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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Der Imperialismus in englischer Auffassung

land nicht aufführt, steht Großbritannien und Irland pro Kopf der Bevölkerung an
röter Stelle, mit 27,50 Kronen, den zweiten Platz mit 25,15 Kronen nimmt Frank¬
reich ein dann folgt erst das Deutsche Reich mit 19,22 Kronen. Im Verhältnis zum
Gesamtetat steht Deutschland mit seinen militärischen Ausgaben im Vergleich zu
anderen Staaten erst an vierter Stelle. Sie betragen in Großbritannien
58 Prozent, in Frankreich 55,2 Prozent, in Schweden 49.9 Prozent, in Sachsen
48,7 Prozent, in Preußen 48,6 Prozent, in Bayern und Württemberg 44 Prozent.
Der deutsche Imperialismus ist auch aus diesem Grunde nicht wie der französische,
englische und russische seit 1870 auf Eroberungen gerichtet, nicht militärisch.
Wenn man überhaupt von einer Agresstvität des deutschen Imperialismus
sprechen kann, so liegt dieser allein auf ökonomischem Gebiete.

Treten jetzt während des Krieges auch in Deutschland in breiteren Volks¬
schichten stärkere imperialistische Neigungen, hervor, sagt Steffen, so darf diese
Erscheinung nicht als eine Ursache des Weltkrieges, sondern als seine Folge
angesehen werden. Hierin hat der Verfasser mit feinem Verständnis das rechte
getroffen: erst durch den Weltkrieg sind wir uns unserer^ inneren Kraft als
Volk, als Staat bewußt geworden. Vor allem haben wir aufgehört, das
englische "Oberimperium" als selbstverständlich hinzunehmen. In den ersten
Jahrzehnten des neuen Reiches waren wir noch zu viel in Anspruch genommen
durch unsere innere Konsolidierung, wir haben die äußere Politik, deren Hand¬
habung wir nicht verstanden, vernachlässigt. Der Weltkrieg aber hat uns zu
neuem Leben erweckt: wir haben wieder wie vor 1670 politische Ziele, die uns
über das innerstaatliche Leben hinausführen.




Der Imperialismus in englischer Auffassung

land nicht aufführt, steht Großbritannien und Irland pro Kopf der Bevölkerung an
röter Stelle, mit 27,50 Kronen, den zweiten Platz mit 25,15 Kronen nimmt Frank¬
reich ein dann folgt erst das Deutsche Reich mit 19,22 Kronen. Im Verhältnis zum
Gesamtetat steht Deutschland mit seinen militärischen Ausgaben im Vergleich zu
anderen Staaten erst an vierter Stelle. Sie betragen in Großbritannien
58 Prozent, in Frankreich 55,2 Prozent, in Schweden 49.9 Prozent, in Sachsen
48,7 Prozent, in Preußen 48,6 Prozent, in Bayern und Württemberg 44 Prozent.
Der deutsche Imperialismus ist auch aus diesem Grunde nicht wie der französische,
englische und russische seit 1870 auf Eroberungen gerichtet, nicht militärisch.
Wenn man überhaupt von einer Agresstvität des deutschen Imperialismus
sprechen kann, so liegt dieser allein auf ökonomischem Gebiete.

Treten jetzt während des Krieges auch in Deutschland in breiteren Volks¬
schichten stärkere imperialistische Neigungen, hervor, sagt Steffen, so darf diese
Erscheinung nicht als eine Ursache des Weltkrieges, sondern als seine Folge
angesehen werden. Hierin hat der Verfasser mit feinem Verständnis das rechte
getroffen: erst durch den Weltkrieg sind wir uns unserer^ inneren Kraft als
Volk, als Staat bewußt geworden. Vor allem haben wir aufgehört, das
englische „Oberimperium" als selbstverständlich hinzunehmen. In den ersten
Jahrzehnten des neuen Reiches waren wir noch zu viel in Anspruch genommen
durch unsere innere Konsolidierung, wir haben die äußere Politik, deren Hand¬
habung wir nicht verstanden, vernachlässigt. Der Weltkrieg aber hat uns zu
neuem Leben erweckt: wir haben wieder wie vor 1670 politische Ziele, die uns
über das innerstaatliche Leben hinausführen.




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[0216] Der Imperialismus in englischer Auffassung land nicht aufführt, steht Großbritannien und Irland pro Kopf der Bevölkerung an röter Stelle, mit 27,50 Kronen, den zweiten Platz mit 25,15 Kronen nimmt Frank¬ reich ein dann folgt erst das Deutsche Reich mit 19,22 Kronen. Im Verhältnis zum Gesamtetat steht Deutschland mit seinen militärischen Ausgaben im Vergleich zu anderen Staaten erst an vierter Stelle. Sie betragen in Großbritannien 58 Prozent, in Frankreich 55,2 Prozent, in Schweden 49.9 Prozent, in Sachsen 48,7 Prozent, in Preußen 48,6 Prozent, in Bayern und Württemberg 44 Prozent. Der deutsche Imperialismus ist auch aus diesem Grunde nicht wie der französische, englische und russische seit 1870 auf Eroberungen gerichtet, nicht militärisch. Wenn man überhaupt von einer Agresstvität des deutschen Imperialismus sprechen kann, so liegt dieser allein auf ökonomischem Gebiete. Treten jetzt während des Krieges auch in Deutschland in breiteren Volks¬ schichten stärkere imperialistische Neigungen, hervor, sagt Steffen, so darf diese Erscheinung nicht als eine Ursache des Weltkrieges, sondern als seine Folge angesehen werden. Hierin hat der Verfasser mit feinem Verständnis das rechte getroffen: erst durch den Weltkrieg sind wir uns unserer^ inneren Kraft als Volk, als Staat bewußt geworden. Vor allem haben wir aufgehört, das englische „Oberimperium" als selbstverständlich hinzunehmen. In den ersten Jahrzehnten des neuen Reiches waren wir noch zu viel in Anspruch genommen durch unsere innere Konsolidierung, wir haben die äußere Politik, deren Hand¬ habung wir nicht verstanden, vernachlässigt. Der Weltkrieg aber hat uns zu neuem Leben erweckt: wir haben wieder wie vor 1670 politische Ziele, die uns über das innerstaatliche Leben hinausführen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/216>, abgerufen am 22.07.2024.