Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Imperialismus in englischer Auffassung

Die Alleinberechtigung des englischen Imperialismus wird besonders dadurch
begründet, daß man die Nichtberechtigung der imperialistischen Bestrebungen
eines anderen Staates nachweist. Es bleibt also den englischen Imperialisten
die Aufgabe zu zeigen, daß die Ausdehnung des Staates, der im Begriff ist, dem
englischen Imperialismus Kokurrenz zu machen -- des Deutschen Reiches --,
unberechtigt ist: dieses Deutschland ist im Gegensatz zu England ein Kunstprodutt,
das 1870 mit Blut und Eisen zusammengezwängt wurde. Das neue Deutsche
Reich ist etwas weltgeschichtlich Überflüssiges, das am besten wieder aus der
Welt geschafft wird. Man weist nach, daß, während England mit der Auf¬
richtung seiner Weltmacht überall Demokratie und Freiheit verbreitet hat,
Deutschland mit seiner Waffenmacht diese Kulturerrungenschaften in der ganzen
Welt zerstört und die nationale Selbständigkeit der Nationen bricht. Im
Zusammenhange hiermit stehen die Prinzipien der Deutschen: "Macht geht vor
Recht" und "Der Stärkere soll herrschen". Der deutsche Militarismus wird
als Weltgefahr hingestellt, er ist schlimmer als der Absolutismus Rußlands,
und wie das russische Volk von diesem, so muß das deutsche von jenem befreit
werden. Man zeigt ferner, wie Llovd George in einer Rede im September vorigen
Jahres, daß die Zivilisation der Deutschen selbstsüchtig und nur auf Materielles
gerichtet ist. Deshalb können sie auch nicht Englands Stellung in dem Welt¬
krieg verstehen. Daß man sich wie Frankreich aus Gelüsten der Revanche um
die Erlangung eines Landgebiets schlägt, können die Deutschen begreifen. Aber
der Gedankengang Großbritanniens, seine Reichtümer, seine Macht, das Leben
seiner Kinder, seine gesamte Existenz zu opfern, um eine kleine Nation zu
beschützen, ist einem Volke wie dem deutschen vollständig unerklärlich. "Die
deutsche Nation will die Menschen bilden nach dem Muster eines Dieselmotoren,
zuverlässig, solid und stark, aber ohne Spielraum für die Regungen der Seele."
"Aber Deutschland," so fährt Lloyd George fort, "will noch mehr, es will das
Christentum zerstören, das ihm nur mehr weichliche Sentimentalität be¬
deutet."

Daß in Deutschland tatsächlich vor dem Kriege aggressive imperialistische
Bestrebungen bestanden, darüber sind sich wohl alle englischen Publizisten und
Historiker einig. Um ihre Ziele zu verwirklichen, brauchte man bei uns den
Krieg. "Alle Machtmittel des deutschen Volkes, die maritimen, die militärischen,
die finanziellen, politischen, journalistischen und pädagogischen hat man in
Deutschland in den Dienst der Kriegsvorbereitung gestellt," so argumentiert Lord
Roberts, und deshalb ist auch der Krieg England durch die pangermanistischen
Ratgeber des deutschen Kaisers aufgezwungen worden.

Um das deutsche Ausdehnungsbedürfnis und damit die moralische Not¬
wendigkeit für England, Deutschland zu bekämpfen, darzutun, verglich man vor
dem Kriege immer wieder das Wachstum der englischen und deutschen Flotte.
Man bemüht sich, zu zeigen, daß der Bau der englischen Dreadnoughts nicht
rasch genug vor sich ging, um den Vorsprung gegenüber Deutschland zu wahren.


Der Imperialismus in englischer Auffassung

Die Alleinberechtigung des englischen Imperialismus wird besonders dadurch
begründet, daß man die Nichtberechtigung der imperialistischen Bestrebungen
eines anderen Staates nachweist. Es bleibt also den englischen Imperialisten
die Aufgabe zu zeigen, daß die Ausdehnung des Staates, der im Begriff ist, dem
englischen Imperialismus Kokurrenz zu machen — des Deutschen Reiches —,
unberechtigt ist: dieses Deutschland ist im Gegensatz zu England ein Kunstprodutt,
das 1870 mit Blut und Eisen zusammengezwängt wurde. Das neue Deutsche
Reich ist etwas weltgeschichtlich Überflüssiges, das am besten wieder aus der
Welt geschafft wird. Man weist nach, daß, während England mit der Auf¬
richtung seiner Weltmacht überall Demokratie und Freiheit verbreitet hat,
Deutschland mit seiner Waffenmacht diese Kulturerrungenschaften in der ganzen
Welt zerstört und die nationale Selbständigkeit der Nationen bricht. Im
Zusammenhange hiermit stehen die Prinzipien der Deutschen: „Macht geht vor
Recht" und „Der Stärkere soll herrschen". Der deutsche Militarismus wird
als Weltgefahr hingestellt, er ist schlimmer als der Absolutismus Rußlands,
und wie das russische Volk von diesem, so muß das deutsche von jenem befreit
werden. Man zeigt ferner, wie Llovd George in einer Rede im September vorigen
Jahres, daß die Zivilisation der Deutschen selbstsüchtig und nur auf Materielles
gerichtet ist. Deshalb können sie auch nicht Englands Stellung in dem Welt¬
krieg verstehen. Daß man sich wie Frankreich aus Gelüsten der Revanche um
die Erlangung eines Landgebiets schlägt, können die Deutschen begreifen. Aber
der Gedankengang Großbritanniens, seine Reichtümer, seine Macht, das Leben
seiner Kinder, seine gesamte Existenz zu opfern, um eine kleine Nation zu
beschützen, ist einem Volke wie dem deutschen vollständig unerklärlich. „Die
deutsche Nation will die Menschen bilden nach dem Muster eines Dieselmotoren,
zuverlässig, solid und stark, aber ohne Spielraum für die Regungen der Seele."
„Aber Deutschland," so fährt Lloyd George fort, „will noch mehr, es will das
Christentum zerstören, das ihm nur mehr weichliche Sentimentalität be¬
deutet."

