Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Polen und Rußland

begann besonders in Krakau nachzuweisen, daß alles Kraftvolle, dessen sich die
Polen erfreuten, nur aus den Polen selbst heraus geschaffen wurde, während
die Geschichte doch sichtbar lehrt, wie sich die Polen nur deshalb überhaupt
noch zu erhalten vermochten, weil ständig der befruchtende deutsche Strom von
Westen kommend über sie hinrauschte und mit seinen Kultursedimenten den
polnischen Boden düngte.

Neben solchen theoretischen Aufschlüssen finden wir die Ursache des
neuerlichen politischen Zusammenbruchs auch begründet in Vorgängen der
praktischen Politik, die uns hier in erster Linie beschäftigen.

Das Unheil ist für die Polen von Rußland gekommen. Mit seinem
erstaunlichen wirtschaftlichen Aufschwünge seit 1905 -- übrigens unter den
Wirkungen des so viel geschmähten Handelsvertrages von 19061 -- hat es die
Polen wie alle Welt in Erstaunen gesetzt und den Eindruck unüberwindlicher
Macht hervorgerufen. Diese Macht zog nun die Polen um so mehr an, als zunächst
von ihr aus reicher materieller Segen sich über alle die ausbreitete, die sich ihr
anschlössen; dann aber schien die innerpolitische Lage es den stark zur
Intrige neigenden Polen zu ermöglichen, Geschäfte sowohl mit der Regierung,
wie mit den vorwärts strebenden russischen Parteien zu machen. Im Revolutions¬
jahre von 1904/5 war es den Bemühungen russischer und polnischer Politiker
gelungen, eine Aussprache aller demokratischen Elemente, anfänglich in der
russischen Presse, herbeizuführen. Nachdem Peter Struwe, einer der Gründer
des russischen Vereins der "Befreier" (Oswoboshdjency) den Polen schon in
seiner erst in Stuttgart, dann in Paris erscheinenden Zeitschrift die Möglichkeit
freier Aussprache gegeben hatte, öffnete im Herbst 1904 zur Amtszeit des
Fürsten Swjatopolk-Mirski als Minister des Innern der jüngere Ssuworin den
Polen die Spalten seines Blattes "Russj" und im Jahre 1905 erschienen
polnische Delegierte auf dem ersten öffentlichen Sjemstwokongreß zu Moskau,
lebhaft begrüßt und gefeiert als Kampfgenossen und Brüder der russischen
Demokraten. Zwischen den Parteien wurde die Autonomie der Polen, Litauer,
Finnen, Letten, Armenier usw. -- natürlich unter Ausschluß der Deutschen --
verabredet. Voraussetzung war, daß die Polen sich ihr Teil Freiheit von der
Negierung auch selbst erkämpften. Die Russen rechneten damals mit einem
Aufstände in Polen. In Wirklichkeit haben sich die Polen aber als solche
nicht gerührt. Aufstände brachen zwar in polnischen Städten aus, sie trugen
aber, in erster Linie vom jüdischen und polnischen Proletariat angezettelt, keinen
nationalen Charakter, sondern einen sozialen, und bedrohten mit ihren anarchistischen
Methoden Besitz. Bildung und Kirche der Polen mehr wie die russische Regierung.
Die Polen waren unter diesen Umständen die ersten, die mit der Regierung
paktierten, freilich nicht ohne ihr Verhalten dadurch zu entschuldigen, daß ein
Einmarsch deutscher Truppen nahe bevorstände, der dann der ganzen russischen
Freiheitsbewegung den Garaus machen würde. -- Wir wissen mit Bestimmtheit,
daß diese Gefahr von den Polen glatt erfunden wurde, um ihnen selbst die


3*
Die Polen und Rußland

begann besonders in Krakau nachzuweisen, daß alles Kraftvolle, dessen sich die
Polen erfreuten, nur aus den Polen selbst heraus geschaffen wurde, während
die Geschichte doch sichtbar lehrt, wie sich die Polen nur deshalb überhaupt
noch zu erhalten vermochten, weil ständig der befruchtende deutsche Strom von
Westen kommend über sie hinrauschte und mit seinen Kultursedimenten den
polnischen Boden düngte.

Neben solchen theoretischen Aufschlüssen finden wir die Ursache des
neuerlichen politischen Zusammenbruchs auch begründet in Vorgängen der
praktischen Politik, die uns hier in erster Linie beschäftigen.

