Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
von den Deutschon

die in unhöflicher Entgegnung ihren Ausdruck findet. Sie ist fast
immer eine Äußerung des Zorns und der Zorn ist tatsächlich ein
"deutscher" Affekt. Dies erklärt sich nicht etwa aus einer besonders leichten
Anspruchsfähigkeit des Nervensystems, die dem Südländer in viel höherem Grade
eigen ist als uns, sondern durch die sittliche Orientierung unserer Psyche. Wir
reagieren nicht so sehr auf einen Ausspruch oder eine Handlung in ihrer ober¬
flächlichen Bedeutung, sondern wir sehen gleich hinter die Kulissen, suchen die
zugrundeliegenden Motive zu erfassen und werten sie vom Standpunkt der
Moral. Deshalb kennen wir einen "heiligen Zorn", deshalb nehmen wir aber
auch manches ernst, worüber leichtlebigere Völker hinweggleiten. Wir entrüsten
uns und äußern mit Offenheit unsere Meinung -- kurz wir werden grob.
Besonders dem Engländer mag unsere Grobheit als Mangel an Selbst¬
beherrschung erscheinen und unsere innere Kultur in seinen Augen herabsetzen.
Er sieht nicht die sittliche Unterlage unserer Grobheit, da er in seinen Wertungen
viel mehr an der Oberfläche haftet. Die Verletzung der Form findet er
unverzeihlich, da die Form ihm, wenn nicht alles, so doch beinahe alles ist. So
wird uns denn ein Vorzug, die Innerlichkeit und Tiefe der Auffassung auch
des Geringen, zum Verhängnis im Urteil der Fremden und uns bleibt nur der
Trost, daß jeder Mensch und jedes Volk die Fehler seiner Tugenden in den Kauf
nehmen muß. Freilich, wir können wohl danach trachten, uns im Zaum zu
halten, aber nicht auf die Gefahr hin, uns in Maske und Form zu verlieren.
Die kernige, mit Humor gewürzte Grobheit eines Luther oder eines Bismarck
wird uns doch immer einen Zug unseres Wesens offenbaren, der uns nicht
abhanden kommen soll.

Die Kehrseite einer anderen unserer Tugenden ist die vielgeschmähte
Pedanterie, die den Ausländern -- besonders wohl den Romanen und Slawen
-- auf die Nerven zu fallen pflegt. Es liegt auf der Hand, daß ihr Ordnungs¬
sinn und Pflichttreue, also Hingabe an eine Sache oder Aufgabe zugrunde
liegen. Es ist natürlich, daß der kleine Geist, der eben dieser Sache oder Auf¬
gabe nicht beherrschend gegenübersteht, sich an Äußerlichkeiten und Neben¬
sächlichkeiten klammert, um sich dem eigenen Gewissen gegenüber rechtfertigen
zu können. Daß unsere Nation an kleinen Geistern besonders reich ist,
wird wohl niemand, der unseren Leistungen auf allen Gebieten einiger¬
maßen unbefangen gegenübersteht, zu behaupten wagen; gibt es bei anderen
Nationen weniger Pedanten als bei uns, so liegt es eben an der geringeren
Gewissenhaftigkeit der Leute, an den geringeren Ansprüchen, die der einzelne an
sich und seine, Leistung stellt. Was aber unser Streben nach unbedingter
Pflichterfüllung bedeutet, haben wir und wohl auch die Ausländer in dieser
Kriegszeit erkannt. Daß dieser Geist die Selbständigkeit nicht tötet, haben unsere
Soldaten bewiesen: der "Drill" vermochte ihnen von ihrer Urteilsfähigkeit im
Felde nichts zu rauben. Das Gesetz, dem wir uns in innerer Überzeugung beugen,
ist für uns nicht Preisgabe der Freiheit, nur Sklavennaturen bedeutet Freiheit


von den Deutschon

die in unhöflicher Entgegnung ihren Ausdruck findet. Sie ist fast
immer eine Äußerung des Zorns und der Zorn ist tatsächlich ein
„deutscher" Affekt. Dies erklärt sich nicht etwa aus einer besonders leichten
Anspruchsfähigkeit des Nervensystems, die dem Südländer in viel höherem Grade
eigen ist als uns, sondern durch die sittliche Orientierung unserer Psyche. Wir
reagieren nicht so sehr auf einen Ausspruch oder eine Handlung in ihrer ober¬
flächlichen Bedeutung, sondern wir sehen gleich hinter die Kulissen, suchen die
zugrundeliegenden Motive zu erfassen und werten sie vom Standpunkt der
Moral. Deshalb kennen wir einen „heiligen Zorn", deshalb nehmen wir aber
auch manches ernst, worüber leichtlebigere Völker hinweggleiten. Wir entrüsten
uns und äußern mit Offenheit unsere Meinung — kurz wir werden grob.
