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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Mlitärgcographische Skizze der russischen Gstseeküste

Petrograd--Peterstadt zusammengeschrumpft ist (vgl. Heft 36, S. 376). Die
Südküste des finnischen Meerbusens bis zum Kap Spithamn bildet der schon
öfters erwähnte Steilrand des Kalksteinplateaus mit einer durchschnittlichen Höhe
von 50 Metern; zahlreiche flache Buchten und ungezählte Inseln verdanken ihren
Ursprung der vordringenden abradierenden Tätigkeit der Meereswogen, so daß
auch an dieser Küstenstrecke die Schiffahrt nicht leicht ist. Denselben Charakter
zeigt die Westküste Estlands mit den vorliegenden Inseln Dagö und Ösel, mit
vielen Klippen und Untiefen. Aber auch die flachen, oft sumpfigen Küsten
der Rigaer Bucht sind der Annäherung von Kriegsschiffen nicht günstig. Der
niedrigen Ostküste von der Mündung der Dura an bis zur Bucht von Pernau
sind Sandbänke vorgelagert. Die geschlängelte kurische Aa, sowie Strandseen
und Moore begleiten beispielsweise den Rigaschen Strand mit den bekannten
Bädern Majorenhof und Dubbeln. Das letzte Küstenstück vom Kap Domesnäs
bis zur deutschen Grenze, das die offene Ostsee säumt, ist meist flach und von
teilweise recht hohen Dünen besetzt. Wanderdünen haben zuweilen ganze Dörfer
verschüttet. Sandbänke und Untiefen erschweren auch hier das Landen feind>
licher Schiffe.

Um die strategische Bedeutung dieser Küsten vollständig und klar erfassen
zu können, müssen wir noch die klimatischen Verhältnisse betrachten, die gerade
hier wegen des Wintereises eine wichtige Rolle spielen. So müssen sie als
ein gleichwertiger Faktor den morphologischen Betrachtungen folgen. Hier
interessieren uns nur die Temperaturverhältnisse, über die ein Blick auf
Isothermenkarten des Juli und Januar belehrt. Da Wasserflächen schwerer
Wärme ausnehmen als Land, sie aber dann sehr viel energischer festzuhalten
vermögen, kommt der Einfluß der Ostsee auf die Erwärmung der Küstenländer
in den Herbst- und den ersten Wintermonaten im Verlauf der Isothermen
deutlich zum Ausdruck. Sie zeigen alle einen auffälligen Knick nach Norden
hin und selbst eine deutliche Biegung in die finnische und Rigaer Bucht hinein.
Während beispielsweise die 0° Isotherme im südlichen Teil der Ostsee einen
weiten Bogen nach Osten bis zum Meridian von Gotland beschreibt, an der
deutschen Ostseeküste entlang läuft, und erst bei Lübeck das Festland betritt,
zieht sich die -- 5° Isotherme von Christiania durch Mittelschweden hoch in
den bottnischen Meerbusen bis zu den Quurkeninseln hinauf und läuft dann
an der Küste von Finnland und des Rigaschen Meerbusen entlang nach Süden.
So hat der Zug der Isothermen, der ja theoretisch den Breitenkreisen folgen
sollte, durch den erwärmenden Einfluß der Ostsee im Winter eine Anordnung
in nordsüdlicher Richtung. Im Frühjahr und Sommer ist es umgekehrt.
Besonders im Frühling wirkt die schließlich doch eintretende starke Abkühlung
des Ostseewassers sehr verzögernd auf die Vegetationsentfaltung, und der Winter
zeigt oft Rückfälle. Die Isothermen lassen im Juli starke Ausbiegungen nach
Süden erkennen. Die 16° Isotherme geht z. B. von Stockholm über Gotland
bis zum 65° hinunter, um dann wieder mit einem Knick in den finnischen


Mlitärgcographische Skizze der russischen Gstseeküste

Petrograd—Peterstadt zusammengeschrumpft ist (vgl. Heft 36, S. 376). Die
Südküste des finnischen Meerbusens bis zum Kap Spithamn bildet der schon
öfters erwähnte Steilrand des Kalksteinplateaus mit einer durchschnittlichen Höhe
von 50 Metern; zahlreiche flache Buchten und ungezählte Inseln verdanken ihren
Ursprung der vordringenden abradierenden Tätigkeit der Meereswogen, so daß
auch an dieser Küstenstrecke die Schiffahrt nicht leicht ist. Denselben Charakter
zeigt die Westküste Estlands mit den vorliegenden Inseln Dagö und Ösel, mit
vielen Klippen und Untiefen. Aber auch die flachen, oft sumpfigen Küsten
der Rigaer Bucht sind der Annäherung von Kriegsschiffen nicht günstig. Der
niedrigen Ostküste von der Mündung der Dura an bis zur Bucht von Pernau
sind Sandbänke vorgelagert. Die geschlängelte kurische Aa, sowie Strandseen
und Moore begleiten beispielsweise den Rigaschen Strand mit den bekannten
Bädern Majorenhof und Dubbeln. Das letzte Küstenstück vom Kap Domesnäs
bis zur deutschen Grenze, das die offene Ostsee säumt, ist meist flach und von
teilweise recht hohen Dünen besetzt. Wanderdünen haben zuweilen ganze Dörfer
verschüttet. Sandbänke und Untiefen erschweren auch hier das Landen feind>
licher Schiffe.

Um die strategische Bedeutung dieser Küsten vollständig und klar erfassen
zu können, müssen wir noch die klimatischen Verhältnisse betrachten, die gerade
hier wegen des Wintereises eine wichtige Rolle spielen. So müssen sie als
ein gleichwertiger Faktor den morphologischen Betrachtungen folgen. Hier
interessieren uns nur die Temperaturverhältnisse, über die ein Blick auf
Isothermenkarten des Juli und Januar belehrt. Da Wasserflächen schwerer
Wärme ausnehmen als Land, sie aber dann sehr viel energischer festzuhalten
vermögen, kommt der Einfluß der Ostsee auf die Erwärmung der Küstenländer
in den Herbst- und den ersten Wintermonaten im Verlauf der Isothermen
deutlich zum Ausdruck. Sie zeigen alle einen auffälligen Knick nach Norden
hin und selbst eine deutliche Biegung in die finnische und Rigaer Bucht hinein.
Während beispielsweise die 0° Isotherme im südlichen Teil der Ostsee einen
weiten Bogen nach Osten bis zum Meridian von Gotland beschreibt, an der
deutschen Ostseeküste entlang läuft, und erst bei Lübeck das Festland betritt,
zieht sich die — 5° Isotherme von Christiania durch Mittelschweden hoch in
den bottnischen Meerbusen bis zu den Quurkeninseln hinauf und läuft dann
an der Küste von Finnland und des Rigaschen Meerbusen entlang nach Süden.
So hat der Zug der Isothermen, der ja theoretisch den Breitenkreisen folgen
sollte, durch den erwärmenden Einfluß der Ostsee im Winter eine Anordnung
in nordsüdlicher Richtung. Im Frühjahr und Sommer ist es umgekehrt.
Besonders im Frühling wirkt die schließlich doch eintretende starke Abkühlung
des Ostseewassers sehr verzögernd auf die Vegetationsentfaltung, und der Winter
zeigt oft Rückfälle. Die Isothermen lassen im Juli starke Ausbiegungen nach
Süden erkennen. Die 16° Isotherme geht z. B. von Stockholm über Gotland
bis zum 65° hinunter, um dann wieder mit einem Knick in den finnischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/83>, abgerufen am 02.07.2024.