Daß in Deutschland tatsächlich vor dem Kriege aggressive imperialistische
Bestrebungen bestanden, darüber sind sich wohl alle englischen Publizisten und
Historiker einig. Um ihre Ziele zu verwirklichen, brauchte man bei uns den
Krieg. „Alle Machtmittel des deutschen Volkes, die maritimen, die militärischen,
die finanziellen, politischen, journalistischen und pädagogischen hat man in
Deutschland in den Dienst der Kriegsvorbereitung gestellt," so argumentiert Lord
Roberts, und deshalb ist auch der Krieg England durch die pangermanistischen
Ratgeber des deutschen Kaisers aufgezwungen worden.

Um das deutsche Ausdehnungsbedürfnis und damit die moralische Not¬
wendigkeit für England, Deutschland zu bekämpfen, darzutun, verglich man vor
dem Kriege immer wieder das Wachstum der englischen und deutschen Flotte.
Man bemüht sich, zu zeigen, daß der Bau der englischen Dreadnoughts nicht
rasch genug vor sich ging, um den Vorsprung gegenüber Deutschland zu wahren.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0214" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323753"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Imperialismus in englischer Auffassung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_682"> Die Alleinberechtigung des englischen Imperialismus wird besonders dadurch<lb/>
begründet, daß man die Nichtberechtigung der imperialistischen Bestrebungen<lb/>
eines anderen Staates nachweist. Es bleibt also den englischen Imperialisten<lb/>
die Aufgabe zu zeigen, daß die Ausdehnung des Staates, der im Begriff ist, dem<lb/>
englischen Imperialismus Kokurrenz zu machen &#x2014; des Deutschen Reiches &#x2014;,<lb/>
unberechtigt ist: dieses Deutschland ist im Gegensatz zu England ein Kunstprodutt,<lb/>
das 1870 mit Blut und Eisen zusammengezwängt wurde. Das neue Deutsche<lb/>
Reich ist etwas weltgeschichtlich Überflüssiges, das am besten wieder aus der<lb/>
Welt geschafft wird. Man weist nach, daß, während England mit der Auf¬<lb/>
richtung seiner Weltmacht überall Demokratie und Freiheit verbreitet hat,<lb/>
Deutschland mit seiner Waffenmacht diese Kulturerrungenschaften in der ganzen<lb/>
Welt zerstört und die nationale Selbständigkeit der Nationen bricht. Im<lb/>
Zusammenhange hiermit stehen die Prinzipien der Deutschen: &#x201E;Macht geht vor<lb/>
Recht" und &#x201E;Der Stärkere soll herrschen". Der deutsche Militarismus wird<lb/>
als Weltgefahr hingestellt, er ist schlimmer als der Absolutismus Rußlands,<lb/>
und wie das russische Volk von diesem, so muß das deutsche von jenem befreit<lb/>
werden. Man zeigt ferner, wie Llovd George in einer Rede im September vorigen<lb/>
Jahres, daß die Zivilisation der Deutschen selbstsüchtig und nur auf Materielles<lb/>
gerichtet ist. Deshalb können sie auch nicht Englands Stellung in dem Welt¬<lb/>
krieg verstehen. Daß man sich wie Frankreich aus Gelüsten der Revanche um<lb/>
die Erlangung eines Landgebiets schlägt, können die Deutschen begreifen. Aber<lb/>
der Gedankengang Großbritanniens, seine Reichtümer, seine Macht, das Leben<lb/>
seiner Kinder, seine gesamte Existenz zu opfern, um eine kleine Nation zu<lb/>
beschützen, ist einem Volke wie dem deutschen vollständig unerklärlich. &#x201E;Die<lb/>
deutsche Nation will die Menschen bilden nach dem Muster eines Dieselmotoren,<lb/>
zuverlässig, solid und stark, aber ohne Spielraum für die Regungen der Seele."<lb/>
&#x201E;Aber Deutschland," so fährt Lloyd George fort, &#x201E;will noch mehr, es will das<lb/>
Christentum zerstören, das ihm nur mehr weichliche Sentimentalität be¬<lb/>
deutet."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_683"> Daß in Deutschland tatsächlich vor dem Kriege aggressive imperialistische<lb/>
Bestrebungen bestanden, darüber sind sich wohl alle englischen Publizisten und<lb/>
Historiker einig. Um ihre Ziele zu verwirklichen, brauchte man bei uns den<lb/>
Krieg. &#x201E;Alle Machtmittel des deutschen Volkes, die maritimen, die militärischen,<lb/>
die finanziellen, politischen, journalistischen und pädagogischen hat man in<lb/>
