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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Der Imperialismus in englischer Auffassung

Daß Deutschland der Feind Englands ist, ist auch die Ansicht des
Historikers Cramb, der das Land nicht, wie die meisten Engländer, nur
vom Hörensagen kennt. Er war Hörer Treitschkes. Seine Urteile über
Deutschland sind deshalb nicht die "beschränkter englischer Jnsularität".
Die Jahre des Studiums in Deutschland haben ihm ein merkwürdiges Ver¬
ständnis für den deutschen Geist eingepflanzt. In seinen Vorlesungen, die
1913 unter dem Titel "Germann and England" in Buchform erschienen und
sechs Auflagen erlebten, nennt er Deutschland einen würdigen Gegner Englands-
Deutschland ist der heroischste Feind, den England in seiner tausendjährigen
Geschichte gehabt hat. Das Deutschland des zwanzigsten Jahrhunderts ist
"größer in seiner Weltanschauung, in seinen Gedanken, in allem, was menschliche
Werte ausmachen, als das Spanien Karl des Fünften und Philipp des Zweiten,
als das Holland de Wilts und das Frankreich Ludwig des Vierzehnten". Es
scheint, als ob Cramb in seiner Auffassung der englischen Geschichte von
Treitschke beeinflußt sei, als ob auch er glaube, daß die Glanzzeit Englands
abgeschlossen sei mit dem siebzehnten Jahrhundert, mit dem Zeitalter Cromwells
und Miltons. Er schildert die Überzeugung Treitschkes, daß Englands Welt¬
herrschaft in keinem Verhältnis steht zu seiner wirklichen inneren Kraft, zu
seinem politischen, sozialen, individuellen und moralischen Werte. Er wagt es.
seinen Landsleuten zu erzählen, daß Treitschke und Napoleon England wegen
seiner eingebildeten, anspruchsvollen, kleinbürgerlichen Selbstgenügsamkeit gehaßt
haben, einer Selbstgenügsamkeit, die durchaus nicht Vaterlandsgefühl genannt
werden und die nicht verglichen werden kann mit dem deutschen Patriotismus
von 1813 und 1870. Aber die Hauptsache bleibt doch: Deutschland ist Englands
Feind, sein schlimmster Feind, und zwar nicht nur in quantitativem Sinne
durch die Millionen seiner Soldaten, sondern auch durch seine "seelische Größe".

Nach dem Verlauf der englischen Geschichte wäre also die Bekämpfung
Deutschlands im gegenwärtigen Augenblick -- auch ohne theoretische Begründung
-- eine innere Notwendigkeit. Seit dem sechzehnten Jahrhundert hat England
jeden Staat, der als sein ernsthafter Konkurrent auftrat, bekämpft. So ver¬
nichtete es die Armada Spaniens, so kämpfte es die aufstrebenden Niederlande
nieder. Aus demselben Motiv mischte es sich unter der Leitung Marlboroughs
in die Kämpfe Ludwig des Vierzehnten. Seit Jahrhunderten dehnten die
Engländer ihre Macht mit schrankenloser Rücksichtslosigkeit aus. Aber wir hörten
schon, wie imperialistische englische Historiker diesen Hauptzug des britischen
Imperialismus begründen: eine höhere Ordnung hat England zum Imperium
gemacht. Deshalb sind alle Verletzungen des Völkerrechts gerechtfertigt und
undiskutierbar. Sie sind erlaubt -- aber nicht zu vergessen -- nur für einen
Staat: Großbritannien. Wehe einer anderen Nation, die ebenso handeln will
wie England; ihr ist von dem Schicksal nicht dieselbe gewaltige Aufgabe zuteil
geworden. Was für Britannien ein Gebot innerer Notwendigkeit sein kann, ist
für jeden anderen Staat unmoralisch und verwerflich.


Der Imperialismus in englischer Auffassung

Daß Deutschland der Feind Englands ist, ist auch die Ansicht des
Historikers Cramb, der das Land nicht, wie die meisten Engländer, nur
vom Hörensagen kennt. Er war Hörer Treitschkes. Seine Urteile über
Deutschland sind deshalb nicht die „beschränkter englischer Jnsularität".
Die Jahre des Studiums in Deutschland haben ihm ein merkwürdiges Ver¬
ständnis für den deutschen Geist eingepflanzt. In seinen Vorlesungen, die
1913 unter dem Titel „Germann and England" in Buchform erschienen und
sechs Auflagen erlebten, nennt er Deutschland einen würdigen Gegner Englands-
Deutschland ist der heroischste Feind, den England in seiner tausendjährigen
Geschichte gehabt hat. Das Deutschland des zwanzigsten Jahrhunderts ist
„größer in seiner Weltanschauung, in seinen Gedanken, in allem, was menschliche
Werte ausmachen, als das Spanien Karl des Fünften und Philipp des Zweiten,
als das Holland de Wilts und das Frankreich Ludwig des Vierzehnten". Es
scheint, als ob Cramb in seiner Auffassung der englischen Geschichte von
Treitschke beeinflußt sei, als ob auch er glaube, daß die Glanzzeit Englands
abgeschlossen sei mit dem siebzehnten Jahrhundert, mit dem Zeitalter Cromwells
und Miltons. Er schildert die Überzeugung Treitschkes, daß Englands Welt¬
herrschaft in keinem Verhältnis steht zu seiner wirklichen inneren Kraft, zu
seinem politischen, sozialen, individuellen und moralischen Werte. Er wagt es.
seinen Landsleuten zu erzählen, daß Treitschke und Napoleon England wegen
seiner eingebildeten, anspruchsvollen, kleinbürgerlichen Selbstgenügsamkeit gehaßt
haben, einer Selbstgenügsamkeit, die durchaus nicht Vaterlandsgefühl genannt
werden und die nicht verglichen werden kann mit dem deutschen Patriotismus
von 1813 und 1870. Aber die Hauptsache bleibt doch: Deutschland ist Englands
Feind, sein schlimmster Feind, und zwar nicht nur in quantitativem Sinne
durch die Millionen seiner Soldaten, sondern auch durch seine „seelische Größe".

