Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.Sie Einigung Europas durch den Geist durchströmt hatte". Der junge Gelehrte war Thomas Carlyle, und er über¬ Goethe schätzte die geistige Bedeutung seines jungen englischen Verehrers Daher entwickelt der Weimarer Altmeister in dem Briefwechsel, der sich Er nähert sich dabei der Idee der Kulturgemeinschaft und des Weltfriedens als Der Weg, auf dem die geistige Annäherung der Völker sich vollziehen müßte, "Eine wahrhaft allgemeine Duldung wird am sichersten erreicht, wenn man Sie Einigung Europas durch den Geist durchströmt hatte". Der junge Gelehrte war Thomas Carlyle, und er über¬ Goethe schätzte die geistige Bedeutung seines jungen englischen Verehrers Daher entwickelt der Weimarer Altmeister in dem Briefwechsel, der sich Er nähert sich dabei der Idee der Kulturgemeinschaft und des Weltfriedens als Der Weg, auf dem die geistige Annäherung der Völker sich vollziehen müßte, „Eine wahrhaft allgemeine Duldung wird am sichersten erreicht, wenn man <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0091" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329319"/> <fw type="header" place="top"> Sie Einigung Europas durch den Geist</fw><lb/> <p xml:id="ID_229" prev="#ID_228"> durchströmt hatte". Der junge Gelehrte war Thomas Carlyle, und er über¬<lb/> sandte damals dem Weimarer Altmeister seine englische Übersetzung von Wilhelm<lb/> Meisters Lehrjahren (Wilhelm Meisters Apprenticeship, 3 Bände, Edinburg 1824).<lb/> Im Jahre 1827 übersandte Carlvle dann mit einem zweiten Briefe auch sein<lb/> „Leben Schillers" (Life of Schiller, London 1825) und seine „Proben deutscher<lb/> Romane" (German Romance, 4 Bände, Edinburg 1827) an Goethe. Im<lb/> vierten Bande dieses letzten Werkes befand sich die Übersetzung von Wilhelm<lb/> Meisters Wanderjahren.</p><lb/> <p xml:id="ID_230"> Goethe schätzte die geistige Bedeutung seines jungen englischen Verehrers<lb/> richtig ein und erkannte auch die Bedeutung, die die Tätigkeit eines solchen<lb/> Übersetzers für den geistigen Austausch und dadurch für die kulturelle Annäherung<lb/> zwischen zwei Völkern wie das englische und das deutsche haben muß. Es ist<lb/> nach seiner Überzeugung eben jeder Übersetzer so anzusehen, „daß er sich als<lb/> Vermittler dieses allgemein geistigen Handels bemüht und den Wechseltausch zu<lb/> befördern sich zum Geschäft macht".</p><lb/> <p xml:id="ID_231"> Daher entwickelt der Weimarer Altmeister in dem Briefwechsel, der sich<lb/> nun im Anschluß an Carlyles Sendungen zwischen ihnen entspinnt, dem<lb/> Engländer seine Ansichten über die geistige Annäherung der Nationen, zunächst<lb/> Englands und Deutschlands, und deren Bedeutung für den Weltfrieden in einer<lb/> Ausführlichkeit, wie kaum irgendwo anders.</p><lb/> <p xml:id="ID_232"> Er nähert sich dabei der Idee der Kulturgemeinschaft und des Weltfriedens als<lb/> echtes Kind seines Zeitalters, dem realpolitische Gesichtspunkte hinter den ideal¬<lb/> philosophischen zurücktraten, von der künstlerisch-literarischen Seite her. Er findet,<lb/> daß „das Bestreben der besten Dichter und ästhetischen Schriftsteller aller<lb/> Nationen schon seit geraumer Zeit auf das allgemein Menschliche gerichtet" sei,<lb/> und er zögert zwar noch, daran die Hoffnung zu knüpfen, „daß ein allgemeiner<lb/> Friede dadurch sich einleiten werde", wohl aber erwartet er, „daß der unver¬<lb/> meidliche Streit nach und nach läßlicher werde, der Krieg weniger grausam,<lb/> der Sieg weniger übermütig". Ja, der Weimarer Künstler - Idealist geht so<lb/> weit, daß er sich ausmalt, wie die Welt, wie Europa vor allem „in der<lb/> Gemeinschaft seiner vornehmsten Schriftsteller wieder einen heiligen Rat und eine<lb/> Versammlung der AmplMyonen haben und mehr und mehr ein allumfassendes<lb/> Gemeinwesen werden sollte".</p><lb/> <p xml:id="ID_233"> Der Weg, auf dem die geistige Annäherung der Völker sich vollziehen müßte,<lb/> erschien Goethe als der folgende: „Was nun in den Dichtungen aller Nationen<lb/> hierauf hindeutet und hinwirkt, dies ist es, was die übrigen sich anzueignen<lb/> haben. Die Besonderheiten einer jeden muß man kennen lernen, um sie ihr<lb/> zu lassen, um gerade dadurch mit ihr zu verkehren; denn die Eigenheiten einer<lb/> Nation sind wie ihre Sprache und ihre Münzsorten, sie erleichtern den Verkehr,<lb/> ja sie machen ihn erst vollkommen möglich."</p><lb/> <p xml:id="ID_234" next="#ID_235"> „Eine wahrhaft allgemeine Duldung wird am sichersten erreicht, wenn man<lb/> das Besondere des einzelnen Menschen auf sich beruhen läßt, bei der Über-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0091]
Sie Einigung Europas durch den Geist
durchströmt hatte". Der junge Gelehrte war Thomas Carlyle, und er über¬
sandte damals dem Weimarer Altmeister seine englische Übersetzung von Wilhelm
Meisters Lehrjahren (Wilhelm Meisters Apprenticeship, 3 Bände, Edinburg 1824).
