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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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von den Deutschen

Ungebundenheit. Das Gesetz, die Unerbittlichkeit eines inneren formalen Antriebs,
durchleuchtet aber unser ganzes Sein. Fundamental ist unsere Sprache, deutsches
Satzgefüge ist ein Hallenbau: wir zerreißen das Prädikat, um die anderen
Satzglieder in logischer Folge wie zwischen Säulen einzufügen. Die Präzision
unseres Ausdrucks, die gerade Linie, auf der wir überall, auch im Denken, zum
Ziele schreiten, bedeutet aber etwa dem Slawen Gewaltsamkeit. Er will gleiten,
nicht scharf umbiegen: so schreibt er denn mit Vorliebe lose Meditationen,
ornamental, in runden Schriftzeichen, wenn wir in eckigen Zügen haarscharfe
Gedanken zu Papier bringen; so baut er Kuppeln, wenn bei uns Strebepfeiler
und schlanke Türme gen Himmel weisen. Verständnislos hätte der Nüsse,
wenn er in das ehrwürdige Königsberg an unserer Grenze eingezogen wäre,
in der Stoa Kantiana über dem Grabe Kants, die für unser Volk nicht minder
als für ihn charakteristischen Worte aus der "Kritik der praktischen Vernunft"
gelesen:


"Der gestirnte Himmel über mir,
das moralische Gesetz in mir."

Männliche Kraft und Aristokratie des Geistes spricht als Erfüllung des Gesetzes
aus der Seele unseres Volkes. Was uns für die Pflege dieser unserer Eigenart
der "Militarismus" bedeutet, ahnen die Ausländer nicht von ferne. Sein
tiefster Sinn liegt für uns im erzieherischen Moment. Er tötet nicht, sondern
schafft die Freiheit, indem er das Volk bis zu seinem letzten Gliede mit der
Idee des überindividuellen Wertes "Staat" erfüllt, die nur realisiert werden
kann auf der Grundlage des moralischen Gesetzes in uns, dem Wesensausdruck
der Vernunft.

Wenn wir in den bisher erwähnten Vorwürfen immer beobachten konnten,
daß die positive Seite der bemängelten Charaktereigenschaften der Deutschen
von unseren Gegnern geflissentlich übersehen wurde, so könnte man uns doch
entgegenhalten, daß die bei Deutschen oft beobachtete leichte Aufgabe ihrer
Nationalität im Auslande in jeder Weise gegen den Deutschen spricht. Offen¬
bar ist das Deutschtum nicht so wertvoll, wenn es ohne weiteres preisgegeben
wird, anderseits spricht daraus ein Mangel an Stolz, der besonders dem
Engländer ganz unverständlich ist. Sehen wir näher zu, so ergibt sich, daß die
sogenannte Aufgabe der Nationalität meistens rein äußerlicher Natur ist und
nur für bestimmte Kategorien unserer Landsleute gilt. Ganz allgemein wird
sie nahegelegt durch den oft dem Neide entspringenden Haß, der uns
entgegengebracht wird und dem schwache Naturen nicht gewachsen sind.
Es gibt aber auch hierfür einen Grund, der in einer Tugend wurzelt.
Der Deutsche hat anerkanntermaßen viel Verständnis für fremdes Wesen,
mehr als irgendein anderes Volk der Welt. Er bemüht sich in fremde
Sprachen einzudringen, wobei er wiederum weniger Wert legt auf die
Beherrschung der äußeren Form, worin ihm die Russen überlegen sind, als
auf die Erfassung des inneren Baues und somit des Geistes der Sprache;


von den Deutschen

Ungebundenheit. Das Gesetz, die Unerbittlichkeit eines inneren formalen Antriebs,
durchleuchtet aber unser ganzes Sein. Fundamental ist unsere Sprache, deutsches
Satzgefüge ist ein Hallenbau: wir zerreißen das Prädikat, um die anderen
Satzglieder in logischer Folge wie zwischen Säulen einzufügen. Die Präzision
unseres Ausdrucks, die gerade Linie, auf der wir überall, auch im Denken, zum
Ziele schreiten, bedeutet aber etwa dem Slawen Gewaltsamkeit. Er will gleiten,
nicht scharf umbiegen: so schreibt er denn mit Vorliebe lose Meditationen,
ornamental, in runden Schriftzeichen, wenn wir in eckigen Zügen haarscharfe
Gedanken zu Papier bringen; so baut er Kuppeln, wenn bei uns Strebepfeiler
und schlanke Türme gen Himmel weisen. Verständnislos hätte der Nüsse,
wenn er in das ehrwürdige Königsberg an unserer Grenze eingezogen wäre,
in der Stoa Kantiana über dem Grabe Kants, die für unser Volk nicht minder
als für ihn charakteristischen Worte aus der „Kritik der praktischen Vernunft"
gelesen:


„Der gestirnte Himmel über mir,
das moralische Gesetz in mir."

Männliche Kraft und Aristokratie des Geistes spricht als Erfüllung des Gesetzes
aus der Seele unseres Volkes. Was uns für die Pflege dieser unserer Eigenart
der „Militarismus" bedeutet, ahnen die Ausländer nicht von ferne. Sein
tiefster Sinn liegt für uns im erzieherischen Moment. Er tötet nicht, sondern
schafft die Freiheit, indem er das Volk bis zu seinem letzten Gliede mit der
Idee des überindividuellen Wertes „Staat" erfüllt, die nur realisiert werden
kann auf der Grundlage des moralischen Gesetzes in uns, dem Wesensausdruck
der Vernunft.

