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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Die Einigung Europas durch den Geist

Goethe seinerseits erwartete von seiner Zeitschrift "Über Kunst und Alter¬
tum" außerordentlich viel für die geistige Einigung der Völker. Er spricht sich
über die Rolle der Presse bei der internationalen geistigen Verständigung so
aus: "Wie durch Schnellposten und Dampfschiffe rücken auch durch Tages-,
Wochen- und Monatsschriften die Nationen mehr aneinander, und ich werde,
solange es mir vergönnt ist, meine Aufmerksamkeit auf diesen wechselseitigen
Austausch zu wenden haben/' Und ein andermal verspricht er Carlyle: "Im
nächsten Stücke von ,Kunst und Altertum' denke ich mich über diese Berührungen
aus der Ferne (es handelt sich um die Aufsätze in den oben erwähnten Zeit¬
schriften) freundlich zu erklären und eine wechselseitige Behandlung meinen aus¬
ländischen und inländischen Freunden bestens zu empfehlen, indem ich das
Testament Johannis als das meinige schließlich ausspreche und als Inhalt aller
Weisheit einschärfe: Kindlein, liebt euch!"

In der Tat weist Goethe 1828 auf die drei Zeitschriften in einer Anzeige
hin und zollt ihnen Anerkennung dafür, daß sie höchst ernst, aufmerksam, mit
Fleiß, umsichtig und allgemein wohlwollend zu Werke gehen, besonders aber
betont er auch hierbei, daß "diese Zeitschriften, wie sie sich nach und nach ein
größeres Publikum gewinnen, zu einer gehofften allgemeinen Weltliteratur auf
das wirksamste beitragen werden; nur wiederholen wir, daß nicht die Rede sein
könne, die Nationen sollen überein denken, sondern sie sollen nur einander
gewahr werden, sich begreifen und, wenn sie sich wechselseitig nicht lieben mögen,
sich einander wenigstens dulden." Auch sonst versucht Goethe die Bekanntschaft
mit der zeitgenössischen englischen Literatur in Deutschland möglichst zu fördern.
Auch Carlyles "German Romance" zeigt er an und wiederholt in dieser Anzeige
jene Worte über die international-einigende Bedeutung einer Weltliteratur und
über die vermittelnde Bedeutung jeder Übersetzertätigkeit, die wir am Anfang
aus einem Briefe an Carlyle angeführt haben. Seines Freundes Schiller¬
biographie, die ins Deutsche übersetzt worden war, versieht er mit einem
empfehlenden Vorwort, das er an die "Gesellschaft für ausländische Literatur in
Berlin" richtet, und erreicht dadurch, daß Carlyle zum auswärtigen Mitgliede
dieser Gesellschaft ernannt wird. Das Diplom wird ihm durch Goethes Ver¬
mittlung übersandt.

Auf deutscher Seite sowohl, wis auch auf englischer Seite hatten sich all¬
mählich Gesellschaften gebildet, die die Bekanntschaft mit dem Geiste fremder
Völker besonders pflegen wollten. Eine Art Gegenstück zu der oben erwähnten
Berliner Gesellschaft war in London, wohin inzwischen Carlyle übergesiedelt
war, die Gesellschaft der Philogermanen entstanden. Ihr gehörten fünfzehn her-
vorragende Vertreter des geistigen England an, Politiker, Dichter und Literaten,
z. B. Walter Scott und Lord Francis Levison-Glower.

Diese Philogermanen betrachteten eingestandenermaßen Goethe als ihren
"geistigen Lehrer", sich selbst als seine "geistigen Schüler", und brachten diese
Gesinnung auch in einer Glückwunschadresse zum Ausdruck, die sie Goethe zum


Grenzboten IV 1914 6
Die Einigung Europas durch den Geist

Goethe seinerseits erwartete von seiner Zeitschrift „Über Kunst und Alter¬
tum" außerordentlich viel für die geistige Einigung der Völker. Er spricht sich
über die Rolle der Presse bei der internationalen geistigen Verständigung so
aus: „Wie durch Schnellposten und Dampfschiffe rücken auch durch Tages-,
Wochen- und Monatsschriften die Nationen mehr aneinander, und ich werde,
solange es mir vergönnt ist, meine Aufmerksamkeit auf diesen wechselseitigen
Austausch zu wenden haben/' Und ein andermal verspricht er Carlyle: „Im
nächsten Stücke von ,Kunst und Altertum' denke ich mich über diese Berührungen
aus der Ferne (es handelt sich um die Aufsätze in den oben erwähnten Zeit¬
schriften) freundlich zu erklären und eine wechselseitige Behandlung meinen aus¬
ländischen und inländischen Freunden bestens zu empfehlen, indem ich das
Testament Johannis als das meinige schließlich ausspreche und als Inhalt aller
Weisheit einschärfe: Kindlein, liebt euch!"

