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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Die Einigung Europas durch den Geist

zeugung jedoch festhält, daß das wahrhaft Verdienstliche sich dadurch aus¬
zeichnet, daß es der ganzen Menschheit angehört."

Unter diesem Gesichtspunkte würdigt Goethe die Übersetzertätigkeit Carlyles.
er würdigt sie als eine Vermittlung der Besonderheit deutschen Geistes und
seiner Werke um des allgemeinen menschlichen Gehaltes willen, der in ihnen
verborgen liegt und die Nationen verknüpfen soll.

Bei Carlyle findet er auch Verständnis und Begeisterung sür diese An¬
schauungen. In seiner Antwort auf jene "freundliche und ernste Epistel" dankt
jener ihm im besonderen für die Ideen über die Richtung der modernen
Dichtung darauf, einen freieren geistigen Verkehr zwischen den Völkern zu be¬
fördern: "Soweit ich bis jetzt ihre volle Bedeutung erfaßt habe, fordern sie
meine ganze Zustimmung, ja, vielleicht sprechen sie viel für mich aus, wofür
mir sonst die Worte gefehlt hätten."

Und Carlyle unterläßt es auch nicht im Sinne Goethes zu wirken. In
fast jedem Briefe, den er nach Weimar sendet, gibt er einen Bericht über das
Vordringen seiner Übersetzungen Goethischer Werke im englischen Publikum
oder über das wachsende Interesse der Engländer für die sonstige deutsche
Literatur. Er selbst macht in kleineren Aufsätzen über Zacharias Werner,
Heine, über den "Zustand der deutschen Literatur" seine Volksgenossen auf die
Vorgänge im literarischen Deutschland aufmerksam und erwirbt besondere An¬
erkennung Goethes und Eckermanns durch einen Aufsatz über das Zwischenspiel
Helena, jene "klassisch-romantische Phantasmagorie" aus dem zweiten Teile des
Faust, die Goethe 1827 veröffentlichte.

So konnte denn Carlyle an Goethe mit folgenden Worten über das Fort¬
schreiten des deutschen Geistes in England berichten: "Seit meiner Zeit, das
heißt, innerhalb der letzten sechs Jahre, könnte ich fast sagen, daß die Kenner
Ihrer Sprache ums zehnfache angewachsen sind, und mit den Kennern die
Bewunderer, denn bei allen Geistern von irgendwelcher Begabung sind diese
Bezeichnungen nach dem gegenwärtigen Stande der Dinge gleichbedeutend."
Ja. Carlyle erwähnt, daß sogar auf den "Burgen des englischen Jnselstolzes
und Vorurteils" in Cambridge und Oxford schon "zwei oder drei Deutsche
Beschäftigung als Lehrer ihrer Sprache fanden".

Beiden Männern, Carlyle sowohl, als auch Goethe war es schon damals
klar, welche wichtige Rolle der Presse bei einem solchen internationalen Geistes¬
austausch, wie sie ihn erstrebten, zufallen müßte.

In England bemühten sich vamals in erster Reihe drei Zeitschriften darum,
das Interesse für ausländische Geisteskultur bei dem englischen Publikum zu
erwecken und wachzuhalten, die Edinburgh Review. die Foreign Quarterly
Review und die Foreign Review. In beiden erschienen aus berühmter Feder
Aufsätze über deutsche Literatur. So schrieb z. B. Walter Scott über E. T. A.
Hoffmann. Mit der letztgenannten von diesen Zeitschriften stand auch Carlyle
in Beziehung.


Die Einigung Europas durch den Geist

zeugung jedoch festhält, daß das wahrhaft Verdienstliche sich dadurch aus¬
zeichnet, daß es der ganzen Menschheit angehört."

Unter diesem Gesichtspunkte würdigt Goethe die Übersetzertätigkeit Carlyles.
er würdigt sie als eine Vermittlung der Besonderheit deutschen Geistes und
seiner Werke um des allgemeinen menschlichen Gehaltes willen, der in ihnen
verborgen liegt und die Nationen verknüpfen soll.

Bei Carlyle findet er auch Verständnis und Begeisterung sür diese An¬
schauungen. In seiner Antwort auf jene „freundliche und ernste Epistel" dankt
jener ihm im besonderen für die Ideen über die Richtung der modernen
Dichtung darauf, einen freieren geistigen Verkehr zwischen den Völkern zu be¬
fördern: „Soweit ich bis jetzt ihre volle Bedeutung erfaßt habe, fordern sie
meine ganze Zustimmung, ja, vielleicht sprechen sie viel für mich aus, wofür
mir sonst die Worte gefehlt hätten."

Und Carlyle unterläßt es auch nicht im Sinne Goethes zu wirken. In
fast jedem Briefe, den er nach Weimar sendet, gibt er einen Bericht über das
Vordringen seiner Übersetzungen Goethischer Werke im englischen Publikum
oder über das wachsende Interesse der Engländer für die sonstige deutsche
Literatur. Er selbst macht in kleineren Aufsätzen über Zacharias Werner,
Heine, über den „Zustand der deutschen Literatur" seine Volksgenossen auf die
Vorgänge im literarischen Deutschland aufmerksam und erwirbt besondere An¬
erkennung Goethes und Eckermanns durch einen Aufsatz über das Zwischenspiel
Helena, jene „klassisch-romantische Phantasmagorie" aus dem zweiten Teile des
Faust, die Goethe 1827 veröffentlichte.