Wenn wir in den bisher erwähnten Vorwürfen immer beobachten konnten,
daß die positive Seite der bemängelten Charaktereigenschaften der Deutschen
von unseren Gegnern geflissentlich übersehen wurde, so könnte man uns doch
entgegenhalten, daß die bei Deutschen oft beobachtete leichte Aufgabe ihrer
Nationalität im Auslande in jeder Weise gegen den Deutschen spricht. Offen¬
bar ist das Deutschtum nicht so wertvoll, wenn es ohne weiteres preisgegeben
wird, anderseits spricht daraus ein Mangel an Stolz, der besonders dem
Engländer ganz unverständlich ist. Sehen wir näher zu, so ergibt sich, daß die
sogenannte Aufgabe der Nationalität meistens rein äußerlicher Natur ist und
nur für bestimmte Kategorien unserer Landsleute gilt. Ganz allgemein wird
sie nahegelegt durch den oft dem Neide entspringenden Haß, der uns
entgegengebracht wird und dem schwache Naturen nicht gewachsen sind.
Es gibt aber auch hierfür einen Grund, der in einer Tugend wurzelt.
Der Deutsche hat anerkanntermaßen viel Verständnis für fremdes Wesen,
mehr als irgendein anderes Volk der Welt. Er bemüht sich in fremde
Sprachen einzudringen, wobei er wiederum weniger Wert legt auf die
Beherrschung der äußeren Form, worin ihm die Russen überlegen sind, als
auf die Erfassung des inneren Baues und somit des Geistes der Sprache;


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[0069] von den Deutschen Ungebundenheit. Das Gesetz, die Unerbittlichkeit eines inneren formalen Antriebs, durchleuchtet aber unser ganzes Sein. Fundamental ist unsere Sprache, deutsches Satzgefüge ist ein Hallenbau: wir zerreißen das Prädikat, um die anderen Satzglieder in logischer Folge wie zwischen Säulen einzufügen. Die Präzision unseres Ausdrucks, die gerade Linie, auf der wir überall, auch im Denken, zum Ziele schreiten, bedeutet aber etwa dem Slawen Gewaltsamkeit. Er will gleiten, nicht scharf umbiegen: so schreibt er denn mit Vorliebe lose Meditationen, ornamental, in runden Schriftzeichen, wenn wir in eckigen Zügen haarscharfe Gedanken zu Papier bringen; so baut er Kuppeln, wenn bei uns Strebepfeiler und schlanke Türme gen Himmel weisen. Verständnislos hätte der Nüsse, wenn er in das ehrwürdige Königsberg an unserer Grenze eingezogen wäre, in der Stoa Kantiana über dem Grabe Kants, die für unser Volk nicht minder als für ihn charakteristischen Worte aus der „Kritik der praktischen Vernunft" gelesen: „Der gestirnte Himmel über mir, das moralische Gesetz in mir." Männliche Kraft und Aristokratie des Geistes spricht als Erfüllung des Gesetzes aus der Seele unseres Volkes. Was uns für die Pflege dieser unserer Eigenart der „Militarismus" bedeutet, ahnen die Ausländer nicht von ferne. Sein tiefster Sinn liegt für uns im erzieherischen Moment. Er tötet nicht, sondern schafft die Freiheit, indem er das Volk bis zu seinem letzten Gliede mit der Idee des überindividuellen Wertes „Staat" erfüllt, die nur realisiert werden kann auf der Grundlage des moralischen Gesetzes in uns, dem Wesensausdruck der Vernunft. Wenn wir in den bisher erwähnten Vorwürfen immer beobachten konnten, daß die positive Seite der bemängelten Charaktereigenschaften der Deutschen von unseren Gegnern geflissentlich übersehen wurde, so könnte man uns doch entgegenhalten, daß die bei Deutschen oft beobachtete leichte Aufgabe ihrer Nationalität im Auslande in jeder Weise gegen den Deutschen spricht. Offen¬ bar ist das Deutschtum nicht so wertvoll, wenn es ohne weiteres preisgegeben wird, anderseits spricht daraus ein Mangel an Stolz, der besonders dem Engländer ganz unverständlich ist. Sehen wir näher zu, so ergibt sich, daß die sogenannte Aufgabe der Nationalität meistens rein äußerlicher Natur ist und nur für bestimmte Kategorien unserer Landsleute gilt. Ganz allgemein wird sie nahegelegt durch den oft dem Neide entspringenden Haß, der uns entgegengebracht wird und dem schwache Naturen nicht gewachsen sind. Es gibt aber auch hierfür einen Grund, der in einer Tugend wurzelt. Der Deutsche hat anerkanntermaßen viel Verständnis für fremdes Wesen, mehr als irgendein anderes Volk der Welt. Er bemüht sich in fremde Sprachen einzudringen, wobei er wiederum weniger Wert legt auf die Beherrschung der äußeren Form, worin ihm die Russen überlegen sind, als auf die Erfassung des inneren Baues und somit des Geistes der Sprache;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/69>, abgerufen am 02.07.2024.