Besonders dem Engländer mag unsere Grobheit als Mangel an Selbst¬
beherrschung erscheinen und unsere innere Kultur in seinen Augen herabsetzen.
Er sieht nicht die sittliche Unterlage unserer Grobheit, da er in seinen Wertungen
viel mehr an der Oberfläche haftet. Die Verletzung der Form findet er
unverzeihlich, da die Form ihm, wenn nicht alles, so doch beinahe alles ist. So
wird uns denn ein Vorzug, die Innerlichkeit und Tiefe der Auffassung auch
des Geringen, zum Verhängnis im Urteil der Fremden und uns bleibt nur der
Trost, daß jeder Mensch und jedes Volk die Fehler seiner Tugenden in den Kauf
nehmen muß. Freilich, wir können wohl danach trachten, uns im Zaum zu
halten, aber nicht auf die Gefahr hin, uns in Maske und Form zu verlieren.
Die kernige, mit Humor gewürzte Grobheit eines Luther oder eines Bismarck
wird uns doch immer einen Zug unseres Wesens offenbaren, der uns nicht
abhanden kommen soll.

Die Kehrseite einer anderen unserer Tugenden ist die vielgeschmähte
Pedanterie, die den Ausländern — besonders wohl den Romanen und Slawen
— auf die Nerven zu fallen pflegt. Es liegt auf der Hand, daß ihr Ordnungs¬
sinn und Pflichttreue, also Hingabe an eine Sache oder Aufgabe zugrunde
liegen. Es ist natürlich, daß der kleine Geist, der eben dieser Sache oder Auf¬
gabe nicht beherrschend gegenübersteht, sich an Äußerlichkeiten und Neben¬
sächlichkeiten klammert, um sich dem eigenen Gewissen gegenüber rechtfertigen
zu können. Daß unsere Nation an kleinen Geistern besonders reich ist,
wird wohl niemand, der unseren Leistungen auf allen Gebieten einiger¬
maßen unbefangen gegenübersteht, zu behaupten wagen; gibt es bei anderen
Nationen weniger Pedanten als bei uns, so liegt es eben an der geringeren
Gewissenhaftigkeit der Leute, an den geringeren Ansprüchen, die der einzelne an
sich und seine, Leistung stellt. Was aber unser Streben nach unbedingter
Pflichterfüllung bedeutet, haben wir und wohl auch die Ausländer in dieser
Kriegszeit erkannt. Daß dieser Geist die Selbständigkeit nicht tötet, haben unsere
Soldaten bewiesen: der „Drill" vermochte ihnen von ihrer Urteilsfähigkeit im
Felde nichts zu rauben. Das Gesetz, dem wir uns in innerer Überzeugung beugen,
ist für uns nicht Preisgabe der Freiheit, nur Sklavennaturen bedeutet Freiheit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0068" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329296"/>
          <fw type="header" place="top"> von den Deutschon</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_156" prev="#ID_155"> die in unhöflicher Entgegnung ihren Ausdruck findet. Sie ist fast<lb/>
immer eine Äußerung des Zorns und der Zorn ist tatsächlich ein<lb/>
&#x201E;deutscher" Affekt. Dies erklärt sich nicht etwa aus einer besonders leichten<lb/>
Anspruchsfähigkeit des Nervensystems, die dem Südländer in viel höherem Grade<lb/>
eigen ist als uns, sondern durch die sittliche Orientierung unserer Psyche. Wir<lb/>
reagieren nicht so sehr auf einen Ausspruch oder eine Handlung in ihrer ober¬<lb/>
flächlichen Bedeutung, sondern wir sehen gleich hinter die Kulissen, suchen die<lb/>
