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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Umständen oft zu fremden, uns nicht angemessenen Formen greifen mußten,
die dann grotesk wirkten. Ein augenfälliges Beispiel hierfür ist ja die Frauen¬
kleidung. Die Tracht der zierlichen Französin paßt selbstverständlich nicht für
den viel kraftvoller entwickelten Körper der Deutschen und wirkt daher auf ihn
unedel, unvornehm. Es ist kennzeichnend für die Sachlage, daß wir für
"Eleganz" und "Chic" gar keine deutschen Worte besitzen. So undeutsch ist
das, was sie bezeichnen.

Wenn nun der gebildete Ausländer, der sich auf Grund der Kenntnis
unserer Literatur, Kunst und Wissenschaft ein Bild von uns gemacht hat, das
auch in seinen Augen der vornehmen Note nicht entbehrt, zu uns kommt und
hier und da mangelnde Ausgeglichenheit der Form entdeckt, so führt das zu
einer Enttäuschung. Nach einem Worte Nietzsches verzeiht man es aber einem
Menschen -- und das gilt auch für eine Nation -- schwer, wenn man seinet¬
wegen umlernen muß. Aus der Mißstimmung ergibt sich der Ausgangspunkt
für die weitere Kritik. Da sie, wie erwähnt, ästhetisch orientiert ist, findet sie
nicht mehr den Weg ins Positive.

Wer nicht zu uns ins Land kommt, lernt sein Urteil nach unseren Reisenden
bilden. Wer reist bei uns? Der Wandertrieb ist bei uns stärker verbreitet als
bei allen anderen Völkern. Wer nur die allernotwendigsten Mittel für eine
Reise zusammenrafft, greift zum Wanderstab. Eine ganze Reihe unserer Hand¬
werker und kleiner Angestellten kennt Norwegen und die Schweiz und lieb¬
äugelt mit der Riviera oder gar mit Ägypten. Wer von uns sie im Auslande
trifft, freut sich an ihrer Empfänglichkeit für alles Schöne, vor allem in der
Natur, und an ihrem oft verblüffend verständigen Urteil über die Menschen und
Verhältnisse. Die Ausländer aber sehen nur den schlecht sitzenden Rock aus
billigen Loden, die Spielhahnfeder auf dem verschlissenen Tirolerhut, das
Wohlbehagen an fremdartigen Tafelfreuden und das Vergnügen am billigen
Kauf kleiner Andenken. Es wäre interessant festzustellen, ob Angehörige der
"vornehmen" englischen und französischen Nation der gleichen Gesellschafts¬
schichten, wenn sie in gleicher Zahl fremde Länder durchstreifen würden, einen
"nobleren" Eindruck machten. Das Experiment ist leider unausführbar. Tat¬
sache ist jedenfalls, daß gerade der äußere Schliff das Urteil des ausländischen
Publikums bestimmt und daß der Schluß auf das innere Menschentum per
armIoZmm erfolgt.

Nun kommt dazu, daß der Deutsche "grob" ist. Wir wollen gar nicht
leugnen, daß wir eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Menschen unter uns
haben, die "grob" werden können. Wir müssen aber, um gegen uns selbst
gerecht zu sein, mit der psychologischen Sonde nach Beschaffenheit und Ursache
unserer Grobheit forschen. Da müssen wir gleich die Grobheit aus Rüpelei,
die aggressiv ist und aus innerem Drang "anrempelt", ausschalten, da sie
bei uns höchstens in niederen Kneipen ihr Dasein fristet und Ausländern
besserer Stände wohl schwerlich begegnet. Es bleibt die realtive Grobheit,


Umständen oft zu fremden, uns nicht angemessenen Formen greifen mußten,
die dann grotesk wirkten. Ein augenfälliges Beispiel hierfür ist ja die Frauen¬
kleidung. Die Tracht der zierlichen Französin paßt selbstverständlich nicht für
den viel kraftvoller entwickelten Körper der Deutschen und wirkt daher auf ihn
unedel, unvornehm. Es ist kennzeichnend für die Sachlage, daß wir für
„Eleganz" und „Chic" gar keine deutschen Worte besitzen. So undeutsch ist
das, was sie bezeichnen.

Wenn nun der gebildete Ausländer, der sich auf Grund der Kenntnis
unserer Literatur, Kunst und Wissenschaft ein Bild von uns gemacht hat, das
auch in seinen Augen der vornehmen Note nicht entbehrt, zu uns kommt und
hier und da mangelnde Ausgeglichenheit der Form entdeckt, so führt das zu
einer Enttäuschung. Nach einem Worte Nietzsches verzeiht man es aber einem
Menschen — und das gilt auch für eine Nation — schwer, wenn man seinet¬
wegen umlernen muß. Aus der Mißstimmung ergibt sich der Ausgangspunkt
für die weitere Kritik. Da sie, wie erwähnt, ästhetisch orientiert ist, findet sie
nicht mehr den Weg ins Positive.

Wer nicht zu uns ins Land kommt, lernt sein Urteil nach unseren Reisenden
bilden. Wer reist bei uns? Der Wandertrieb ist bei uns stärker verbreitet als
bei allen anderen Völkern. Wer nur die allernotwendigsten Mittel für eine
Reise zusammenrafft, greift zum Wanderstab. Eine ganze Reihe unserer Hand¬
werker und kleiner Angestellten kennt Norwegen und die Schweiz und lieb¬
äugelt mit der Riviera oder gar mit Ägypten. Wer von uns sie im Auslande
trifft, freut sich an ihrer Empfänglichkeit für alles Schöne, vor allem in der
Natur, und an ihrem oft verblüffend verständigen Urteil über die Menschen und
Verhältnisse. Die Ausländer aber sehen nur den schlecht sitzenden Rock aus
billigen Loden, die Spielhahnfeder auf dem verschlissenen Tirolerhut, das
Wohlbehagen an fremdartigen Tafelfreuden und das Vergnügen am billigen
Kauf kleiner Andenken. Es wäre interessant festzustellen, ob Angehörige der
„vornehmen" englischen und französischen Nation der gleichen Gesellschafts¬
schichten, wenn sie in gleicher Zahl fremde Länder durchstreifen würden, einen
„nobleren" Eindruck machten. Das Experiment ist leider unausführbar. Tat¬
sache ist jedenfalls, daß gerade der äußere Schliff das Urteil des ausländischen
Publikums bestimmt und daß der Schluß auf das innere Menschentum per
armIoZmm erfolgt.

Nun kommt dazu, daß der Deutsche „grob" ist. Wir wollen gar nicht
leugnen, daß wir eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Menschen unter uns
haben, die „grob" werden können. Wir müssen aber, um gegen uns selbst
gerecht zu sein, mit der psychologischen Sonde nach Beschaffenheit und Ursache
unserer Grobheit forschen. Da müssen wir gleich die Grobheit aus Rüpelei,
die aggressiv ist und aus innerem Drang „anrempelt", ausschalten, da sie
bei uns höchstens in niederen Kneipen ihr Dasein fristet und Ausländern
besserer Stände wohl schwerlich begegnet. Es bleibt die realtive Grobheit,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/67>, abgerufen am 02.07.2024.