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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Die Polen und Rußland

Haltung der Polen als den Wahrern der Zukunft unseres Volkes ein ungeheures
Mißverständnis darstellt,

4. daß die polnischen Legionen, die von Österreich ausgerüstet worden sind,
keine irgendwie wesentliche militärische Bedeutung haben können und lediglich
ein politisches Werkzeug bilden, das den Zweck hat, die Bevölkerung des König¬
reichs Polen an die Seite Deutschlands zu locken,

5. daß unser Land in Anbetracht seiner besonderen Lage im gegenwärtigen
Kriege die größten Opfer bringt und daß diese Opfer in erheblichem Maße
eingeschränkt werden durch den Befehl des Oberkommandierenden der russischen
Armee, der die Schonung von Leben und Eigentum der Polen jeglicher Unter¬
tanschaft zusagt, daß ferner die Bildung polnischer Legionen in Galizien die
russische Armee zu Ausfällen reizt, die den Polen österreichischer Reichsangehörigkeit
gefährlich werden,

in Anbetracht alles dieses erachten wir, die unterzeichneten Parteien, die
Stellungnahme des Ausrufs des polnischen Koko in Galizien und die Erklärungen
des obersten Volkskomitees Galiziens als für die polnische Sache schädlich.

Die oben genannten Parteien können sich das Erscheinen des erwähnten
Aufrufes in Galizien nicht anders erklären, als durch einen Irrtum der gali-
zischen Gesellschaft, der durch falsche Nachrichten über den Verlauf des Krieges
herbeigeführt wurde und besonders durch die Zerrissenheit der Polen des König¬
reichs Polen und Preußens.

Indem wir zum Schluß feststellen, daß die polnische Bevölkerung Galiziens
nur ein Fünftel des polnischen Volkes darstellt, und daß daher das Vorgehen
ihrer Vertreter in einem so wichtigen Augenblick im Namen des ganzen Volkes
unter Ignorierung der polnischen Bevölkerung der anderen Anteile, ohne Berück¬
sichtigung der Ereignisse, eine Usurpation darstellt, -- haben die oben erwähnten
Parteien beschlossen, eine Haltung einzunehmen, die mit dem Willen der über¬
wiegenden Anzahl des Volkes übereinstimmt, und fordern vom obersten National¬
komitee Galiziens die sofortige Einstellung aller Handlungen, die in ihrem
veröffentlichten Programm bezeichnet sind."

Der Aufruf kommt einer Kriegserkärung der russischen Polen an die der
anderen Anteile gleich und sein Inhalt wird noch unterstrichen durch Ausführungen
von Swientochowski, der ebenso wie die polnischen Großgrundbesitzer in Wolhvnien
und Weißrußland auch nach der Schlacht von Tannenberg an den Sieg der
russischen Waffen glaubt. Auch Swientochowski fordert das polnische Volk in
einem offenen Brief auf, es solle sein Schicksal mit den kriegerischen Unter¬
nehmungen der Koalition verbinden, und schließt: "Wie auch die gegenwärtige
Politik jedes einzelnen der verbündeten Reiche sein möge, sie alle kämpfen für
eine heilige Sache, für die Freiheit, für das Lebensrecht der unterdrückten Völker.
Wenn die Koalition Preußen erdrückt, so wird und kann Polen wahrscheinlich
auferstehen; wenn Deutschland siegt, dann wird zum letztenmal in der Geschichte
der schreckliche, aber unabwendbare Urteilsspruch ertönen ,Finis Poloniae' und


Die Polen und Rußland

Haltung der Polen als den Wahrern der Zukunft unseres Volkes ein ungeheures
Mißverständnis darstellt,

4. daß die polnischen Legionen, die von Österreich ausgerüstet worden sind,
keine irgendwie wesentliche militärische Bedeutung haben können und lediglich
ein politisches Werkzeug bilden, das den Zweck hat, die Bevölkerung des König¬
reichs Polen an die Seite Deutschlands zu locken,

5. daß unser Land in Anbetracht seiner besonderen Lage im gegenwärtigen
Kriege die größten Opfer bringt und daß diese Opfer in erheblichem Maße
eingeschränkt werden durch den Befehl des Oberkommandierenden der russischen
Armee, der die Schonung von Leben und Eigentum der Polen jeglicher Unter¬
tanschaft zusagt, daß ferner die Bildung polnischer Legionen in Galizien die
russische Armee zu Ausfällen reizt, die den Polen österreichischer Reichsangehörigkeit
gefährlich werden,

in Anbetracht alles dieses erachten wir, die unterzeichneten Parteien, die
Stellungnahme des Ausrufs des polnischen Koko in Galizien und die Erklärungen
des obersten Volkskomitees Galiziens als für die polnische Sache schädlich.

Die oben genannten Parteien können sich das Erscheinen des erwähnten
Aufrufes in Galizien nicht anders erklären, als durch einen Irrtum der gali-
zischen Gesellschaft, der durch falsche Nachrichten über den Verlauf des Krieges
herbeigeführt wurde und besonders durch die Zerrissenheit der Polen des König¬
reichs Polen und Preußens.

Indem wir zum Schluß feststellen, daß die polnische Bevölkerung Galiziens
nur ein Fünftel des polnischen Volkes darstellt, und daß daher das Vorgehen
ihrer Vertreter in einem so wichtigen Augenblick im Namen des ganzen Volkes
unter Ignorierung der polnischen Bevölkerung der anderen Anteile, ohne Berück¬
sichtigung der Ereignisse, eine Usurpation darstellt, — haben die oben erwähnten
Parteien beschlossen, eine Haltung einzunehmen, die mit dem Willen der über¬
wiegenden Anzahl des Volkes übereinstimmt, und fordern vom obersten National¬
komitee Galiziens die sofortige Einstellung aller Handlungen, die in ihrem
veröffentlichten Programm bezeichnet sind."

Der Aufruf kommt einer Kriegserkärung der russischen Polen an die der
anderen Anteile gleich und sein Inhalt wird noch unterstrichen durch Ausführungen
von Swientochowski, der ebenso wie die polnischen Großgrundbesitzer in Wolhvnien
und Weißrußland auch nach der Schlacht von Tannenberg an den Sieg der
russischen Waffen glaubt. Auch Swientochowski fordert das polnische Volk in
einem offenen Brief auf, es solle sein Schicksal mit den kriegerischen Unter¬
nehmungen der Koalition verbinden, und schließt: „Wie auch die gegenwärtige
Politik jedes einzelnen der verbündeten Reiche sein möge, sie alle kämpfen für
eine heilige Sache, für die Freiheit, für das Lebensrecht der unterdrückten Völker.
Wenn die Koalition Preußen erdrückt, so wird und kann Polen wahrscheinlich
auferstehen; wenn Deutschland siegt, dann wird zum letztenmal in der Geschichte
der schreckliche, aber unabwendbare Urteilsspruch ertönen ,Finis Poloniae' und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/50>, abgerufen am 30.06.2024.