In der Tat weist Goethe 1828 auf die drei Zeitschriften in einer Anzeige
hin und zollt ihnen Anerkennung dafür, daß sie höchst ernst, aufmerksam, mit
Fleiß, umsichtig und allgemein wohlwollend zu Werke gehen, besonders aber
betont er auch hierbei, daß „diese Zeitschriften, wie sie sich nach und nach ein
größeres Publikum gewinnen, zu einer gehofften allgemeinen Weltliteratur auf
das wirksamste beitragen werden; nur wiederholen wir, daß nicht die Rede sein
könne, die Nationen sollen überein denken, sondern sie sollen nur einander
gewahr werden, sich begreifen und, wenn sie sich wechselseitig nicht lieben mögen,
sich einander wenigstens dulden." Auch sonst versucht Goethe die Bekanntschaft
mit der zeitgenössischen englischen Literatur in Deutschland möglichst zu fördern.
Auch Carlyles „German Romance" zeigt er an und wiederholt in dieser Anzeige
jene Worte über die international-einigende Bedeutung einer Weltliteratur und
über die vermittelnde Bedeutung jeder Übersetzertätigkeit, die wir am Anfang
aus einem Briefe an Carlyle angeführt haben. Seines Freundes Schiller¬
biographie, die ins Deutsche übersetzt worden war, versieht er mit einem
empfehlenden Vorwort, das er an die „Gesellschaft für ausländische Literatur in
Berlin" richtet, und erreicht dadurch, daß Carlyle zum auswärtigen Mitgliede
dieser Gesellschaft ernannt wird. Das Diplom wird ihm durch Goethes Ver¬
mittlung übersandt.

Auf deutscher Seite sowohl, wis auch auf englischer Seite hatten sich all¬
mählich Gesellschaften gebildet, die die Bekanntschaft mit dem Geiste fremder
Völker besonders pflegen wollten. Eine Art Gegenstück zu der oben erwähnten
Berliner Gesellschaft war in London, wohin inzwischen Carlyle übergesiedelt
war, die Gesellschaft der Philogermanen entstanden. Ihr gehörten fünfzehn her-
vorragende Vertreter des geistigen England an, Politiker, Dichter und Literaten,
z. B. Walter Scott und Lord Francis Levison-Glower.

Diese Philogermanen betrachteten eingestandenermaßen Goethe als ihren
„geistigen Lehrer", sich selbst als seine „geistigen Schüler", und brachten diese
Gesinnung auch in einer Glückwunschadresse zum Ausdruck, die sie Goethe zum


Grenzboten IV 1914 6
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[0093] Die Einigung Europas durch den Geist Goethe seinerseits erwartete von seiner Zeitschrift „Über Kunst und Alter¬ tum" außerordentlich viel für die geistige Einigung der Völker. Er spricht sich über die Rolle der Presse bei der internationalen geistigen Verständigung so aus: „Wie durch Schnellposten und Dampfschiffe rücken auch durch Tages-, Wochen- und Monatsschriften die Nationen mehr aneinander, und ich werde, solange es mir vergönnt ist, meine Aufmerksamkeit auf diesen wechselseitigen Austausch zu wenden haben/' Und ein andermal verspricht er Carlyle: „Im nächsten Stücke von ,Kunst und Altertum' denke ich mich über diese Berührungen aus der Ferne (es handelt sich um die Aufsätze in den oben erwähnten Zeit¬ schriften) freundlich zu erklären und eine wechselseitige Behandlung meinen aus¬ ländischen und inländischen Freunden bestens zu empfehlen, indem ich das Testament Johannis als das meinige schließlich ausspreche und als Inhalt aller Weisheit einschärfe: Kindlein, liebt euch!" In der Tat weist Goethe 1828 auf die drei Zeitschriften in einer Anzeige hin und zollt ihnen Anerkennung dafür, daß sie höchst ernst, aufmerksam, mit Fleiß, umsichtig und allgemein wohlwollend zu Werke gehen, besonders aber betont er auch hierbei, daß „diese Zeitschriften, wie sie sich nach und nach ein größeres Publikum gewinnen, zu einer gehofften allgemeinen Weltliteratur auf das wirksamste beitragen werden; nur wiederholen wir, daß nicht die Rede sein könne, die Nationen sollen überein denken, sondern sie sollen nur einander gewahr werden, sich begreifen und, wenn sie sich wechselseitig nicht lieben mögen, sich einander wenigstens dulden." Auch sonst versucht Goethe die Bekanntschaft mit der zeitgenössischen englischen Literatur in Deutschland möglichst zu fördern. Auch Carlyles „German Romance" zeigt er an und wiederholt in dieser Anzeige jene Worte über die international-einigende Bedeutung einer Weltliteratur und über die vermittelnde Bedeutung jeder Übersetzertätigkeit, die wir am Anfang aus einem Briefe an Carlyle angeführt haben. Seines Freundes Schiller¬ biographie, die ins Deutsche übersetzt worden war, versieht er mit einem empfehlenden Vorwort, das er an die „Gesellschaft für ausländische Literatur in Berlin" richtet, und erreicht dadurch, daß Carlyle zum auswärtigen Mitgliede dieser Gesellschaft ernannt wird. Das Diplom wird ihm durch Goethes Ver¬ mittlung übersandt. Auf deutscher Seite sowohl, wis auch auf englischer Seite hatten sich all¬ mählich Gesellschaften gebildet, die die Bekanntschaft mit dem Geiste fremder Völker besonders pflegen wollten. Eine Art Gegenstück zu der oben erwähnten Berliner Gesellschaft war in London, wohin inzwischen Carlyle übergesiedelt war, die Gesellschaft der Philogermanen entstanden. Ihr gehörten fünfzehn her- vorragende Vertreter des geistigen England an, Politiker, Dichter und Literaten, z. B. Walter Scott und Lord Francis Levison-Glower. Diese Philogermanen betrachteten eingestandenermaßen Goethe als ihren „geistigen Lehrer", sich selbst als seine „geistigen Schüler", und brachten diese Gesinnung auch in einer Glückwunschadresse zum Ausdruck, die sie Goethe zum Grenzboten IV 1914 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/93>, abgerufen am 02.07.2024.