Nach dem Verlauf der englischen Geschichte wäre also die Bekämpfung
Deutschlands im gegenwärtigen Augenblick — auch ohne theoretische Begründung
— eine innere Notwendigkeit. Seit dem sechzehnten Jahrhundert hat England
jeden Staat, der als sein ernsthafter Konkurrent auftrat, bekämpft. So ver¬
nichtete es die Armada Spaniens, so kämpfte es die aufstrebenden Niederlande
nieder. Aus demselben Motiv mischte es sich unter der Leitung Marlboroughs
in die Kämpfe Ludwig des Vierzehnten. Seit Jahrhunderten dehnten die
Engländer ihre Macht mit schrankenloser Rücksichtslosigkeit aus. Aber wir hörten
schon, wie imperialistische englische Historiker diesen Hauptzug des britischen
Imperialismus begründen: eine höhere Ordnung hat England zum Imperium
gemacht. Deshalb sind alle Verletzungen des Völkerrechts gerechtfertigt und
undiskutierbar. Sie sind erlaubt — aber nicht zu vergessen — nur für einen
Staat: Großbritannien. Wehe einer anderen Nation, die ebenso handeln will
wie England; ihr ist von dem Schicksal nicht dieselbe gewaltige Aufgabe zuteil
geworden. Was für Britannien ein Gebot innerer Notwendigkeit sein kann, ist
für jeden anderen Staat unmoralisch und verwerflich.


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[0213] Der Imperialismus in englischer Auffassung Daß Deutschland der Feind Englands ist, ist auch die Ansicht des Historikers Cramb, der das Land nicht, wie die meisten Engländer, nur vom Hörensagen kennt. Er war Hörer Treitschkes. Seine Urteile über Deutschland sind deshalb nicht die „beschränkter englischer Jnsularität". Die Jahre des Studiums in Deutschland haben ihm ein merkwürdiges Ver¬ ständnis für den deutschen Geist eingepflanzt. In seinen Vorlesungen, die 1913 unter dem Titel „Germann and England" in Buchform erschienen und sechs Auflagen erlebten, nennt er Deutschland einen würdigen Gegner Englands- Deutschland ist der heroischste Feind, den England in seiner tausendjährigen Geschichte gehabt hat. Das Deutschland des zwanzigsten Jahrhunderts ist „größer in seiner Weltanschauung, in seinen Gedanken, in allem, was menschliche Werte ausmachen, als das Spanien Karl des Fünften und Philipp des Zweiten, als das Holland de Wilts und das Frankreich Ludwig des Vierzehnten". Es scheint, als ob Cramb in seiner Auffassung der englischen Geschichte von Treitschke beeinflußt sei, als ob auch er glaube, daß die Glanzzeit Englands abgeschlossen sei mit dem siebzehnten Jahrhundert, mit dem Zeitalter Cromwells und Miltons. Er schildert die Überzeugung Treitschkes, daß Englands Welt¬ herrschaft in keinem Verhältnis steht zu seiner wirklichen inneren Kraft, zu seinem politischen, sozialen, individuellen und moralischen Werte. Er wagt es. seinen Landsleuten zu erzählen, daß Treitschke und Napoleon England wegen seiner eingebildeten, anspruchsvollen, kleinbürgerlichen Selbstgenügsamkeit gehaßt haben, einer Selbstgenügsamkeit, die durchaus nicht Vaterlandsgefühl genannt werden und die nicht verglichen werden kann mit dem deutschen Patriotismus von 1813 und 1870. Aber die Hauptsache bleibt doch: Deutschland ist Englands Feind, sein schlimmster Feind, und zwar nicht nur in quantitativem Sinne durch die Millionen seiner Soldaten, sondern auch durch seine „seelische Größe". Nach dem Verlauf der englischen Geschichte wäre also die Bekämpfung Deutschlands im gegenwärtigen Augenblick — auch ohne theoretische Begründung — eine innere Notwendigkeit. Seit dem sechzehnten Jahrhundert hat England jeden Staat, der als sein ernsthafter Konkurrent auftrat, bekämpft. So ver¬ nichtete es die Armada Spaniens, so kämpfte es die aufstrebenden Niederlande nieder. Aus demselben Motiv mischte es sich unter der Leitung Marlboroughs in die Kämpfe Ludwig des Vierzehnten. Seit Jahrhunderten dehnten die Engländer ihre Macht mit schrankenloser Rücksichtslosigkeit aus. Aber wir hörten schon, wie imperialistische englische Historiker diesen Hauptzug des britischen Imperialismus begründen: eine höhere Ordnung hat England zum Imperium gemacht. Deshalb sind alle Verletzungen des Völkerrechts gerechtfertigt und undiskutierbar. Sie sind erlaubt — aber nicht zu vergessen — nur für einen Staat: Großbritannien. Wehe einer anderen Nation, die ebenso handeln will wie England; ihr ist von dem Schicksal nicht dieselbe gewaltige Aufgabe zuteil geworden. Was für Britannien ein Gebot innerer Notwendigkeit sein kann, ist für jeden anderen Staat unmoralisch und verwerflich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/213>, abgerufen am 26.06.2024.