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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Rückblicke auf die Geschichte des zweiten Kaiserreiches

wenn schon die Kühnheit des Entwurfes, so kaum die Kraft der Durchführung
aufgebracht. Als die Hauptmacher des Staatsstreiches betrachtet man heute den
vom Unteroffizier so rasch emporgestiegenen Persignn; dann Napoleons Halb¬
bruder Morny. der nachmals als der eleganteste Lebemann, als der geriebenste
Politiker und als der skrupelloseste Geschäftsmensch für das zweite Kaiserreich
typisch werden sollte*); endlich den General Le Rov Se. Amand. Eine etwas
bewegte Vergangenheit zeigt den tapferen und ehrgeizigen Soldaten als eine
Art von liebenswürdigem Abenteurer. Mit seiner von sittlichen Bedenken freien
Verwegenheit war er als Kriegsminister der rechte Mann, um das Heer für
den Staatsstreich vorzubereiten, es zum Treu- und Eidbruch an der Verfassung
zu benützen.

Durch Treu- und Eidbruch hatte sich ja Bonaparte selber aus einem recht
bedeutungslosen Präsidenten zu einem tatsächlich schon mit souveräner Gewalt
bekleideten "Prinzpräsidenten" gemacht. Ein Plebiscit sanktionierte den Gewaltakt;
aber aus der Armee, die anstimmte, kamen doch 39 000 Nein. Ein Jahr
später ist Napoleon Kaiser, wieder durch eine Volksabstimmung -- der "sin
ac hope Million^, wie er sich so gerne genannt hat. Und in der Tat war
ja dies der einzige Rechtstitel seiner Macht, die eine sonderbare Mischung von
Volkssouveränität mit Krongewalt darstellt. Mit Vorliebe auf den demokratischen
Ursprung seiner Herrschaft, auf den Willen der Nation hinweisend ("par la
LraLL 6e Dien et par la voloritö du psuple IZmpeieui' nich ^i-ancaiZ"
nannte er sich), errichtete er in Wahrheit das was Treitschke zutreffend eine
populäre Tyrannis genannt hat. "Ich will gerne mit dem Wasser des
allgemeinen Stimmrechts getauft sein", sagte er zum österreichischen Gesandten
Hübner, "aber ich lege keinen Wert darauf mit den Füßen im Wasser zu
stehen." Weniger noch als die Charte der Restauration oder die Louis Philipps
verdient die Verfassung des zweiten Kaiserreichs, zum mindesten bis 1865, ihren
Namen. Der vom Kaiser ernannte Senat war eine Versammlung von glänzend
dotierten Jasagern. Die zweite Kammer, corps legislatif, zusammengesetzt
unter dem Drucke der offiziellen Kandidaturen, hatte weder Gesetzvorschlags-
noch Abänderungs-, noch Adreß- oder Jnterpellationsrecht. Sie durfte keine
Petitionen annehmen und damit war ihr Zusammenhang mit der Bevölkerung
zerrissen. Ihr Budgetrecht konnte durch die Regierung illusorisch gemacht
werden. Der zahlreiche Beamtenstand war durch hohe Gehälter an das Kaiser¬
reich gebunden; die Unabhängigkeit der Richter stand nur auf dem Papier.
Keine Selbstverwaltung, dafür aber eine Geheimpolizei und ein "schwarzes
Kabinett"; die Presse zu einem Teil gesetzlich und faktisch geknebelt, zum
anderen erkauft; kein Vereins- und Versammlungsrecht usw. Gleich im ersten
Jahre des Kaiserreichs wurde die Kolportage von etwa 6000 Büchern verboten.
So stand die Nation, welcher der europäische Kontinent seine politischen Frei-



*) Frödöric LoliS, "I.e vue ac ^orny." Paris, Emile-Paul 1909.
Rückblicke auf die Geschichte des zweiten Kaiserreiches

wenn schon die Kühnheit des Entwurfes, so kaum die Kraft der Durchführung
aufgebracht. Als die Hauptmacher des Staatsstreiches betrachtet man heute den
vom Unteroffizier so rasch emporgestiegenen Persignn; dann Napoleons Halb¬
bruder Morny. der nachmals als der eleganteste Lebemann, als der geriebenste
Politiker und als der skrupelloseste Geschäftsmensch für das zweite Kaiserreich
typisch werden sollte*); endlich den General Le Rov Se. Amand. Eine etwas
bewegte Vergangenheit zeigt den tapferen und ehrgeizigen Soldaten als eine
Art von liebenswürdigem Abenteurer. Mit seiner von sittlichen Bedenken freien
Verwegenheit war er als Kriegsminister der rechte Mann, um das Heer für
den Staatsstreich vorzubereiten, es zum Treu- und Eidbruch an der Verfassung
zu benützen.

Durch Treu- und Eidbruch hatte sich ja Bonaparte selber aus einem recht
bedeutungslosen Präsidenten zu einem tatsächlich schon mit souveräner Gewalt
bekleideten „Prinzpräsidenten" gemacht. Ein Plebiscit sanktionierte den Gewaltakt;
aber aus der Armee, die anstimmte, kamen doch 39 000 Nein. Ein Jahr
später ist Napoleon Kaiser, wieder durch eine Volksabstimmung — der „sin
ac hope Million^, wie er sich so gerne genannt hat. Und in der Tat war
ja dies der einzige Rechtstitel seiner Macht, die eine sonderbare Mischung von
Volkssouveränität mit Krongewalt darstellt. Mit Vorliebe auf den demokratischen
Ursprung seiner Herrschaft, auf den Willen der Nation hinweisend („par la
LraLL 6e Dien et par la voloritö du psuple IZmpeieui' nich ^i-ancaiZ"
nannte er sich), errichtete er in Wahrheit das was Treitschke zutreffend eine
populäre Tyrannis genannt hat. „Ich will gerne mit dem Wasser des
allgemeinen Stimmrechts getauft sein", sagte er zum österreichischen Gesandten
Hübner, „aber ich lege keinen Wert darauf mit den Füßen im Wasser zu
stehen." Weniger noch als die Charte der Restauration oder die Louis Philipps
verdient die Verfassung des zweiten Kaiserreichs, zum mindesten bis 1865, ihren
Namen. Der vom Kaiser ernannte Senat war eine Versammlung von glänzend
dotierten Jasagern. Die zweite Kammer, corps legislatif, zusammengesetzt
unter dem Drucke der offiziellen Kandidaturen, hatte weder Gesetzvorschlags-
noch Abänderungs-, noch Adreß- oder Jnterpellationsrecht. Sie durfte keine
Petitionen annehmen und damit war ihr Zusammenhang mit der Bevölkerung
zerrissen. Ihr Budgetrecht konnte durch die Regierung illusorisch gemacht
werden. Der zahlreiche Beamtenstand war durch hohe Gehälter an das Kaiser¬
reich gebunden; die Unabhängigkeit der Richter stand nur auf dem Papier.
Keine Selbstverwaltung, dafür aber eine Geheimpolizei und ein „schwarzes
Kabinett"; die Presse zu einem Teil gesetzlich und faktisch geknebelt, zum
anderen erkauft; kein Vereins- und Versammlungsrecht usw. Gleich im ersten
Jahre des Kaiserreichs wurde die Kolportage von etwa 6000 Büchern verboten.
So stand die Nation, welcher der europäische Kontinent seine politischen Frei-



*) Frödöric LoliS, „I.e vue ac ^orny." Paris, Emile-Paul 1909.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/54>, abgerufen am 02.07.2024.