zugrundeliegenden Motive zu erfassen und werten sie vom Standpunkt der<lb/>
Moral. Deshalb kennen wir einen &#x201E;heiligen Zorn", deshalb nehmen wir aber<lb/>
auch manches ernst, worüber leichtlebigere Völker hinweggleiten. Wir entrüsten<lb/>
uns und äußern mit Offenheit unsere Meinung &#x2014; kurz wir werden grob.<lb/>
Besonders dem Engländer mag unsere Grobheit als Mangel an Selbst¬<lb/>
beherrschung erscheinen und unsere innere Kultur in seinen Augen herabsetzen.<lb/>
Er sieht nicht die sittliche Unterlage unserer Grobheit, da er in seinen Wertungen<lb/>
viel mehr an der Oberfläche haftet. Die Verletzung der Form findet er<lb/>
unverzeihlich, da die Form ihm, wenn nicht alles, so doch beinahe alles ist. So<lb/>
wird uns denn ein Vorzug, die Innerlichkeit und Tiefe der Auffassung auch<lb/>
des Geringen, zum Verhängnis im Urteil der Fremden und uns bleibt nur der<lb/>
Trost, daß jeder Mensch und jedes Volk die Fehler seiner Tugenden in den Kauf<lb/>
nehmen muß. Freilich, wir können wohl danach trachten, uns im Zaum zu<lb/>
halten, aber nicht auf die Gefahr hin, uns in Maske und Form zu verlieren.<lb/>
Die kernige, mit Humor gewürzte Grobheit eines Luther oder eines Bismarck<lb/>
wird uns doch immer einen Zug unseres Wesens offenbaren, der uns nicht<lb/>
abhanden kommen soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_157" next="#ID_158"> Die Kehrseite einer anderen unserer Tugenden ist die vielgeschmähte<lb/>
Pedanterie, die den Ausländern &#x2014; besonders wohl den Romanen und Slawen<lb/>
&#x2014; auf die Nerven zu fallen pflegt. Es liegt auf der Hand, daß ihr Ordnungs¬<lb/>
sinn und Pflichttreue, also Hingabe an eine Sache oder Aufgabe zugrunde<lb/>
liegen. Es ist natürlich, daß der kleine Geist, der eben dieser Sache oder Auf¬<lb/>
gabe nicht beherrschend gegenübersteht, sich an Äußerlichkeiten und Neben¬<lb/>
sächlichkeiten klammert, um sich dem eigenen Gewissen gegenüber rechtfertigen<lb/>
zu können. Daß unsere Nation an kleinen Geistern besonders reich ist,<lb/>
wird wohl niemand, der unseren Leistungen auf allen Gebieten einiger¬<lb/>
maßen unbefangen gegenübersteht, zu behaupten wagen; gibt es bei anderen<lb/>
Nationen weniger Pedanten als bei uns, so liegt es eben an der geringeren<lb/>
Gewissenhaftigkeit der Leute, an den geringeren Ansprüchen, die der einzelne an<lb/>
sich und seine, Leistung stellt. Was aber unser Streben nach unbedingter<lb/>
Pflichterfüllung bedeutet, haben wir und wohl auch die Ausländer in dieser<lb/>
Kriegszeit erkannt. Daß dieser Geist die Selbständigkeit nicht tötet, haben unsere<lb/>
Soldaten bewiesen: der &#x201E;Drill" vermochte ihnen von ihrer Urteilsfähigkeit im<lb/>
Felde nichts zu rauben. Das Gesetz, dem wir uns in innerer Überzeugung beugen,<lb/>
