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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Die deutsche Aufgabe an der Fortentwicklung des Seekriegsrechts

und Pariser Frieden überragt oder ob das Seekriegsrecht auf seinem
heutigen, die Umgestaltung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht berücksichtigenden
Stande stehen bleibt, vielleicht sogar diktatorisch von England bestimmt wird
und die Sicherheit des Weltverkehrs noch mehr als früher in Frage stellt.
Den deutschen Waffen ist in dem gegenwärtigen Völkerringen die Verteidigung
nicht nur der Rechte des deutschen Reiches sondern die aller Staaten zugefallen.

Mit dem Sieg der deutschen Waffen bricht die von England
beanspruchte Alleinherrschaft über die Meere zusammen und die
Bahn wird endlich frei für ein Seerecht, das seine Normen nicht in
der englischen Ichsucht und Selbstüberhebung findet, sondern in den
gemeinsamen Lebenszwecken der Kulturvölker.

Es muß in diesem Zusammenhange ausdrücklich betont werden, daß
England nur an die Zerstörung der deutschen Handelsflotte denken konnte, wenn
das aus den Tagen der Seeräuberherrschaft überkommene Seebeuterecht in
Geltung blieb. England ist deshalb mit allen Mitteln einer Reform des See¬
kriegsrechtes entgegengetreten. Ein Seekrieg ohne Seebeuterecht war für
England ein Unding; der englische Marinismus ist erst eine Folge des See¬
beuterechts. England konnte gelassen der Entwicklung der deutschen Handels¬
flotte zusehen, das Seebeuterecht gab ihm das "Recht" den Vernichtungsschlag
zu führen. Im Seebeuterecht haben wir also den Keim des Seekrieges zu
suchen, seine Einschränkung oder besser noch seine Beseitigung würde einen
späteren Seekrieg in weite Fernen rücken, wenn nicht unmöglich machen.
Deutlich hat England während der ersten Kriegsmonate zu erkennen gegeben,
daß es seine Kriegsflotte in den Dienst stellt, "rechtmäßig" die deutsche Handels¬
flotte aufzubringen. Auf ein Duell mit der deutschen Kriegsflotte ließ man
sich nicht ein.

Für die Fortentwicklung des Seekriegsrechtes unter Einschränkung des
Seebeuterechtes liegen die Normen in dem VI., VII., XI. und XII. Abkommen
der zweiten Haager Konferenz von 1907 und in der Londoner Deklaration
von 1909 bereits vor.

Im Nahmen der auf der zweiten Haager Konferenz geleisteten Arbeit ist
der Wortlaut des "Abkommens über die Errichtung eines internationalen
Prisenhofes" (XII. Abkommen) als das wichtigste Werk anzusehen.

Der Gedanke eines internationalen Prisenhofes war damals nicht neu.
Schon vor etwa hundert Jahren war er von bedeutenden Völkerrechtstheoretikern
vertreten, aber stets als utopistisch wieder abgetan worden. Selbst der Ein¬
wand, daß sich ein internationaler Prisenhof nicht mit der Souveränität der
Staaten vertrage, wurde gegen ihn geltend gemacht. Der internationale
Prisenhof hätte einen bedeutsamen Fortschritt in der Justizorganisation und
eine Garantie gegen die Übergriffe der nationalen Prisenhöfe mit sich gebracht.
Als man sich aber über die Grundlagen des materiellen Rechts nicht einig
werden konnte -- ein Versuch dazu wurde 1909 in der Londoner Deklaration


Die deutsche Aufgabe an der Fortentwicklung des Seekriegsrechts

und Pariser Frieden überragt oder ob das Seekriegsrecht auf seinem
heutigen, die Umgestaltung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht berücksichtigenden
Stande stehen bleibt, vielleicht sogar diktatorisch von England bestimmt wird
und die Sicherheit des Weltverkehrs noch mehr als früher in Frage stellt.
Den deutschen Waffen ist in dem gegenwärtigen Völkerringen die Verteidigung
nicht nur der Rechte des deutschen Reiches sondern die aller Staaten zugefallen.

Mit dem Sieg der deutschen Waffen bricht die von England
beanspruchte Alleinherrschaft über die Meere zusammen und die
Bahn wird endlich frei für ein Seerecht, das seine Normen nicht in
der englischen Ichsucht und Selbstüberhebung findet, sondern in den
gemeinsamen Lebenszwecken der Kulturvölker.

Es muß in diesem Zusammenhange ausdrücklich betont werden, daß
England nur an die Zerstörung der deutschen Handelsflotte denken konnte, wenn
das aus den Tagen der Seeräuberherrschaft überkommene Seebeuterecht in
Geltung blieb. England ist deshalb mit allen Mitteln einer Reform des See¬
kriegsrechtes entgegengetreten. Ein Seekrieg ohne Seebeuterecht war für
England ein Unding; der englische Marinismus ist erst eine Folge des See¬
beuterechts. England konnte gelassen der Entwicklung der deutschen Handels¬
flotte zusehen, das Seebeuterecht gab ihm das „Recht" den Vernichtungsschlag
zu führen. Im Seebeuterecht haben wir also den Keim des Seekrieges zu
suchen, seine Einschränkung oder besser noch seine Beseitigung würde einen
späteren Seekrieg in weite Fernen rücken, wenn nicht unmöglich machen.
Deutlich hat England während der ersten Kriegsmonate zu erkennen gegeben,
daß es seine Kriegsflotte in den Dienst stellt, „rechtmäßig" die deutsche Handels¬
flotte aufzubringen. Auf ein Duell mit der deutschen Kriegsflotte ließ man
sich nicht ein.