Im Jahre 1827 übersandte Carlvle dann mit einem zweiten Briefe auch sein
„Leben Schillers" (Life of Schiller, London 1825) und seine „Proben deutscher
Romane" (German Romance, 4 Bände, Edinburg 1827) an Goethe. Im
vierten Bande dieses letzten Werkes befand sich die Übersetzung von Wilhelm
Meisters Wanderjahren.
Goethe schätzte die geistige Bedeutung seines jungen englischen Verehrers
richtig ein und erkannte auch die Bedeutung, die die Tätigkeit eines solchen
Übersetzers für den geistigen Austausch und dadurch für die kulturelle Annäherung
zwischen zwei Völkern wie das englische und das deutsche haben muß. Es ist
nach seiner Überzeugung eben jeder Übersetzer so anzusehen, „daß er sich als
Vermittler dieses allgemein geistigen Handels bemüht und den Wechseltausch zu
befördern sich zum Geschäft macht".
Daher entwickelt der Weimarer Altmeister in dem Briefwechsel, der sich
nun im Anschluß an Carlyles Sendungen zwischen ihnen entspinnt, dem
Engländer seine Ansichten über die geistige Annäherung der Nationen, zunächst
Englands und Deutschlands, und deren Bedeutung für den Weltfrieden in einer
Ausführlichkeit, wie kaum irgendwo anders.
Er nähert sich dabei der Idee der Kulturgemeinschaft und des Weltfriedens als
echtes Kind seines Zeitalters, dem realpolitische Gesichtspunkte hinter den ideal¬
philosophischen zurücktraten, von der künstlerisch-literarischen Seite her. Er findet,
daß „das Bestreben der besten Dichter und ästhetischen Schriftsteller aller
Nationen schon seit geraumer Zeit auf das allgemein Menschliche gerichtet" sei,
und er zögert zwar noch, daran die Hoffnung zu knüpfen, „daß ein allgemeiner
Friede dadurch sich einleiten werde", wohl aber erwartet er, „daß der unver¬
meidliche Streit nach und nach läßlicher werde, der Krieg weniger grausam,
der Sieg weniger übermütig". Ja, der Weimarer Künstler - Idealist geht so
weit, daß er sich ausmalt, wie die Welt, wie Europa vor allem „in der
Gemeinschaft seiner vornehmsten Schriftsteller wieder einen heiligen Rat und eine
Versammlung der AmplMyonen haben und mehr und mehr ein allumfassendes
Gemeinwesen werden sollte".
Der Weg, auf dem die geistige Annäherung der Völker sich vollziehen müßte,
erschien Goethe als der folgende: „Was nun in den Dichtungen aller Nationen
hierauf hindeutet und hinwirkt, dies ist es, was die übrigen sich anzueignen
haben. Die Besonderheiten einer jeden muß man kennen lernen, um sie ihr
zu lassen, um gerade dadurch mit ihr zu verkehren; denn die Eigenheiten einer
Nation sind wie ihre Sprache und ihre Münzsorten, sie erleichtern den Verkehr,
ja sie machen ihn erst vollkommen möglich."
„Eine wahrhaft allgemeine Duldung wird am sichersten erreicht, wenn man
das Besondere des einzelnen Menschen auf sich beruhen läßt, bei der Über-
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