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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Rückblicke auf die Geschichte des zweiten Uniserreiches

So sah die Hauptstütze des Thrones aus! Die tiefsitzenden Mißstände
zeigten sich im Kriege von 1859, in dessen Vorgeschichte ja auch noch manches
dunkel ist. Nur soviel scheint sicher, daß von den zwei Verschwörern gegen
Österreich Camillo Cavour der genialere und entschlossenere war, indeß der
Kaiser, wenn auch gleich skrupellos, in seiner Art lavierte und intrigierte. Das
Orsinische Attentat (5. Januar 1858) hatte zunächst nur die Folge, daß Napoleon
in Frankreich selbst die Zügel noch schärfer anzog. Mit dem "Gesetz für die
allgemeine Sicherheit" und in der Ernennung des energischen General I'Espinasse,
eines Staatsstreichgenossen, zum Minister des Innern, wurde das ganze Reich
unter das Schwert gebeugt. Das entsetzliche Canenne bevölkerte sich mit
Unglücklichen. Es war der Gipfelpunkt napoleonischer Autokratie, den diese
Jahre von 1853 und 1859 bezeichnen.

Man nimmt an, daß Orsinis Bomben, sein berühmter Brief aus dem
Kerker, Mazzinis offenes Schreiben, in dem er den Kaiser vor die Wahl stellte,
Italiens Befreier oder das Opfer italienischen Hasses zu werden, Napoleon den
Dritten zum Handeln in Italien gedrängt haben. Aber der Krieg von 1859 war
keiner, der sich militärgeschichtlich in die erste Reihe stellen könnte. Der Kaiser
war als Oberkommandant eine Null; seine Generale haderten untereinander;
die Disziplin der Truppen war mangelhaft; Führung wie Heeresverpflegung
zeigten manche Gebrechen. Man kann ruhig sagen, daß auf der französtsch-
sardinischen Seite in diesem Feldzuge kaum weniger Fehler begangen wurden
als auf der österreichischen. Magenta und Solferino wurden kein Marengo
und kein Austerlitz. Dieser ganze opferreiche Kampf für fremde Interessen war
im französischen Heere ebenso unbeliebt wie in der Nation. Und wenn
Napoleon auf dem Fürstenkongresse von Baden 1860 zu Ernst von Koburg
sagte, er sei zunächst außerstande, einen Feldzug zu führen, die Organisation
seiner Armee sei unhaltbar, ihr fehle es völlig an einer Kriegsreserve -- dann
sagte er das vielleicht, um das Ausland zu beruhigen, aber er sagte die
Wahrheit. Der Feldzug hatte auch gezeigt, daß Napoleon keinen Feldherrn
von überragender Qualität in seinem Heere hatte. Kein Berthier und kein Ney,
kein Massena und kein Davoust war unter seinen Generalen, die übrigens
sämtlich in weit höheren Lebensjahren zu ihren leitenden Stellungen kamen, als
die jugendlich kraftvollen Paladine des ersten Kaisers. Der Mangel an größeren
und ernsten Manövern machte es auch unmöglich, die Führereignung zu prüfen.
Der Kaiser aber, gütig von Natur, war seinen Günstlingen gegenüber oft nur
zu gütig, und auf die Beförderung hatte die politische Gesinnung des Offiziers
stets Einfluß. --

Die Geschichte des zweiten Kaiserreichs zerfällt für das Auge des Rück¬
blickenden deutlich in zwei zeitlich etwa gleich große Teile. Bis ungefähr 1860
glückte in der auswärtigen Politik dem gekrönten Spekulanten an der Seine
alles, von da ab fast nichts. Statt Italien zu befreien, wurde er das Haupt¬
hindernis der völligen Einigung, und es kam so weit, daß Viktor Emmanuel


Rückblicke auf die Geschichte des zweiten Uniserreiches

So sah die Hauptstütze des Thrones aus! Die tiefsitzenden Mißstände
zeigten sich im Kriege von 1859, in dessen Vorgeschichte ja auch noch manches
dunkel ist. Nur soviel scheint sicher, daß von den zwei Verschwörern gegen
Österreich Camillo Cavour der genialere und entschlossenere war, indeß der
Kaiser, wenn auch gleich skrupellos, in seiner Art lavierte und intrigierte. Das
Orsinische Attentat (5. Januar 1858) hatte zunächst nur die Folge, daß Napoleon
in Frankreich selbst die Zügel noch schärfer anzog. Mit dem „Gesetz für die
allgemeine Sicherheit" und in der Ernennung des energischen General I'Espinasse,
eines Staatsstreichgenossen, zum Minister des Innern, wurde das ganze Reich
unter das Schwert gebeugt. Das entsetzliche Canenne bevölkerte sich mit
Unglücklichen. Es war der Gipfelpunkt napoleonischer Autokratie, den diese
Jahre von 1853 und 1859 bezeichnen.

