Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die deutsche Aufgabe an der Fortentwicklung des Seekriegsrechts

gemacht -- wurde vorgeschlagen, der internationale Prisenhof solle nach den
allgemeinen Grundsätzen der Gerechtigkeit und Billigkeit urteilen. Wäre dieser
Vorschlag durchgegangen, so wäre die Aussicht vorhanden gewesen, daß völker¬
rechtliche Streitigkeiten aus Seekriegen überhaupt nicht mehr aufkommen konnten.
Dieser Vorschlag aber ging England, Rußland und Japan zu weit, sie lehnten die
Unterzeichnung der betreffenden Abkommen der zweiten Haager Konferenz ab. --
Die zwei Jahre später nach London einberufene Konferenz schien anfangs ihre
Aufgabe, die Grundlagen des materiellen Rechts zu schaffen, lösen zu sollen.
Bald aber machte sich in England eine bedeutsame Gegenströmung geltend,
die den Wortlaut der Londoner Deklaration als für England ungünstig be¬
zeichnete. Das englische Oberhaus lehnte den Wortlaut ab. Die nach England
berufenen Nölkerrechtssachverständigen hatten umsonst gearbeitet. Wieder hatte
in England die Ichsucht über den Gedanken an den gemeinsamen
Lebenszweck der Kulturvölker gesiegt, und die englische Diplomatie
zu erkennen gegeben, daß England noch außerhalb des Kreises der
Rechtsgemeinschaft der übrigen Staaten stand. Es störte die Rechts-
einheit und hat die ärgste Rechtsunsicherheit herbeigeführt. Es liegt der Gedanke
nahe, daß England Rechtsunstcherheit und Rechtsungleichheit wollte, um seine
Seerüuberpolitik besser durchführen zu können. Hätte England endgültige Er>
Mrungen gleich bei Ausbruch des Krieges -- sei es für den Überseehandel
günstige oder ungünstige -- abgegeben, so hätten sich die Interessenten ent¬
sprechend verhalten können. Die Folge aber davon wäre gewesen, daß die
englische Seebeute kleiner ausgefallen wäre. Die Rechtsunstcherheit war Englands
bester Gehilfe in der Durchführung seiner Politik, den feindlichen Übersee¬
handel zu vernichten und den neutralen zu schädigen.

Eine völlige Umgestaltung der Seekriegsverhältnisse würde sich aus der
Durchführung der neuen Auslegung von mare liberum ergeben, von der
Staatssekretär Dernburg im Republikanischen Klub in New Aork gesprochen
hat. Dernburg sagte:

"Der ganze Kampf dreht sich um die absolute Herrschaft über das Meer
auf der einen Seite, um ein mare liberum auf der anderen. Ein freies
Meer würde das Ende aller Kriege der Welt bedeuten. Die See sollte frei
sein. Sie gehört weder den Deutschen oder Amerikanern noch den Engländern.
Wir wollen den Krieg in Zukunft verhindern. Dazu haben wir zwei sichere
Wege. Es dürften nur Handelsschiffe die freien Meere befahren. Das Be¬
fahren heimischer Gewässer durch fremde Kriegsschiffe müßte ein ca8U8 belli
sein. Oder den Kriegsschiffen aller Nationen müßte das Fahren auf hoher
See überhaupt verboten und nur solchen kleinen Kreuzern erlaubt sein, die zur
Verhinderung des Piralentmns nötig sind. Würde dies durchgeführt, so be¬
deutete es den künftigen Frieden der Welt."

Damit hat Dernburg dem Sinne nach dasselbe gesagt, was der General¬
direktor des Norddeutschen Lloyd, Heineren, schon im September 1914 in der


Die deutsche Aufgabe an der Fortentwicklung des Seekriegsrechts

gemacht — wurde vorgeschlagen, der internationale Prisenhof solle nach den
allgemeinen Grundsätzen der Gerechtigkeit und Billigkeit urteilen. Wäre dieser
Vorschlag durchgegangen, so wäre die Aussicht vorhanden gewesen, daß völker¬
rechtliche Streitigkeiten aus Seekriegen überhaupt nicht mehr aufkommen konnten.
Dieser Vorschlag aber ging England, Rußland und Japan zu weit, sie lehnten die
Unterzeichnung der betreffenden Abkommen der zweiten Haager Konferenz ab. —
Die zwei Jahre später nach London einberufene Konferenz schien anfangs ihre
Aufgabe, die Grundlagen des materiellen Rechts zu schaffen, lösen zu sollen.
Bald aber machte sich in England eine bedeutsame Gegenströmung geltend,
die den Wortlaut der Londoner Deklaration als für England ungünstig be¬
zeichnete. Das englische Oberhaus lehnte den Wortlaut ab. Die nach England
berufenen Nölkerrechtssachverständigen hatten umsonst gearbeitet. Wieder hatte
in England die Ichsucht über den Gedanken an den gemeinsamen
Lebenszweck der Kulturvölker gesiegt, und die englische Diplomatie
zu erkennen gegeben, daß England noch außerhalb des Kreises der
Rechtsgemeinschaft der übrigen Staaten stand. Es störte die Rechts-
einheit und hat die ärgste Rechtsunsicherheit herbeigeführt. Es liegt der Gedanke
nahe, daß England Rechtsunstcherheit und Rechtsungleichheit wollte, um seine
Seerüuberpolitik besser durchführen zu können. Hätte England endgültige Er>
Mrungen gleich bei Ausbruch des Krieges — sei es für den Überseehandel
günstige oder ungünstige — abgegeben, so hätten sich die Interessenten ent¬
sprechend verhalten können. Die Folge aber davon wäre gewesen, daß die
englische Seebeute kleiner ausgefallen wäre. Die Rechtsunstcherheit war Englands
bester Gehilfe in der Durchführung seiner Politik, den feindlichen Übersee¬
handel zu vernichten und den neutralen zu schädigen.

