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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Rückblicke auf die Geschichte des zweiten Kaiserreiches

ein halber Deutscher. Mit seinen Gelüsten nach dem linken Rheinufer war er
gründlich abgeführt worden. Seine ehrbaren Absichten auf Belgien blieben
platonisch: der Plan einer Erwerbung Luxemburgs wurde in letzter Stunde
vereitelt. In dieser Frage allerdings, die eine Zeitlang die französisch-preußische
Kriegsgefahr als brennend erscheinen ließ, hat König Wilhelm teilweise nach¬
gegeben. Er hatte den Austritt Luxemburgs aus dem norddeutschen Bunde,
die Neutralität des Ländchens, die Schleifung seiner Befestigungen, die Zurück¬
ziehung der preußischen Garnison zugestanden. Man hat Bismarck damals
sogar feiges Zurückweichen vorgeworfen. Aber der Kanzler hat es später offen
ausgesprochen, daß er zwar einen Wassergang mit Frankreich, ehe das deutsche
Einigungswerk reifen konnte, für unvermeidlich hielt, er wollte aber erst die
Durchführung der preußischen Heeresverfassung in den neuerworbenen Gebieten
und das volle Einvernehmen mit den süddeutschen Staaten abwarten. Auch
gab er nachmals zu, daß er 1867 die Stärke Frankreichs nach Truppenzahl,
Ordnung und Führung des Heeres noch überschätzt habe. Was die Tapferkeit
dieses Heeres und die Stärke des französischen Nationalgefühles betrifft, habe
er richtig geurteilt.

Es ist anziehend zu beobachten, wie Napoleon der Dritte je weniger Erfolg er
in der äußeren Politik hatte, um so weiter von den strengen Grundsätzen der
Selbstherrschaft im Innern abrückte. Gewiß nicht aus Vorliebe für konstitutionelle
Formen. Aber er war zu klug, sich dauernd den stetig erstarkenden liberalen
Ideen zu widersetzen. Schon 1860 gab er dem gesetzgebenden Körper das
Recht zu einer Adreßdebatte. Der sterbende Morny empfahl ein Lustrum später
dem kaiserlichen Halbbruder die "Krönung des Gebäudes" im verfassungsmäßigen
Geiste; und der Rat des klugen Mannes scheint nicht ohne Wirkung gewesen
zu sein. Der Kaiser, der seine Franzosen nicht mehr durch siegreiche Kriege
und Ländergewinn zu blenden vermochte, wollte sie wohl durch moderne
Zugeständnisse mit seinem System versöhnen. Als Hauptgegner dieser Schwenkung
erkennen wir heute zwei Personen, deren Einfluß auf den Kaiser ein überaus
großer war. Zunächst die Kaiserin. Seitdem Eugenie --, so urteilen ins-
besonders französische Historiker -- aufgehört hatte, nur die schöne und elegante
Herrscherin der Mode zu sein, seitdem sie sich, von ihrer Regentschaft 1859 ab,
um alles in der äußeren und inneren Politik kümmerte, seitdem ist ihre Ein¬
wirkung auf den Gatten eine für diesen wie für Frankreich verhängnisvolle
geworden. Man hat die "Spanierin" ja geradezu den bösen Genius
des zweiten Kaiserreichs genannt. Ihrem absolutistisch-klerikalen Einflüsse
schrieb man das allzulange Festhalten am persönlichen Regime, die
unpopuläre Politik in der Papstfrage, das mexikanische Abenteuer, endlich das
blinde Hineinrennen in den Krieg von 1870 zu. In dieser Allgemeinheit
ist das alles sicher übertrieben. Gewiß aber hat die Frau, bei der Ehrgeiz
und Eigenwille meist stärker waren als das Verständnis, dadurch lähmend
gewirkt, daß sie gerade die fähigsten und treuesten Diener ihres Gemahls mit


Rückblicke auf die Geschichte des zweiten Kaiserreiches

ein halber Deutscher. Mit seinen Gelüsten nach dem linken Rheinufer war er
gründlich abgeführt worden. Seine ehrbaren Absichten auf Belgien blieben
platonisch: der Plan einer Erwerbung Luxemburgs wurde in letzter Stunde
vereitelt. In dieser Frage allerdings, die eine Zeitlang die französisch-preußische
Kriegsgefahr als brennend erscheinen ließ, hat König Wilhelm teilweise nach¬
gegeben. Er hatte den Austritt Luxemburgs aus dem norddeutschen Bunde,
die Neutralität des Ländchens, die Schleifung seiner Befestigungen, die Zurück¬
ziehung der preußischen Garnison zugestanden. Man hat Bismarck damals
sogar feiges Zurückweichen vorgeworfen. Aber der Kanzler hat es später offen
ausgesprochen, daß er zwar einen Wassergang mit Frankreich, ehe das deutsche
Einigungswerk reifen konnte, für unvermeidlich hielt, er wollte aber erst die
Durchführung der preußischen Heeresverfassung in den neuerworbenen Gebieten
und das volle Einvernehmen mit den süddeutschen Staaten abwarten. Auch
gab er nachmals zu, daß er 1867 die Stärke Frankreichs nach Truppenzahl,
Ordnung und Führung des Heeres noch überschätzt habe. Was die Tapferkeit
dieses Heeres und die Stärke des französischen Nationalgefühles betrifft, habe
er richtig geurteilt.

Es ist anziehend zu beobachten, wie Napoleon der Dritte je weniger Erfolg er
in der äußeren Politik hatte, um so weiter von den strengen Grundsätzen der
Selbstherrschaft im Innern abrückte. Gewiß nicht aus Vorliebe für konstitutionelle
Formen. Aber er war zu klug, sich dauernd den stetig erstarkenden liberalen
Ideen zu widersetzen. Schon 1860 gab er dem gesetzgebenden Körper das
Recht zu einer Adreßdebatte. Der sterbende Morny empfahl ein Lustrum später
dem kaiserlichen Halbbruder die „Krönung des Gebäudes" im verfassungsmäßigen
Geiste; und der Rat des klugen Mannes scheint nicht ohne Wirkung gewesen
zu sein. Der Kaiser, der seine Franzosen nicht mehr durch siegreiche Kriege
und Ländergewinn zu blenden vermochte, wollte sie wohl durch moderne
Zugeständnisse mit seinem System versöhnen. Als Hauptgegner dieser Schwenkung
erkennen wir heute zwei Personen, deren Einfluß auf den Kaiser ein überaus
großer war. Zunächst die Kaiserin. Seitdem Eugenie —, so urteilen ins-
besonders französische Historiker — aufgehört hatte, nur die schöne und elegante
Herrscherin der Mode zu sein, seitdem sie sich, von ihrer Regentschaft 1859 ab,
um alles in der äußeren und inneren Politik kümmerte, seitdem ist ihre Ein¬
wirkung auf den Gatten eine für diesen wie für Frankreich verhängnisvolle
geworden. Man hat die „Spanierin" ja geradezu den bösen Genius
des zweiten Kaiserreichs genannt. Ihrem absolutistisch-klerikalen Einflüsse
schrieb man das allzulange Festhalten am persönlichen Regime, die
unpopuläre Politik in der Papstfrage, das mexikanische Abenteuer, endlich das
blinde Hineinrennen in den Krieg von 1870 zu. In dieser Allgemeinheit
ist das alles sicher übertrieben. Gewiß aber hat die Frau, bei der Ehrgeiz
und Eigenwille meist stärker waren als das Verständnis, dadurch lähmend
gewirkt, daß sie gerade die fähigsten und treuesten Diener ihres Gemahls mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/62>, abgerufen am 02.07.2024.