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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Rückblicke eins die Geschichte des zweiten Kaiserreiches

(wie Bernhardt berichtet), wenn der Name Napoleon genannt wurde, nie ver¬
säumte hinzuzusetzen: "es eoekori." Die Intervention für die insurgierten,
heroisch kämpfenden Polen 1863 führte zu einer diplomatischen Niederlage; die
Angelegenheit der Elbe-Herzogtümer wurde gelöst, ohne daß Frankreich etwas
mitzureden hatte. Die mexikanische Expedition endlich bleibt ein unauslöschlicher
Makel auf dem Namen des kaiserlichen Regime; nicht wegen der schmählichen
Preisgebung Maximilians allein, sondern weil die französische Politik bei Ein-
fädelung des überseeischen Abenteuers von Anfang an mit ganz gewöhnlichen,
privaten Geschäftsinteressen verquickt war.

Sehr richtig sagt Friedjung in seinem "Kampfe um die Vorherrschaft
in Deutschland", daß Napoleons Politik bis etwa 1863 einen festen Griff
zeigte, von da ab aber der Kraft und der Konsequenz, der Fähigkeit einen
günstigen Augenblick auszunutzen, entbehrte. Das zeigt sich am deutlichsten
in der deutschen Frage. Für diese galt dem Kaiser sein so oft mit pompösen
Worten zur Schau getragenes Nationalitätsprinzip natürlich nicht. In
Deutschland sollte der Dualismus, die Rivalität der beiden Großmächte, zu
Frankreichs Vorteil erhalten werden. Es mutete zum Teil phantastisch an,
welche geheime Pläne der ewige Plänemacher nach dem Zeugnisse seines Ver¬
trauensmannes Nigra in der Seele barg. Österreich müsse Venetien verlieren
und durch Preußisch^Schlesien entschädigt werden, Preußen die Elbe-Herzogtümer
und andere norddeutsche Lande erhalten; das linke Rheinufer an Frankreich
fallen, nicht direkt, sondern zersplittert, einige kleine deutsche Herzogtümer unter
französischem Protektorate. Und das alles sollte erreicht werden, ohne daß ein
Tropfen französischen Blutes vergossen würde. Wer die an diplomatischen
Winkelzügen und wechselseitigen Täuschungsversuchen so reiche, erst in unseren
Tagen vielfach aufgehellte Vorgeschichte pes Jahres 1866 studiert, empfängt
schier den Eindruck, als würde der Mann, dessen Stirnrunzeln Europa einst
zittern machte, immer kleiner, und als wüchse diesseits des Rheines einer zu
immer gigantischeren, seiner eigenen Zeit aber erst noch verschleierten Verhältnissen
heran. Es war ein Handel, in dem "jeder von beiden die redliche Absicht
hatte, den anderen zu überlisten". Noch auf Wilhelmshöhe sprach Napolen zum
Grafen Monts von Bismarck zwar ohne Härte, aber doch wie von einem, der
ihn gründlich übers Ohr gehauen. Je näher der Konflikt zwischen Preußen
und Österreich zu rücken schien, um so verschlossener wurde Napoleon. Selbst
einem Bismarck gelang es in der vielberühmten Unterredung von Biarritz,
Anfang Oktober 1865, nicht, in das Geheimnis der Sphinx einzudringen: zu
ergründen, welchen Preis diese Sphinx für ihre Neutralität im drohenden
deutschen Kampfe zu liquidieren gedenke.

Napoleon hat -- was erst die Nachwelt zu überblicken vermag -- auf
die Förderung des italienischen wie des deutschen Einigungswerkes weit mehr
Einfluß geübt, als er selber wollte. Zum guten Teil seiner Einwirkung auf
Italien war dessen Bündnis mit Preußen zuzuschreiben. Und Kaiser Franz Josef


Rückblicke eins die Geschichte des zweiten Kaiserreiches

(wie Bernhardt berichtet), wenn der Name Napoleon genannt wurde, nie ver¬
säumte hinzuzusetzen: „es eoekori." Die Intervention für die insurgierten,
heroisch kämpfenden Polen 1863 führte zu einer diplomatischen Niederlage; die
Angelegenheit der Elbe-Herzogtümer wurde gelöst, ohne daß Frankreich etwas
mitzureden hatte. Die mexikanische Expedition endlich bleibt ein unauslöschlicher
Makel auf dem Namen des kaiserlichen Regime; nicht wegen der schmählichen
Preisgebung Maximilians allein, sondern weil die französische Politik bei Ein-
fädelung des überseeischen Abenteuers von Anfang an mit ganz gewöhnlichen,
privaten Geschäftsinteressen verquickt war.