Eine völlige Umgestaltung der Seekriegsverhältnisse würde sich aus der
Durchführung der neuen Auslegung von mare liberum ergeben, von der
Staatssekretär Dernburg im Republikanischen Klub in New Aork gesprochen
hat. Dernburg sagte:

„Der ganze Kampf dreht sich um die absolute Herrschaft über das Meer
auf der einen Seite, um ein mare liberum auf der anderen. Ein freies
Meer würde das Ende aller Kriege der Welt bedeuten. Die See sollte frei
sein. Sie gehört weder den Deutschen oder Amerikanern noch den Engländern.
Wir wollen den Krieg in Zukunft verhindern. Dazu haben wir zwei sichere
Wege. Es dürften nur Handelsschiffe die freien Meere befahren. Das Be¬
fahren heimischer Gewässer durch fremde Kriegsschiffe müßte ein ca8U8 belli
sein. Oder den Kriegsschiffen aller Nationen müßte das Fahren auf hoher
See überhaupt verboten und nur solchen kleinen Kreuzern erlaubt sein, die zur
Verhinderung des Piralentmns nötig sind. Würde dies durchgeführt, so be¬
deutete es den künftigen Frieden der Welt."

Damit hat Dernburg dem Sinne nach dasselbe gesagt, was der General¬
direktor des Norddeutschen Lloyd, Heineren, schon im September 1914 in der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0307" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323404"/>
          <fw type="header" place="top"> Die deutsche Aufgabe an der Fortentwicklung des Seekriegsrechts</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_979" prev="#ID_978"> gemacht &#x2014; wurde vorgeschlagen, der internationale Prisenhof solle nach den<lb/>
allgemeinen Grundsätzen der Gerechtigkeit und Billigkeit urteilen. Wäre dieser<lb/>
Vorschlag durchgegangen, so wäre die Aussicht vorhanden gewesen, daß völker¬<lb/>
rechtliche Streitigkeiten aus Seekriegen überhaupt nicht mehr aufkommen konnten.<lb/>
Dieser Vorschlag aber ging England, Rußland und Japan zu weit, sie lehnten die<lb/>
Unterzeichnung der betreffenden Abkommen der zweiten Haager Konferenz ab. &#x2014;<lb/>
Die zwei Jahre später nach London einberufene Konferenz schien anfangs ihre<lb/>
Aufgabe, die Grundlagen des materiellen Rechts zu schaffen, lösen zu sollen.<lb/>
Bald aber machte sich in England eine bedeutsame Gegenströmung geltend,<lb/>
die den Wortlaut der Londoner Deklaration als für England ungünstig be¬<lb/>
zeichnete. Das englische Oberhaus lehnte den Wortlaut ab. Die nach England<lb/>
berufenen Nölkerrechtssachverständigen hatten umsonst gearbeitet. Wieder hatte<lb/>
in England die Ichsucht über den Gedanken an den gemeinsamen<lb/>
Lebenszweck der Kulturvölker gesiegt, und die englische Diplomatie<lb/>
zu erkennen gegeben, daß England noch außerhalb des Kreises der<lb/>
Rechtsgemeinschaft der übrigen Staaten stand. Es störte die Rechts-<lb/>
einheit und hat die ärgste Rechtsunsicherheit herbeigeführt. Es liegt der Gedanke<lb/>
nahe, daß England Rechtsunstcherheit und Rechtsungleichheit wollte, um seine<lb/>
Seerüuberpolitik besser durchführen zu können. Hätte England endgültige Er&gt;<lb/>
Mrungen gleich bei Ausbruch des Krieges &#x2014; sei es für den Überseehandel<lb/>
günstige oder ungünstige &#x2014; abgegeben, so hätten sich die Interessenten ent¬<lb/>
sprechend verhalten können. Die Folge aber davon wäre gewesen, daß die<lb/>
englische Seebeute kleiner ausgefallen wäre. Die Rechtsunstcherheit war Englands<lb/>
bester Gehilfe in der Durchführung seiner Politik, den feindlichen Übersee¬<lb/>
handel zu vernichten und den neutralen zu schädigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_980"> Eine völlige Umgestaltung der Seekriegsverhältnisse würde sich aus der<lb/>
Durchführung der neuen Auslegung von mare liberum ergeben, von der<lb/>
Staatssekretär Dernburg im Republikanischen Klub in New Aork gesprochen<lb/>
hat.  Dernburg sagte:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_981"> &#x201E;Der ganze Kampf dreht sich um die absolute Herrschaft über das Meer<lb/>
auf der einen Seite, um ein mare liberum auf der anderen. Ein freies<lb/>
Meer würde das Ende aller Kriege der Welt bedeuten. Die See sollte frei<lb/>