Deutschland in den Dienst der Kriegsvorbereitung gestellt," so argumentiert Lord<lb/>
Roberts, und deshalb ist auch der Krieg England durch die pangermanistischen<lb/>
Ratgeber des deutschen Kaisers aufgezwungen worden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_684" next="#ID_685"> Um das deutsche Ausdehnungsbedürfnis und damit die moralische Not¬<lb/>
wendigkeit für England, Deutschland zu bekämpfen, darzutun, verglich man vor<lb/>
dem Kriege immer wieder das Wachstum der englischen und deutschen Flotte.<lb/>
Man bemüht sich, zu zeigen, daß der Bau der englischen Dreadnoughts nicht<lb/>
rasch genug vor sich ging, um den Vorsprung gegenüber Deutschland zu wahren.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0214] Der Imperialismus in englischer Auffassung Die Alleinberechtigung des englischen Imperialismus wird besonders dadurch begründet, daß man die Nichtberechtigung der imperialistischen Bestrebungen eines anderen Staates nachweist. Es bleibt also den englischen Imperialisten die Aufgabe zu zeigen, daß die Ausdehnung des Staates, der im Begriff ist, dem englischen Imperialismus Kokurrenz zu machen — des Deutschen Reiches —, unberechtigt ist: dieses Deutschland ist im Gegensatz zu England ein Kunstprodutt, das 1870 mit Blut und Eisen zusammengezwängt wurde. Das neue Deutsche Reich ist etwas weltgeschichtlich Überflüssiges, das am besten wieder aus der Welt geschafft wird. Man weist nach, daß, während England mit der Auf¬ richtung seiner Weltmacht überall Demokratie und Freiheit verbreitet hat, Deutschland mit seiner Waffenmacht diese Kulturerrungenschaften in der ganzen Welt zerstört und die nationale Selbständigkeit der Nationen bricht. Im Zusammenhange hiermit stehen die Prinzipien der Deutschen: „Macht geht vor Recht" und „Der Stärkere soll herrschen". Der deutsche Militarismus wird als Weltgefahr hingestellt, er ist schlimmer als der Absolutismus Rußlands, und wie das russische Volk von diesem, so muß das deutsche von jenem befreit werden. Man zeigt ferner, wie Llovd George in einer Rede im September vorigen Jahres, daß die Zivilisation der Deutschen selbstsüchtig und nur auf Materielles gerichtet ist. Deshalb können sie auch nicht Englands Stellung in dem Welt¬ krieg verstehen. Daß man sich wie Frankreich aus Gelüsten der Revanche um die Erlangung eines Landgebiets schlägt, können die Deutschen begreifen. Aber der Gedankengang Großbritanniens, seine Reichtümer, seine Macht, das Leben seiner Kinder, seine gesamte Existenz zu opfern, um eine kleine Nation zu beschützen, ist einem Volke wie dem deutschen vollständig unerklärlich. „Die deutsche Nation will die Menschen bilden nach dem Muster eines Dieselmotoren, zuverlässig, solid und stark, aber ohne Spielraum für die Regungen der Seele." „Aber Deutschland," so fährt Lloyd George fort, „will noch mehr, es will das Christentum zerstören, das ihm nur mehr weichliche Sentimentalität be¬ deutet." Daß in Deutschland tatsächlich vor dem Kriege aggressive imperialistische Bestrebungen bestanden, darüber sind sich wohl alle englischen Publizisten und Historiker einig. Um ihre Ziele zu verwirklichen, brauchte man bei uns den Krieg. „Alle Machtmittel des deutschen Volkes, die maritimen, die militärischen, die finanziellen, politischen, journalistischen und pädagogischen hat man in Deutschland in den Dienst der Kriegsvorbereitung gestellt," so argumentiert Lord Roberts, und deshalb ist auch der Krieg England durch die pangermanistischen Ratgeber des deutschen Kaisers aufgezwungen worden. Um das deutsche Ausdehnungsbedürfnis und damit die moralische Not¬ wendigkeit für England, Deutschland zu bekämpfen, darzutun, verglich man vor dem Kriege immer wieder das Wachstum der englischen und deutschen Flotte. Man bemüht sich, zu zeigen, daß der Bau der englischen Dreadnoughts nicht rasch genug vor sich ging, um den Vorsprung gegenüber Deutschland zu wahren.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/214
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/214>, abgerufen am 28.09.2024.