Sehr richtig sagt Friedjung in seinem „Kampfe um die Vorherrschaft
in Deutschland", daß Napoleons Politik bis etwa 1863 einen festen Griff
zeigte, von da ab aber der Kraft und der Konsequenz, der Fähigkeit einen
günstigen Augenblick auszunutzen, entbehrte. Das zeigt sich am deutlichsten
in der deutschen Frage. Für diese galt dem Kaiser sein so oft mit pompösen
Worten zur Schau getragenes Nationalitätsprinzip natürlich nicht. In
Deutschland sollte der Dualismus, die Rivalität der beiden Großmächte, zu
Frankreichs Vorteil erhalten werden. Es mutete zum Teil phantastisch an,
welche geheime Pläne der ewige Plänemacher nach dem Zeugnisse seines Ver¬
trauensmannes Nigra in der Seele barg. Österreich müsse Venetien verlieren
und durch Preußisch^Schlesien entschädigt werden, Preußen die Elbe-Herzogtümer
und andere norddeutsche Lande erhalten; das linke Rheinufer an Frankreich
fallen, nicht direkt, sondern zersplittert, einige kleine deutsche Herzogtümer unter
französischem Protektorate. Und das alles sollte erreicht werden, ohne daß ein
Tropfen französischen Blutes vergossen würde. Wer die an diplomatischen
Winkelzügen und wechselseitigen Täuschungsversuchen so reiche, erst in unseren
Tagen vielfach aufgehellte Vorgeschichte pes Jahres 1866 studiert, empfängt
schier den Eindruck, als würde der Mann, dessen Stirnrunzeln Europa einst
zittern machte, immer kleiner, und als wüchse diesseits des Rheines einer zu
immer gigantischeren, seiner eigenen Zeit aber erst noch verschleierten Verhältnissen
heran. Es war ein Handel, in dem „jeder von beiden die redliche Absicht
hatte, den anderen zu überlisten". Noch auf Wilhelmshöhe sprach Napolen zum
Grafen Monts von Bismarck zwar ohne Härte, aber doch wie von einem, der
ihn gründlich übers Ohr gehauen. Je näher der Konflikt zwischen Preußen
und Österreich zu rücken schien, um so verschlossener wurde Napoleon. Selbst
einem Bismarck gelang es in der vielberühmten Unterredung von Biarritz,
Anfang Oktober 1865, nicht, in das Geheimnis der Sphinx einzudringen: zu
ergründen, welchen Preis diese Sphinx für ihre Neutralität im drohenden
deutschen Kampfe zu liquidieren gedenke.

Napoleon hat — was erst die Nachwelt zu überblicken vermag — auf
die Förderung des italienischen wie des deutschen Einigungswerkes weit mehr
Einfluß geübt, als er selber wollte. Zum guten Teil seiner Einwirkung auf
Italien war dessen Bündnis mit Preußen zuzuschreiben. Und Kaiser Franz Josef


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[0060] Rückblicke eins die Geschichte des zweiten Kaiserreiches (wie Bernhardt berichtet), wenn der Name Napoleon genannt wurde, nie ver¬ säumte hinzuzusetzen: „es eoekori." Die Intervention für die insurgierten, heroisch kämpfenden Polen 1863 führte zu einer diplomatischen Niederlage; die Angelegenheit der Elbe-Herzogtümer wurde gelöst, ohne daß Frankreich etwas mitzureden hatte. Die mexikanische Expedition endlich bleibt ein unauslöschlicher Makel auf dem Namen des kaiserlichen Regime; nicht wegen der schmählichen Preisgebung Maximilians allein, sondern weil die französische Politik bei Ein- fädelung des überseeischen Abenteuers von Anfang an mit ganz gewöhnlichen, privaten Geschäftsinteressen verquickt war. Sehr richtig sagt Friedjung in seinem „Kampfe um die Vorherrschaft in Deutschland", daß Napoleons Politik bis etwa 1863 einen festen Griff zeigte, von da ab aber der Kraft und der Konsequenz, der Fähigkeit einen günstigen Augenblick auszunutzen, entbehrte. Das zeigt sich am deutlichsten in der deutschen Frage. Für diese galt dem Kaiser sein so oft mit pompösen Worten zur Schau getragenes Nationalitätsprinzip natürlich nicht. In Deutschland sollte der Dualismus, die Rivalität der beiden Großmächte, zu Frankreichs Vorteil erhalten werden. Es mutete zum Teil phantastisch an, welche geheime Pläne der ewige Plänemacher nach dem Zeugnisse seines Ver¬ trauensmannes Nigra in der Seele barg. Österreich müsse Venetien verlieren und durch Preußisch^Schlesien entschädigt werden, Preußen die Elbe-Herzogtümer und andere norddeutsche Lande erhalten; das linke Rheinufer an Frankreich fallen, nicht direkt, sondern zersplittert, einige kleine deutsche Herzogtümer unter französischem Protektorate. Und das alles sollte erreicht werden, ohne daß ein Tropfen französischen Blutes vergossen würde. Wer die an diplomatischen Winkelzügen und wechselseitigen Täuschungsversuchen so reiche, erst in unseren Tagen vielfach aufgehellte Vorgeschichte pes Jahres 1866 studiert, empfängt schier den Eindruck, als würde der Mann, dessen Stirnrunzeln Europa einst zittern machte, immer kleiner, und als wüchse diesseits des Rheines einer zu immer gigantischeren, seiner eigenen Zeit aber erst noch verschleierten Verhältnissen heran. Es war ein Handel, in dem „jeder von beiden die redliche Absicht hatte, den anderen zu überlisten". Noch auf Wilhelmshöhe sprach Napolen zum Grafen Monts von Bismarck zwar ohne Härte, aber doch wie von einem, der ihn gründlich übers Ohr gehauen. Je näher der Konflikt zwischen Preußen und Österreich zu rücken schien, um so verschlossener wurde Napoleon. Selbst einem Bismarck gelang es in der vielberühmten Unterredung von Biarritz, Anfang Oktober 1865, nicht, in das Geheimnis der Sphinx einzudringen: zu ergründen, welchen Preis diese Sphinx für ihre Neutralität im drohenden deutschen Kampfe zu liquidieren gedenke. Napoleon hat — was erst die Nachwelt zu überblicken vermag — auf die Förderung des italienischen wie des deutschen Einigungswerkes weit mehr Einfluß geübt, als er selber wollte. Zum guten Teil seiner Einwirkung auf Italien war dessen Bündnis mit Preußen zuzuschreiben. Und Kaiser Franz Josef

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/60>, abgerufen am 02.07.2024.