenland
Erworbene (die „Distichen aus Griechenland" kamen erst in die zweite Auflage)
als den zum Ausdruck drängenden Stand festerworbenen organisch verarbeiteten
geistigen Besitzes. Fast alles in diesem Bande ist — bei aller oft und mit
Recht betonten Unselbständigkeit — fertig, abgeschlossen. Sein großer, übrigens
erst allmählich sich einstellender Erfolg und die Sprödigkeit der Kritik werden
zum größten Teil dadurch erklärt; denn wenn es dem vorwärts blickenden
Kritiker, der seiner Natur nach das Publikum auf Neues, Zuentdeckendes
hinzuweisen bestrebt ist, besonders bei einer Erstlingsarbeit lockt, Keime des
Neuen. Vielversprechenden zu finden und hervorzuheben, so zieht eben das Publikum,
der gleichermaßen Kenntnis wie Witterung voraussetzenden Arbeit kritischer
Spürkunst den bequemen Genuß auf bereits zugänglich gemachten und bekannten
Bahnen vor.

1847 wurden die „Juniuslieder" veröffentlicht. Sie gelten als Geibels
charakteristischer, vielfach auch als sein bester Band. In der Tat kommt er
hier dem, was man gemeinhin „schöne Form" nennt, am nächsten. Aber alles-
gemeinhin Genannte und daher oberflächlich Gekannte ist nichts als ein Schema
und so ist denn auch tatsächlich die Form der „Juniuslieder" häufig nichts mehr


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[0262] Vom unbekannten Geibel jungen Deutschland, das die geruhsamen Waldesschatten und das realitätsent¬ rückte taugenichtsige Bummelleben der jüngeren Romantik aus Widerspruch gegen eine weichlich entartete, geistig geknebelte Zeit gar zu ungestüm mit einer rasch- aber oberflächlich erfaßten und daher schief und tendenziös gesehenen Wirklichkeit vertauschte und dessen unabweisliche romantische Gefühlsrückstände sich in falsch geschminkter Sentimentalität oder in Regierenden Weltschmerz Lust machten, trennte Geibel eine Welt. Er gehörte noch zu jenen harmonisch ausge¬ glichenen Menschen einer für uns längst vergangenen, uns fast unverständlich gewordenen Epoche, die sich nicht, sozusagen von Gegensatz zu Gegensatz springend, sondern langsam in traditioneller Gebundenheit aber organisch wachsend entwickelten. Bei aller Spielerei, die mit unterlief, waren die Elemente seiner Jugendbildung: das Vaterhaus mit dem protestantischen, tüchtigen Bürgerleben, alte Philologie, von der man damals auf der Schule noch einen lebendigen Begriff bekam, und moderne Dichtung — Schiller, Goethe, Shakespeare, Heine, die damals eben noch nicht so sehr als Klassiker sondern mehr modern anmuteten, — fest in seiner Natur verankert. Und so wenig der Gegenwärtige sich über diese Einflüsse klar wurde, so lebendig machten sie sich dem Abwesenden bemerkbar. Nicht als Entdecker, noch minder als moderner Analytiker ging er nach Griechen¬ land, sondern als ein Verehrender, der das von frommgläubigen Altphilologen in ihm Hineingelegte und dankbar Empfangene durch eigene Anschauung zur höchsten Lebendigkeit zu steigern trachtete. Aber gewiß war es nun ein¬ Zeichen beginnender Reife, daß er auf griechischem Boden bei aller hoch¬ gehenden Begeisterung für die Antike doch nicht, wie etwa Platen, selbst zum Griechen wurde, sondern die in der Heimat wurzelnde eigene Kraft erkannte. Und so spiegelt denn fein erster Gedichtband weniger das in Griechenland Erworbene (die „Distichen aus Griechenland" kamen erst in die zweite Auflage) als den zum Ausdruck drängenden Stand festerworbenen organisch verarbeiteten geistigen Besitzes. Fast alles in diesem Bande ist — bei aller oft und mit Recht betonten Unselbständigkeit — fertig, abgeschlossen. Sein großer, übrigens erst allmählich sich einstellender Erfolg und die Sprödigkeit der Kritik werden zum größten Teil dadurch erklärt; denn wenn es dem vorwärts blickenden Kritiker, der seiner Natur nach das Publikum auf Neues, Zuentdeckendes hinzuweisen bestrebt ist, besonders bei einer Erstlingsarbeit lockt, Keime des Neuen. Vielversprechenden zu finden und hervorzuheben, so zieht eben das Publikum, der gleichermaßen Kenntnis wie Witterung voraussetzenden Arbeit kritischer Spürkunst den bequemen Genuß auf bereits zugänglich gemachten und bekannten Bahnen vor. 1847 wurden die „Juniuslieder" veröffentlicht. Sie gelten als Geibels charakteristischer, vielfach auch als sein bester Band. In der Tat kommt er hier dem, was man gemeinhin „schöne Form" nennt, am nächsten. Aber alles- gemeinhin Genannte und daher oberflächlich Gekannte ist nichts als ein Schema und so ist denn auch tatsächlich die Form der „Juniuslieder" häufig nichts mehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/262>, abgerufen am 24.08.2024.