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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Der Imperialismus in englischer Auffassung

Als Begründung dieses Übergewichts diente immer wieder die Notwendigkeit
einer unüberwindlichen englischen Übermacht auf allen Weltmeeren zur Behauptung
des Imperiums. Für die Briten ist also eine starke Flotte ein inneres Bedürfnis.
Welche Beweggründe zwangen dagegen Deutschland, seine Kriegsschiffe in so auf¬
fallender Weise zu vermehren? Für dieses Vorgehen liegt keine ökonomische Not¬
wendigkeit vor, die deutsche Flotte ist wie das ganze Reich ein Kunstprodukt, ein Aus¬
fluß des "reinen Militarismus". Jenen englischen Flottenimperialisten fiel es nie¬
mals ein, daß eine gewisse Herrschaft über die Weltmeere ein integrierender Bestand¬
teil in jedem modernen Imperium sein muß, besonders aber in dem deutschen,
das wegen seiner geographisch-ökonomischen Verhältnisse seine Existenz auf einem
wachsenden transozeanischen Handel aufbauen muß.

Neben diesen militärischen Entwicklungen werden in allen englischen Zeit-
chriften der letzten Jahrzehnte immer wieder die Gedanken eines Treitschke,
Nietzsche und Bernhardi dazu benutzt, um die imperialistischen Bestrebungen
Deutschlands nachzuweisen. Die Ansichten dieser Männer werden zitiert, ihre
zusammenhängenden Schriften zu lesen, ist man aber in England nicht imstande.

Wie sieht nun der deutsche Imperialismus in den Augen eines neutralen
Schweden aus?

Steffen stellt im zweiten Bande seines Werkes "Krieg und Kultur" den
deutschen Imperialismus, wie er ihn sieht, dem englischen gegenüber, indem er fich
mit den genannten englischen Historikern auseinandersetzt. Er nennt die deutschen
Bestrebungen im Gegensatzzu den englischen und französischen defensiv. Gerade das
vielgeschmähte Buch von Bernhardi beweist ihm, daß das deutsche Volk und seine
leitenden Männer vor dem Kriege nicht die gewaltigen imperialistischen Bestrebungen
hatten, wie man im Auslande so gerne glauben machen wollte. Denn Bern-
hardis Buch ist ja gerade zur Hälfte mit Wehklagen angefüllt über die allzu
friedliche Stimmung des deutschen Volkes. Immer wieder betont der Verfasser den
Unterschied zwischen seiner Denkungsart und der des Volkes. Bernhardi selbst
ist einer friedlichen Lösung der vorhandenen Probleme durchaus nicht abgeneigt.
Er zweifelt nur daran, daß Deutschland vor allem von England Raum gewährt
werden wird für sein ökonomisches, nationales und politisches Wachsen.
Imperialistische Bestrebungen können Deutschland allein auf geistigem Gebiete
nachgewiesen werden: für die deutsche Arbeit wollte man die Welt gewinnen.
Der Imperialist Rohrbach, den Steffen zitiert, wollte nicht Weltherrschaft und
Weltmacht für das deutsche Volk erringen, sondern nur freie Bahn schaffen für
die Betätigung des deutschen Geistes. Erhebend ist es -- so fährt Steffen
fort -- wie Rohrbach mit wahrhafter Größe den Engländern Recht wider¬
fahren läßt, wenn er sagt, daß es für das britische Volk hart ist. neben sich
ein anderes Volk zur Geltung kommen zu sehen.

Den deutschen Imperialismus militaristisch nennen heißt allen Tatsachen
widersprechen. Das beweisen schon die Ausgaben für Heer und Marine. Nach
einer von Steffen angeführten vergleichenden schwedischen Statistik, die leider Ruß-


Der Imperialismus in englischer Auffassung

Als Begründung dieses Übergewichts diente immer wieder die Notwendigkeit
einer unüberwindlichen englischen Übermacht auf allen Weltmeeren zur Behauptung
des Imperiums. Für die Briten ist also eine starke Flotte ein inneres Bedürfnis.
Welche Beweggründe zwangen dagegen Deutschland, seine Kriegsschiffe in so auf¬
fallender Weise zu vermehren? Für dieses Vorgehen liegt keine ökonomische Not¬
wendigkeit vor, die deutsche Flotte ist wie das ganze Reich ein Kunstprodukt, ein Aus¬
fluß des „reinen Militarismus". Jenen englischen Flottenimperialisten fiel es nie¬
mals ein, daß eine gewisse Herrschaft über die Weltmeere ein integrierender Bestand¬
teil in jedem modernen Imperium sein muß, besonders aber in dem deutschen,
das wegen seiner geographisch-ökonomischen Verhältnisse seine Existenz auf einem
wachsenden transozeanischen Handel aufbauen muß.

Neben diesen militärischen Entwicklungen werden in allen englischen Zeit-
chriften der letzten Jahrzehnte immer wieder die Gedanken eines Treitschke,
Nietzsche und Bernhardi dazu benutzt, um die imperialistischen Bestrebungen
Deutschlands nachzuweisen. Die Ansichten dieser Männer werden zitiert, ihre
zusammenhängenden Schriften zu lesen, ist man aber in England nicht imstande.

Wie sieht nun der deutsche Imperialismus in den Augen eines neutralen
Schweden aus?

