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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Von den Deutschen
v M. Uelchner on

!ir haben es immer gewußt, daß wir im großen und ganzen im
Auslande unbeliebt sind, und haben, je nach Temperament, darüber
gejammert oder sorglos gelacht. Aber jetzt, da der Ernst des
Augenblicks uns erschüttert, da wir im Bewußtsein sittlicher Kraft
^ unsere Kultur verteidigen, fassen wir uns an die Stirn und
fragen uns: was haben die Leute gegen uns? Die Antwort ist nicht leicht,
auch für die nicht, die sich von uns wenden. Der Nationalcharakter -- und
diesem, nicht der Einzelpersönlichkeit gilt ja die Abneigung -- ist eben etwas
schier Unfaßbares. Es ist mit ihn: wie mit einem Ährenfeld, in das der Wind
fährt: die einzelne Ähre erzeugt kein hörbares Geräusch, aber die Gesamtheit
singt eine eigene Melodie. Nicht jeder mag sie hören. Wenn jedoch der Wind
sich zum Sturm erhebt und die Halme mit rauher Faust knickt, dann schreit sie
zum Himmel und predigt ihren Sang auch denen, die nicht hören wollen.

Das ist der tiefe Sinn alles tragischen Geschehens: die Selbstoffenbarung
in Leid und Tod. Der Krieg! Erschöpfen sich in ihm nicht die tragischen
Möglichkeiten der Menschheit? Körperliche und seelische Qual bis zur Un-
erträglichkeit. Aber wie von Geisterhand entwirrt, lösen sich in ihm die Bande
der Volksseele und leuchten plötzlich auf in ihren unsterblichen Werten. Ein
Jubel ging durch unser Land, als das deutsche Wesen sich angesichts der
äußersten Gefahr in voller Klarheit offenbarte, nachdem wir selbst bereits
begonnen hatten, die Vergangenheit mit dem Spaten zu durchwühlen, um
wenigstens seinen geheiligten Leichnam zu finden. Warum blieben aber die
anderen Völker blind und taub gegen unseres Wesens Kern?

Der Deutsche stellt sich ihnen so dar: Rohheit gepaart mit grobkörniger
Sentimentalität und Pedanterie in ästhetisch anfechtbarer Hülle. Wie kommen
sie zu diesem Bilde? Dies Urteil geht nicht etwa mit psychologischem Ver¬
ständnis von innen nach außen, sondern im Gegenteil, es nimmt an der Ober¬
fläche seinen Angriffspunkt, ist also von vornherein nicht moralisch, sittlich
werdend, sondern ästhetisch gefärbt. Hieraus erklärt sich zunächst die schiefe
Richtung des Urteils uns Deutschen gegenüber, denn die äußere Form ist
uns oft nur Mittel zum Zweck, nicht Selbstzweck, daher vernachlässigen wir sie
leicht und haben auch in unserm Großmachtleben noch nicht für alles die uns
gemäße Form gefunden. Das Schlimme dabei war, daß wir unter solchen




Von den Deutschen
v M. Uelchner on

!ir haben es immer gewußt, daß wir im großen und ganzen im
Auslande unbeliebt sind, und haben, je nach Temperament, darüber
gejammert oder sorglos gelacht. Aber jetzt, da der Ernst des
Augenblicks uns erschüttert, da wir im Bewußtsein sittlicher Kraft
^ unsere Kultur verteidigen, fassen wir uns an die Stirn und
fragen uns: was haben die Leute gegen uns? Die Antwort ist nicht leicht,
auch für die nicht, die sich von uns wenden. Der Nationalcharakter — und
diesem, nicht der Einzelpersönlichkeit gilt ja die Abneigung — ist eben etwas
schier Unfaßbares. Es ist mit ihn: wie mit einem Ährenfeld, in das der Wind
fährt: die einzelne Ähre erzeugt kein hörbares Geräusch, aber die Gesamtheit
singt eine eigene Melodie. Nicht jeder mag sie hören. Wenn jedoch der Wind
sich zum Sturm erhebt und die Halme mit rauher Faust knickt, dann schreit sie
zum Himmel und predigt ihren Sang auch denen, die nicht hören wollen.

Das ist der tiefe Sinn alles tragischen Geschehens: die Selbstoffenbarung
in Leid und Tod. Der Krieg! Erschöpfen sich in ihm nicht die tragischen
Möglichkeiten der Menschheit? Körperliche und seelische Qual bis zur Un-
erträglichkeit. Aber wie von Geisterhand entwirrt, lösen sich in ihm die Bande
der Volksseele und leuchten plötzlich auf in ihren unsterblichen Werten. Ein
Jubel ging durch unser Land, als das deutsche Wesen sich angesichts der
äußersten Gefahr in voller Klarheit offenbarte, nachdem wir selbst bereits
begonnen hatten, die Vergangenheit mit dem Spaten zu durchwühlen, um
wenigstens seinen geheiligten Leichnam zu finden. Warum blieben aber die
anderen Völker blind und taub gegen unseres Wesens Kern?

Der Deutsche stellt sich ihnen so dar: Rohheit gepaart mit grobkörniger
Sentimentalität und Pedanterie in ästhetisch anfechtbarer Hülle. Wie kommen
sie zu diesem Bilde? Dies Urteil geht nicht etwa mit psychologischem Ver¬
ständnis von innen nach außen, sondern im Gegenteil, es nimmt an der Ober¬
fläche seinen Angriffspunkt, ist also von vornherein nicht moralisch, sittlich
werdend, sondern ästhetisch gefärbt. Hieraus erklärt sich zunächst die schiefe
Richtung des Urteils uns Deutschen gegenüber, denn die äußere Form ist
uns oft nur Mittel zum Zweck, nicht Selbstzweck, daher vernachlässigen wir sie
leicht und haben auch in unserm Großmachtleben noch nicht für alles die uns
gemäße Form gefunden. Das Schlimme dabei war, daß wir unter solchen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/66>, abgerufen am 02.07.2024.