So konnte denn Carlyle an Goethe mit folgenden Worten über das Fort¬
schreiten des deutschen Geistes in England berichten: „Seit meiner Zeit, das
heißt, innerhalb der letzten sechs Jahre, könnte ich fast sagen, daß die Kenner
Ihrer Sprache ums zehnfache angewachsen sind, und mit den Kennern die
Bewunderer, denn bei allen Geistern von irgendwelcher Begabung sind diese
Bezeichnungen nach dem gegenwärtigen Stande der Dinge gleichbedeutend."
Ja. Carlyle erwähnt, daß sogar auf den „Burgen des englischen Jnselstolzes
und Vorurteils" in Cambridge und Oxford schon „zwei oder drei Deutsche
Beschäftigung als Lehrer ihrer Sprache fanden".

Beiden Männern, Carlyle sowohl, als auch Goethe war es schon damals
klar, welche wichtige Rolle der Presse bei einem solchen internationalen Geistes¬
austausch, wie sie ihn erstrebten, zufallen müßte.

In England bemühten sich vamals in erster Reihe drei Zeitschriften darum,
das Interesse für ausländische Geisteskultur bei dem englischen Publikum zu
erwecken und wachzuhalten, die Edinburgh Review. die Foreign Quarterly
Review und die Foreign Review. In beiden erschienen aus berühmter Feder
Aufsätze über deutsche Literatur. So schrieb z. B. Walter Scott über E. T. A.
Hoffmann. Mit der letztgenannten von diesen Zeitschriften stand auch Carlyle
in Beziehung.


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[0092] Die Einigung Europas durch den Geist zeugung jedoch festhält, daß das wahrhaft Verdienstliche sich dadurch aus¬ zeichnet, daß es der ganzen Menschheit angehört." Unter diesem Gesichtspunkte würdigt Goethe die Übersetzertätigkeit Carlyles. er würdigt sie als eine Vermittlung der Besonderheit deutschen Geistes und seiner Werke um des allgemeinen menschlichen Gehaltes willen, der in ihnen verborgen liegt und die Nationen verknüpfen soll. Bei Carlyle findet er auch Verständnis und Begeisterung sür diese An¬ schauungen. In seiner Antwort auf jene „freundliche und ernste Epistel" dankt jener ihm im besonderen für die Ideen über die Richtung der modernen Dichtung darauf, einen freieren geistigen Verkehr zwischen den Völkern zu be¬ fördern: „Soweit ich bis jetzt ihre volle Bedeutung erfaßt habe, fordern sie meine ganze Zustimmung, ja, vielleicht sprechen sie viel für mich aus, wofür mir sonst die Worte gefehlt hätten." Und Carlyle unterläßt es auch nicht im Sinne Goethes zu wirken. In fast jedem Briefe, den er nach Weimar sendet, gibt er einen Bericht über das Vordringen seiner Übersetzungen Goethischer Werke im englischen Publikum oder über das wachsende Interesse der Engländer für die sonstige deutsche Literatur. Er selbst macht in kleineren Aufsätzen über Zacharias Werner, Heine, über den „Zustand der deutschen Literatur" seine Volksgenossen auf die Vorgänge im literarischen Deutschland aufmerksam und erwirbt besondere An¬ erkennung Goethes und Eckermanns durch einen Aufsatz über das Zwischenspiel Helena, jene „klassisch-romantische Phantasmagorie" aus dem zweiten Teile des Faust, die Goethe 1827 veröffentlichte. So konnte denn Carlyle an Goethe mit folgenden Worten über das Fort¬ schreiten des deutschen Geistes in England berichten: „Seit meiner Zeit, das heißt, innerhalb der letzten sechs Jahre, könnte ich fast sagen, daß die Kenner Ihrer Sprache ums zehnfache angewachsen sind, und mit den Kennern die Bewunderer, denn bei allen Geistern von irgendwelcher Begabung sind diese Bezeichnungen nach dem gegenwärtigen Stande der Dinge gleichbedeutend." Ja. Carlyle erwähnt, daß sogar auf den „Burgen des englischen Jnselstolzes und Vorurteils" in Cambridge und Oxford schon „zwei oder drei Deutsche Beschäftigung als Lehrer ihrer Sprache fanden". Beiden Männern, Carlyle sowohl, als auch Goethe war es schon damals klar, welche wichtige Rolle der Presse bei einem solchen internationalen Geistes¬ austausch, wie sie ihn erstrebten, zufallen müßte. In England bemühten sich vamals in erster Reihe drei Zeitschriften darum, das Interesse für ausländische Geisteskultur bei dem englischen Publikum zu erwecken und wachzuhalten, die Edinburgh Review. die Foreign Quarterly Review und die Foreign Review. In beiden erschienen aus berühmter Feder Aufsätze über deutsche Literatur. So schrieb z. B. Walter Scott über E. T. A. Hoffmann. Mit der letztgenannten von diesen Zeitschriften stand auch Carlyle in Beziehung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/92>, abgerufen am 02.07.2024.