sein. Sie gehört weder den Deutschen oder Amerikanern noch den Engländern.<lb/>
Wir wollen den Krieg in Zukunft verhindern. Dazu haben wir zwei sichere<lb/>
Wege. Es dürften nur Handelsschiffe die freien Meere befahren. Das Be¬<lb/>
fahren heimischer Gewässer durch fremde Kriegsschiffe müßte ein ca8U8 belli<lb/>
sein. Oder den Kriegsschiffen aller Nationen müßte das Fahren auf hoher<lb/>
See überhaupt verboten und nur solchen kleinen Kreuzern erlaubt sein, die zur<lb/>
Verhinderung des Piralentmns nötig sind. Würde dies durchgeführt, so be¬<lb/>
deutete es den künftigen Frieden der Welt."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_982" next="#ID_983"> Damit hat Dernburg dem Sinne nach dasselbe gesagt, was der General¬<lb/>
direktor des Norddeutschen Lloyd, Heineren, schon im September 1914 in der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0307] Die deutsche Aufgabe an der Fortentwicklung des Seekriegsrechts gemacht — wurde vorgeschlagen, der internationale Prisenhof solle nach den allgemeinen Grundsätzen der Gerechtigkeit und Billigkeit urteilen. Wäre dieser Vorschlag durchgegangen, so wäre die Aussicht vorhanden gewesen, daß völker¬ rechtliche Streitigkeiten aus Seekriegen überhaupt nicht mehr aufkommen konnten. Dieser Vorschlag aber ging England, Rußland und Japan zu weit, sie lehnten die Unterzeichnung der betreffenden Abkommen der zweiten Haager Konferenz ab. — Die zwei Jahre später nach London einberufene Konferenz schien anfangs ihre Aufgabe, die Grundlagen des materiellen Rechts zu schaffen, lösen zu sollen. Bald aber machte sich in England eine bedeutsame Gegenströmung geltend, die den Wortlaut der Londoner Deklaration als für England ungünstig be¬ zeichnete. Das englische Oberhaus lehnte den Wortlaut ab. Die nach England berufenen Nölkerrechtssachverständigen hatten umsonst gearbeitet. Wieder hatte in England die Ichsucht über den Gedanken an den gemeinsamen Lebenszweck der Kulturvölker gesiegt, und die englische Diplomatie zu erkennen gegeben, daß England noch außerhalb des Kreises der Rechtsgemeinschaft der übrigen Staaten stand. Es störte die Rechts- einheit und hat die ärgste Rechtsunsicherheit herbeigeführt. Es liegt der Gedanke nahe, daß England Rechtsunstcherheit und Rechtsungleichheit wollte, um seine Seerüuberpolitik besser durchführen zu können. Hätte England endgültige Er> Mrungen gleich bei Ausbruch des Krieges — sei es für den Überseehandel günstige oder ungünstige — abgegeben, so hätten sich die Interessenten ent¬ sprechend verhalten können. Die Folge aber davon wäre gewesen, daß die englische Seebeute kleiner ausgefallen wäre. Die Rechtsunstcherheit war Englands bester Gehilfe in der Durchführung seiner Politik, den feindlichen Übersee¬ handel zu vernichten und den neutralen zu schädigen. Eine völlige Umgestaltung der Seekriegsverhältnisse würde sich aus der Durchführung der neuen Auslegung von mare liberum ergeben, von der Staatssekretär Dernburg im Republikanischen Klub in New Aork gesprochen hat. Dernburg sagte: „Der ganze Kampf dreht sich um die absolute Herrschaft über das Meer auf der einen Seite, um ein mare liberum auf der anderen. Ein freies Meer würde das Ende aller Kriege der Welt bedeuten. Die See sollte frei sein. Sie gehört weder den Deutschen oder Amerikanern noch den Engländern. Wir wollen den Krieg in Zukunft verhindern. Dazu haben wir zwei sichere Wege. Es dürften nur Handelsschiffe die freien Meere befahren. Das Be¬ fahren heimischer Gewässer durch fremde Kriegsschiffe müßte ein ca8U8 belli sein. Oder den Kriegsschiffen aller Nationen müßte das Fahren auf hoher See überhaupt verboten und nur solchen kleinen Kreuzern erlaubt sein, die zur Verhinderung des Piralentmns nötig sind. Würde dies durchgeführt, so be¬ deutete es den künftigen Frieden der Welt." Damit hat Dernburg dem Sinne nach dasselbe gesagt, was der General¬ direktor des Norddeutschen Lloyd, Heineren, schon im September 1914 in der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/307
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/307>, abgerufen am 20.10.2024.