Steffen stellt im zweiten Bande seines Werkes „Krieg und Kultur" den
deutschen Imperialismus, wie er ihn sieht, dem englischen gegenüber, indem er fich
mit den genannten englischen Historikern auseinandersetzt. Er nennt die deutschen
Bestrebungen im Gegensatzzu den englischen und französischen defensiv. Gerade das
vielgeschmähte Buch von Bernhardi beweist ihm, daß das deutsche Volk und seine
leitenden Männer vor dem Kriege nicht die gewaltigen imperialistischen Bestrebungen
hatten, wie man im Auslande so gerne glauben machen wollte. Denn Bern-
hardis Buch ist ja gerade zur Hälfte mit Wehklagen angefüllt über die allzu
friedliche Stimmung des deutschen Volkes. Immer wieder betont der Verfasser den
Unterschied zwischen seiner Denkungsart und der des Volkes. Bernhardi selbst
ist einer friedlichen Lösung der vorhandenen Probleme durchaus nicht abgeneigt.
Er zweifelt nur daran, daß Deutschland vor allem von England Raum gewährt
werden wird für sein ökonomisches, nationales und politisches Wachsen.
Imperialistische Bestrebungen können Deutschland allein auf geistigem Gebiete
nachgewiesen werden: für die deutsche Arbeit wollte man die Welt gewinnen.
Der Imperialist Rohrbach, den Steffen zitiert, wollte nicht Weltherrschaft und
Weltmacht für das deutsche Volk erringen, sondern nur freie Bahn schaffen für
die Betätigung des deutschen Geistes. Erhebend ist es — so fährt Steffen
fort — wie Rohrbach mit wahrhafter Größe den Engländern Recht wider¬
fahren läßt, wenn er sagt, daß es für das britische Volk hart ist. neben sich
ein anderes Volk zur Geltung kommen zu sehen.

Den deutschen Imperialismus militaristisch nennen heißt allen Tatsachen
widersprechen. Das beweisen schon die Ausgaben für Heer und Marine. Nach
einer von Steffen angeführten vergleichenden schwedischen Statistik, die leider Ruß-


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[0215] Der Imperialismus in englischer Auffassung Als Begründung dieses Übergewichts diente immer wieder die Notwendigkeit einer unüberwindlichen englischen Übermacht auf allen Weltmeeren zur Behauptung des Imperiums. Für die Briten ist also eine starke Flotte ein inneres Bedürfnis. Welche Beweggründe zwangen dagegen Deutschland, seine Kriegsschiffe in so auf¬ fallender Weise zu vermehren? Für dieses Vorgehen liegt keine ökonomische Not¬ wendigkeit vor, die deutsche Flotte ist wie das ganze Reich ein Kunstprodukt, ein Aus¬ fluß des „reinen Militarismus". Jenen englischen Flottenimperialisten fiel es nie¬ mals ein, daß eine gewisse Herrschaft über die Weltmeere ein integrierender Bestand¬ teil in jedem modernen Imperium sein muß, besonders aber in dem deutschen, das wegen seiner geographisch-ökonomischen Verhältnisse seine Existenz auf einem wachsenden transozeanischen Handel aufbauen muß. Neben diesen militärischen Entwicklungen werden in allen englischen Zeit- chriften der letzten Jahrzehnte immer wieder die Gedanken eines Treitschke, Nietzsche und Bernhardi dazu benutzt, um die imperialistischen Bestrebungen Deutschlands nachzuweisen. Die Ansichten dieser Männer werden zitiert, ihre zusammenhängenden Schriften zu lesen, ist man aber in England nicht imstande. Wie sieht nun der deutsche Imperialismus in den Augen eines neutralen Schweden aus? Steffen stellt im zweiten Bande seines Werkes „Krieg und Kultur" den deutschen Imperialismus, wie er ihn sieht, dem englischen gegenüber, indem er fich mit den genannten englischen Historikern auseinandersetzt. Er nennt die deutschen Bestrebungen im Gegensatzzu den englischen und französischen defensiv. Gerade das vielgeschmähte Buch von Bernhardi beweist ihm, daß das deutsche Volk und seine leitenden Männer vor dem Kriege nicht die gewaltigen imperialistischen Bestrebungen hatten, wie man im Auslande so gerne glauben machen wollte. Denn Bern- hardis Buch ist ja gerade zur Hälfte mit Wehklagen angefüllt über die allzu friedliche Stimmung des deutschen Volkes. Immer wieder betont der Verfasser den Unterschied zwischen seiner Denkungsart und der des Volkes. Bernhardi selbst ist einer friedlichen Lösung der vorhandenen Probleme durchaus nicht abgeneigt. Er zweifelt nur daran, daß Deutschland vor allem von England Raum gewährt werden wird für sein ökonomisches, nationales und politisches Wachsen. Imperialistische Bestrebungen können Deutschland allein auf geistigem Gebiete nachgewiesen werden: für die deutsche Arbeit wollte man die Welt gewinnen. Der Imperialist Rohrbach, den Steffen zitiert, wollte nicht Weltherrschaft und Weltmacht für das deutsche Volk erringen, sondern nur freie Bahn schaffen für die Betätigung des deutschen Geistes. Erhebend ist es — so fährt Steffen fort — wie Rohrbach mit wahrhafter Größe den Engländern Recht wider¬ fahren läßt, wenn er sagt, daß es für das britische Volk hart ist. neben sich ein anderes Volk zur Geltung kommen zu sehen. Den deutschen Imperialismus militaristisch nennen heißt allen Tatsachen widersprechen. Das beweisen schon die Ausgaben für Heer und Marine. Nach einer von Steffen angeführten vergleichenden schwedischen Statistik, die leider Ruß-

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/215>, abgerufen am 22.07.2024.