Für die Fortentwicklung des Seekriegsrechtes unter Einschränkung des
Seebeuterechtes liegen die Normen in dem VI., VII., XI. und XII. Abkommen
der zweiten Haager Konferenz von 1907 und in der Londoner Deklaration
von 1909 bereits vor.

Im Nahmen der auf der zweiten Haager Konferenz geleisteten Arbeit ist
der Wortlaut des „Abkommens über die Errichtung eines internationalen
Prisenhofes" (XII. Abkommen) als das wichtigste Werk anzusehen.

Der Gedanke eines internationalen Prisenhofes war damals nicht neu.
Schon vor etwa hundert Jahren war er von bedeutenden Völkerrechtstheoretikern
vertreten, aber stets als utopistisch wieder abgetan worden. Selbst der Ein¬
wand, daß sich ein internationaler Prisenhof nicht mit der Souveränität der
Staaten vertrage, wurde gegen ihn geltend gemacht. Der internationale
Prisenhof hätte einen bedeutsamen Fortschritt in der Justizorganisation und
eine Garantie gegen die Übergriffe der nationalen Prisenhöfe mit sich gebracht.
Als man sich aber über die Grundlagen des materiellen Rechts nicht einig
werden konnte — ein Versuch dazu wurde 1909 in der Londoner Deklaration


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[0306] Die deutsche Aufgabe an der Fortentwicklung des Seekriegsrechts und Pariser Frieden überragt oder ob das Seekriegsrecht auf seinem heutigen, die Umgestaltung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht berücksichtigenden Stande stehen bleibt, vielleicht sogar diktatorisch von England bestimmt wird und die Sicherheit des Weltverkehrs noch mehr als früher in Frage stellt. Den deutschen Waffen ist in dem gegenwärtigen Völkerringen die Verteidigung nicht nur der Rechte des deutschen Reiches sondern die aller Staaten zugefallen. Mit dem Sieg der deutschen Waffen bricht die von England beanspruchte Alleinherrschaft über die Meere zusammen und die Bahn wird endlich frei für ein Seerecht, das seine Normen nicht in der englischen Ichsucht und Selbstüberhebung findet, sondern in den gemeinsamen Lebenszwecken der Kulturvölker. Es muß in diesem Zusammenhange ausdrücklich betont werden, daß England nur an die Zerstörung der deutschen Handelsflotte denken konnte, wenn das aus den Tagen der Seeräuberherrschaft überkommene Seebeuterecht in Geltung blieb. England ist deshalb mit allen Mitteln einer Reform des See¬ kriegsrechtes entgegengetreten. Ein Seekrieg ohne Seebeuterecht war für England ein Unding; der englische Marinismus ist erst eine Folge des See¬ beuterechts. England konnte gelassen der Entwicklung der deutschen Handels¬ flotte zusehen, das Seebeuterecht gab ihm das „Recht" den Vernichtungsschlag zu führen. Im Seebeuterecht haben wir also den Keim des Seekrieges zu suchen, seine Einschränkung oder besser noch seine Beseitigung würde einen späteren Seekrieg in weite Fernen rücken, wenn nicht unmöglich machen. Deutlich hat England während der ersten Kriegsmonate zu erkennen gegeben, daß es seine Kriegsflotte in den Dienst stellt, „rechtmäßig" die deutsche Handels¬ flotte aufzubringen. Auf ein Duell mit der deutschen Kriegsflotte ließ man sich nicht ein. Für die Fortentwicklung des Seekriegsrechtes unter Einschränkung des Seebeuterechtes liegen die Normen in dem VI., VII., XI. und XII. Abkommen der zweiten Haager Konferenz von 1907 und in der Londoner Deklaration von 1909 bereits vor. Im Nahmen der auf der zweiten Haager Konferenz geleisteten Arbeit ist der Wortlaut des „Abkommens über die Errichtung eines internationalen Prisenhofes" (XII. Abkommen) als das wichtigste Werk anzusehen. Der Gedanke eines internationalen Prisenhofes war damals nicht neu. Schon vor etwa hundert Jahren war er von bedeutenden Völkerrechtstheoretikern vertreten, aber stets als utopistisch wieder abgetan worden. Selbst der Ein¬ wand, daß sich ein internationaler Prisenhof nicht mit der Souveränität der Staaten vertrage, wurde gegen ihn geltend gemacht. Der internationale Prisenhof hätte einen bedeutsamen Fortschritt in der Justizorganisation und eine Garantie gegen die Übergriffe der nationalen Prisenhöfe mit sich gebracht. Als man sich aber über die Grundlagen des materiellen Rechts nicht einig werden konnte — ein Versuch dazu wurde 1909 in der Londoner Deklaration

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/306>, abgerufen am 20.10.2024.