ist für uns nicht Preisgabe der Freiheit, nur Sklavennaturen bedeutet Freiheit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0068] von den Deutschon die in unhöflicher Entgegnung ihren Ausdruck findet. Sie ist fast immer eine Äußerung des Zorns und der Zorn ist tatsächlich ein „deutscher" Affekt. Dies erklärt sich nicht etwa aus einer besonders leichten Anspruchsfähigkeit des Nervensystems, die dem Südländer in viel höherem Grade eigen ist als uns, sondern durch die sittliche Orientierung unserer Psyche. Wir reagieren nicht so sehr auf einen Ausspruch oder eine Handlung in ihrer ober¬ flächlichen Bedeutung, sondern wir sehen gleich hinter die Kulissen, suchen die zugrundeliegenden Motive zu erfassen und werten sie vom Standpunkt der Moral. Deshalb kennen wir einen „heiligen Zorn", deshalb nehmen wir aber auch manches ernst, worüber leichtlebigere Völker hinweggleiten. Wir entrüsten uns und äußern mit Offenheit unsere Meinung — kurz wir werden grob. Besonders dem Engländer mag unsere Grobheit als Mangel an Selbst¬ beherrschung erscheinen und unsere innere Kultur in seinen Augen herabsetzen. Er sieht nicht die sittliche Unterlage unserer Grobheit, da er in seinen Wertungen viel mehr an der Oberfläche haftet. Die Verletzung der Form findet er unverzeihlich, da die Form ihm, wenn nicht alles, so doch beinahe alles ist. So wird uns denn ein Vorzug, die Innerlichkeit und Tiefe der Auffassung auch des Geringen, zum Verhängnis im Urteil der Fremden und uns bleibt nur der Trost, daß jeder Mensch und jedes Volk die Fehler seiner Tugenden in den Kauf nehmen muß. Freilich, wir können wohl danach trachten, uns im Zaum zu halten, aber nicht auf die Gefahr hin, uns in Maske und Form zu verlieren. Die kernige, mit Humor gewürzte Grobheit eines Luther oder eines Bismarck wird uns doch immer einen Zug unseres Wesens offenbaren, der uns nicht abhanden kommen soll. Die Kehrseite einer anderen unserer Tugenden ist die vielgeschmähte Pedanterie, die den Ausländern — besonders wohl den Romanen und Slawen — auf die Nerven zu fallen pflegt. Es liegt auf der Hand, daß ihr Ordnungs¬ sinn und Pflichttreue, also Hingabe an eine Sache oder Aufgabe zugrunde liegen. Es ist natürlich, daß der kleine Geist, der eben dieser Sache oder Auf¬ gabe nicht beherrschend gegenübersteht, sich an Äußerlichkeiten und Neben¬ sächlichkeiten klammert, um sich dem eigenen Gewissen gegenüber rechtfertigen zu können. Daß unsere Nation an kleinen Geistern besonders reich ist, wird wohl niemand, der unseren Leistungen auf allen Gebieten einiger¬ maßen unbefangen gegenübersteht, zu behaupten wagen; gibt es bei anderen Nationen weniger Pedanten als bei uns, so liegt es eben an der geringeren Gewissenhaftigkeit der Leute, an den geringeren Ansprüchen, die der einzelne an sich und seine, Leistung stellt. Was aber unser Streben nach unbedingter Pflichterfüllung bedeutet, haben wir und wohl auch die Ausländer in dieser Kriegszeit erkannt. Daß dieser Geist die Selbständigkeit nicht tötet, haben unsere Soldaten bewiesen: der „Drill" vermochte ihnen von ihrer Urteilsfähigkeit im Felde nichts zu rauben. Das Gesetz, dem wir uns in innerer Überzeugung beugen, ist für uns nicht Preisgabe der Freiheit, nur Sklavennaturen bedeutet Freiheit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/68
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/68>, abgerufen am 02.07.2024.