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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Die deutsche Aufgabe an der Fortentwicklung des Seekncgsrechts

Export-Revue veröffentlichte: "Und doch besteht die Fortnahme von Schiffen
auf See zu Recht. Der längst im Kriege anerkannte Schutz des Privat¬
eigentums auf dem Lande gilt nicht für das Privateigentum auf See. Ein
unserer Zeit unwürdiges Recht hat sich trotz aller Anfeindungen bis auf den
heutigen Tag hinschleppen können: Seebeuterecht statt Seerecht. An Bestrebungen
zur Beseitigung des Seebeuterechts hat es nicht gefehlt, aber stets hat sich
England dem entgegengestellt, und so gilt zur See noch immer ein Recht, das
nicht den heute gültigen Rechtsanschauungen entspricht, sondern lediglich den
Schild über die nicht genug zu verurteilenden, den Gesamtwelthandel schädigenden
Taten des Stärkeren hält. In Englands Seemacht fand das Seebeuterecht
seine Stütze, dem Faustrecht zur See sollte es den Schein des Rechts verleihen.

Darum fort mit dem aller Kultur hohnsprechenden Seebeute¬
recht, das der Weltschiffahrt die schwersten Wunden schlägt. Englands
Seemacht und Kultur war eines Seebeuterechts würdig, seinen
Bezwingern gebührt die Schaffung eines Seerechts. Mit der Ab¬
schaffung des Seebeuterechts wird ein Keim des Krieges vernichtet, mit der
Schaffung des Seerechts ein Grundstein zum Bau des Völkerfriedens gelegt.
Schutz des Privateigentums im Kriege wie auf dem Lande, so auch auf See,
die offene See nicht Kriegsschauplatz gegen Handelsschiffe, sondern neutrale
Völkerverkehrsstraße: das seien die hohen Ziele, die der Sieger dem Besiegten
diktieren und sie zu einem Rechtssatz des neue Jnahrhunderts erheben sollte."

Das "offene" Meer der alten Völker wurde durch eine Entscheidung des
Papstes Alexanders des Sechsten ein "mars e!a,u8um". Der Papst Alexander
der Sechste entschied in zwei im Jahre 1493 erlassenen Bullen über die Herr¬
schaft über alle von Columbus entdeckten Länder und Inseln. Den vereinigten
Kronen von Kastilien und Arragonien (Spanien) sollten alle entdeckten und
neuentdeckten Länder zufallen, die westlich eines über die Kap Verdischen Inseln
gezogenen Meridians und der Krone Lusitanien (Portugal) die östlich dieses
Meridians liegen. Auf diese Entscheidung gründeten Spanien und Portugal
lange Zeit ihre Ansprüche auf Länder und Meere. Namentlich nahm Portugal
das ausschließliche Recht auf den afrikanischen und ostasiatischen Seehandel für
sich in Anspruch. Später traten Holland und England mit Herrschasts-
ansprüchen über Länder und Meere hervor und betrachteten ebenfalls das
offene Meer als ihr nationales Gebiet.

Eine völlige Umgestaltung erfuhren die völkerrechtlichen Anschauungen durch
Hugo Grotius, den Vater des heute geltenden Seerechts, der in seiner Jugend¬
schrift "mare liberum 8on cZs jure <zuoä Kg,tavi8 competit ack Inäicana
Lommsrei-i" die Theorie vom "freien" Meere vertrat. Trotz verschiedener
Gegenschriften, die die nationale Beherrschung der Meere befürworteten, gelangte
Hugo Grotius' Theorie, namentlich seit Bynkershoeks Schrift "ac äorninio
MÄN8" von 1702 zur allgemeinen Anerkennung. Danach war jede staatliche
Beherrschung des offenen Meeres rechtlich ausgeschlossen.


Die deutsche Aufgabe an der Fortentwicklung des Seekncgsrechts

Export-Revue veröffentlichte: „Und doch besteht die Fortnahme von Schiffen
auf See zu Recht. Der längst im Kriege anerkannte Schutz des Privat¬
eigentums auf dem Lande gilt nicht für das Privateigentum auf See. Ein
unserer Zeit unwürdiges Recht hat sich trotz aller Anfeindungen bis auf den
heutigen Tag hinschleppen können: Seebeuterecht statt Seerecht. An Bestrebungen
zur Beseitigung des Seebeuterechts hat es nicht gefehlt, aber stets hat sich
England dem entgegengestellt, und so gilt zur See noch immer ein Recht, das
nicht den heute gültigen Rechtsanschauungen entspricht, sondern lediglich den
Schild über die nicht genug zu verurteilenden, den Gesamtwelthandel schädigenden
Taten des Stärkeren hält. In Englands Seemacht fand das Seebeuterecht
seine Stütze, dem Faustrecht zur See sollte es den Schein des Rechts verleihen.

Darum fort mit dem aller Kultur hohnsprechenden Seebeute¬
recht, das der Weltschiffahrt die schwersten Wunden schlägt. Englands
Seemacht und Kultur war eines Seebeuterechts würdig, seinen
Bezwingern gebührt die Schaffung eines Seerechts. Mit der Ab¬
schaffung des Seebeuterechts wird ein Keim des Krieges vernichtet, mit der
Schaffung des Seerechts ein Grundstein zum Bau des Völkerfriedens gelegt.
Schutz des Privateigentums im Kriege wie auf dem Lande, so auch auf See,
die offene See nicht Kriegsschauplatz gegen Handelsschiffe, sondern neutrale
Völkerverkehrsstraße: das seien die hohen Ziele, die der Sieger dem Besiegten
diktieren und sie zu einem Rechtssatz des neue Jnahrhunderts erheben sollte."

Das „offene" Meer der alten Völker wurde durch eine Entscheidung des
Papstes Alexanders des Sechsten ein »mars e!a,u8um". Der Papst Alexander
der Sechste entschied in zwei im Jahre 1493 erlassenen Bullen über die Herr¬
schaft über alle von Columbus entdeckten Länder und Inseln. Den vereinigten
Kronen von Kastilien und Arragonien (Spanien) sollten alle entdeckten und
neuentdeckten Länder zufallen, die westlich eines über die Kap Verdischen Inseln
gezogenen Meridians und der Krone Lusitanien (Portugal) die östlich dieses
Meridians liegen. Auf diese Entscheidung gründeten Spanien und Portugal
lange Zeit ihre Ansprüche auf Länder und Meere. Namentlich nahm Portugal
das ausschließliche Recht auf den afrikanischen und ostasiatischen Seehandel für
sich in Anspruch. Später traten Holland und England mit Herrschasts-
ansprüchen über Länder und Meere hervor und betrachteten ebenfalls das
offene Meer als ihr nationales Gebiet.

Eine völlige Umgestaltung erfuhren die völkerrechtlichen Anschauungen durch
Hugo Grotius, den Vater des heute geltenden Seerechts, der in seiner Jugend¬
schrift „mare liberum 8on cZs jure <zuoä Kg,tavi8 competit ack Inäicana
Lommsrei-i" die Theorie vom „freien" Meere vertrat. Trotz verschiedener
Gegenschriften, die die nationale Beherrschung der Meere befürworteten, gelangte
Hugo Grotius' Theorie, namentlich seit Bynkershoeks Schrift „ac äorninio
MÄN8" von 1702 zur allgemeinen Anerkennung. Danach war jede staatliche
Beherrschung des offenen Meeres rechtlich ausgeschlossen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/308>, abgerufen am 20.10.2024.