Man nimmt an, daß Orsinis Bomben, sein berühmter Brief aus dem
Kerker, Mazzinis offenes Schreiben, in dem er den Kaiser vor die Wahl stellte,
Italiens Befreier oder das Opfer italienischen Hasses zu werden, Napoleon den
Dritten zum Handeln in Italien gedrängt haben. Aber der Krieg von 1859 war
keiner, der sich militärgeschichtlich in die erste Reihe stellen könnte. Der Kaiser
war als Oberkommandant eine Null; seine Generale haderten untereinander;
die Disziplin der Truppen war mangelhaft; Führung wie Heeresverpflegung
zeigten manche Gebrechen. Man kann ruhig sagen, daß auf der französtsch-
sardinischen Seite in diesem Feldzuge kaum weniger Fehler begangen wurden
als auf der österreichischen. Magenta und Solferino wurden kein Marengo
und kein Austerlitz. Dieser ganze opferreiche Kampf für fremde Interessen war
im französischen Heere ebenso unbeliebt wie in der Nation. Und wenn
Napoleon auf dem Fürstenkongresse von Baden 1860 zu Ernst von Koburg
sagte, er sei zunächst außerstande, einen Feldzug zu führen, die Organisation
seiner Armee sei unhaltbar, ihr fehle es völlig an einer Kriegsreserve — dann
sagte er das vielleicht, um das Ausland zu beruhigen, aber er sagte die
Wahrheit. Der Feldzug hatte auch gezeigt, daß Napoleon keinen Feldherrn
von überragender Qualität in seinem Heere hatte. Kein Berthier und kein Ney,
kein Massena und kein Davoust war unter seinen Generalen, die übrigens
sämtlich in weit höheren Lebensjahren zu ihren leitenden Stellungen kamen, als
die jugendlich kraftvollen Paladine des ersten Kaisers. Der Mangel an größeren
und ernsten Manövern machte es auch unmöglich, die Führereignung zu prüfen.
Der Kaiser aber, gütig von Natur, war seinen Günstlingen gegenüber oft nur
zu gütig, und auf die Beförderung hatte die politische Gesinnung des Offiziers
stets Einfluß. —

Die Geschichte des zweiten Kaiserreichs zerfällt für das Auge des Rück¬
blickenden deutlich in zwei zeitlich etwa gleich große Teile. Bis ungefähr 1860
glückte in der auswärtigen Politik dem gekrönten Spekulanten an der Seine
alles, von da ab fast nichts. Statt Italien zu befreien, wurde er das Haupt¬
hindernis der völligen Einigung, und es kam so weit, daß Viktor Emmanuel


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[0059] Rückblicke auf die Geschichte des zweiten Uniserreiches So sah die Hauptstütze des Thrones aus! Die tiefsitzenden Mißstände zeigten sich im Kriege von 1859, in dessen Vorgeschichte ja auch noch manches dunkel ist. Nur soviel scheint sicher, daß von den zwei Verschwörern gegen Österreich Camillo Cavour der genialere und entschlossenere war, indeß der Kaiser, wenn auch gleich skrupellos, in seiner Art lavierte und intrigierte. Das Orsinische Attentat (5. Januar 1858) hatte zunächst nur die Folge, daß Napoleon in Frankreich selbst die Zügel noch schärfer anzog. Mit dem „Gesetz für die allgemeine Sicherheit" und in der Ernennung des energischen General I'Espinasse, eines Staatsstreichgenossen, zum Minister des Innern, wurde das ganze Reich unter das Schwert gebeugt. Das entsetzliche Canenne bevölkerte sich mit Unglücklichen. Es war der Gipfelpunkt napoleonischer Autokratie, den diese Jahre von 1853 und 1859 bezeichnen. Man nimmt an, daß Orsinis Bomben, sein berühmter Brief aus dem Kerker, Mazzinis offenes Schreiben, in dem er den Kaiser vor die Wahl stellte, Italiens Befreier oder das Opfer italienischen Hasses zu werden, Napoleon den Dritten zum Handeln in Italien gedrängt haben. Aber der Krieg von 1859 war keiner, der sich militärgeschichtlich in die erste Reihe stellen könnte. Der Kaiser war als Oberkommandant eine Null; seine Generale haderten untereinander; die Disziplin der Truppen war mangelhaft; Führung wie Heeresverpflegung zeigten manche Gebrechen. Man kann ruhig sagen, daß auf der französtsch- sardinischen Seite in diesem Feldzuge kaum weniger Fehler begangen wurden als auf der österreichischen. Magenta und Solferino wurden kein Marengo und kein Austerlitz. Dieser ganze opferreiche Kampf für fremde Interessen war im französischen Heere ebenso unbeliebt wie in der Nation. Und wenn Napoleon auf dem Fürstenkongresse von Baden 1860 zu Ernst von Koburg sagte, er sei zunächst außerstande, einen Feldzug zu führen, die Organisation seiner Armee sei unhaltbar, ihr fehle es völlig an einer Kriegsreserve — dann sagte er das vielleicht, um das Ausland zu beruhigen, aber er sagte die Wahrheit. Der Feldzug hatte auch gezeigt, daß Napoleon keinen Feldherrn von überragender Qualität in seinem Heere hatte. Kein Berthier und kein Ney, kein Massena und kein Davoust war unter seinen Generalen, die übrigens sämtlich in weit höheren Lebensjahren zu ihren leitenden Stellungen kamen, als die jugendlich kraftvollen Paladine des ersten Kaisers. Der Mangel an größeren und ernsten Manövern machte es auch unmöglich, die Führereignung zu prüfen. Der Kaiser aber, gütig von Natur, war seinen Günstlingen gegenüber oft nur zu gütig, und auf die Beförderung hatte die politische Gesinnung des Offiziers stets Einfluß. — Die Geschichte des zweiten Kaiserreichs zerfällt für das Auge des Rück¬ blickenden deutlich in zwei zeitlich etwa gleich große Teile. Bis ungefähr 1860 glückte in der auswärtigen Politik dem gekrönten Spekulanten an der Seine alles, von da ab fast nichts. Statt Italien zu befreien, wurde er das Haupt¬ hindernis der völligen Einigung, und es kam so weit, daß Viktor Emmanuel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/59>, abgerufen am 03.07.2024.