Das Unheil ist für die Polen von Rußland gekommen. Mit seinem
erstaunlichen wirtschaftlichen Aufschwünge seit 1905 — übrigens unter den
Wirkungen des so viel geschmähten Handelsvertrages von 19061 — hat es die
Polen wie alle Welt in Erstaunen gesetzt und den Eindruck unüberwindlicher
Macht hervorgerufen. Diese Macht zog nun die Polen um so mehr an, als zunächst
von ihr aus reicher materieller Segen sich über alle die ausbreitete, die sich ihr
anschlössen; dann aber schien die innerpolitische Lage es den stark zur
Intrige neigenden Polen zu ermöglichen, Geschäfte sowohl mit der Regierung,
wie mit den vorwärts strebenden russischen Parteien zu machen. Im Revolutions¬
jahre von 1904/5 war es den Bemühungen russischer und polnischer Politiker
gelungen, eine Aussprache aller demokratischen Elemente, anfänglich in der
russischen Presse, herbeizuführen. Nachdem Peter Struwe, einer der Gründer
des russischen Vereins der „Befreier" (Oswoboshdjency) den Polen schon in
seiner erst in Stuttgart, dann in Paris erscheinenden Zeitschrift die Möglichkeit
freier Aussprache gegeben hatte, öffnete im Herbst 1904 zur Amtszeit des
Fürsten Swjatopolk-Mirski als Minister des Innern der jüngere Ssuworin den
Polen die Spalten seines Blattes „Russj" und im Jahre 1905 erschienen
polnische Delegierte auf dem ersten öffentlichen Sjemstwokongreß zu Moskau,
lebhaft begrüßt und gefeiert als Kampfgenossen und Brüder der russischen
Demokraten. Zwischen den Parteien wurde die Autonomie der Polen, Litauer,
Finnen, Letten, Armenier usw. — natürlich unter Ausschluß der Deutschen —
verabredet. Voraussetzung war, daß die Polen sich ihr Teil Freiheit von der
Negierung auch selbst erkämpften. Die Russen rechneten damals mit einem
Aufstände in Polen. In Wirklichkeit haben sich die Polen aber als solche
nicht gerührt. Aufstände brachen zwar in polnischen Städten aus, sie trugen
aber, in erster Linie vom jüdischen und polnischen Proletariat angezettelt, keinen
nationalen Charakter, sondern einen sozialen, und bedrohten mit ihren anarchistischen
Methoden Besitz. Bildung und Kirche der Polen mehr wie die russische Regierung.
Die Polen waren unter diesen Umständen die ersten, die mit der Regierung
paktierten, freilich nicht ohne ihr Verhalten dadurch zu entschuldigen, daß ein
Einmarsch deutscher Truppen nahe bevorstände, der dann der ganzen russischen
Freiheitsbewegung den Garaus machen würde. — Wir wissen mit Bestimmtheit,
daß diese Gefahr von den Polen glatt erfunden wurde, um ihnen selbst die


3*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0047" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329275"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Polen und Rußland</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_89" prev="#ID_88"> begann besonders in Krakau nachzuweisen, daß alles Kraftvolle, dessen sich die<lb/>
Polen erfreuten, nur aus den Polen selbst heraus geschaffen wurde, während<lb/>
die Geschichte doch sichtbar lehrt, wie sich die Polen nur deshalb überhaupt<lb/>
noch zu erhalten vermochten, weil ständig der befruchtende deutsche Strom von<lb/>
Westen kommend über sie hinrauschte und mit seinen Kultursedimenten den<lb/>
polnischen Boden düngte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_90"> Neben solchen theoretischen Aufschlüssen finden wir die Ursache des<lb/>
neuerlichen politischen Zusammenbruchs auch begründet in Vorgängen der<lb/>
praktischen Politik, die uns hier in erster Linie beschäftigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_91" next="#ID_92"> Das Unheil ist für die Polen von Rußland gekommen. Mit seinem<lb/>
erstaunlichen wirtschaftlichen Aufschwünge seit 1905 &#x2014; übrigens unter den<lb/>
Wirkungen des so viel geschmähten Handelsvertrages von 19061 &#x2014; hat es die<lb/>
Polen wie alle Welt in Erstaunen gesetzt und den Eindruck unüberwindlicher<lb/>
Macht hervorgerufen. Diese Macht zog nun die Polen um so mehr an, als zunächst<lb/>
von ihr aus reicher materieller Segen sich über alle die ausbreitete, die sich ihr<lb/>
anschlössen; dann aber schien die innerpolitische Lage es den stark zur<lb/>
Intrige neigenden Polen zu ermöglichen, Geschäfte sowohl mit der Regierung,<lb/>
wie mit den vorwärts strebenden russischen Parteien zu machen. Im Revolutions¬<lb/>
jahre von 1904/5 war es den Bemühungen russischer und polnischer Politiker<lb/>
gelungen, eine Aussprache aller demokratischen Elemente, anfänglich in der<lb/>
russischen Presse, herbeizuführen. Nachdem Peter Struwe, einer der Gründer<lb/>
des russischen Vereins der &#x201E;Befreier" (Oswoboshdjency) den Polen schon in<lb/>
seiner erst in Stuttgart, dann in Paris erscheinenden Zeitschrift die Möglichkeit<lb/>
freier Aussprache gegeben hatte, öffnete im Herbst 1904 zur Amtszeit des<lb/>
Fürsten Swjatopolk-Mirski als Minister des Innern der jüngere Ssuworin den<lb/>
Polen die Spalten seines Blattes &#x201E;Russj" und im Jahre 1905 erschienen<lb/>
polnische Delegierte auf dem ersten öffentlichen Sjemstwokongreß zu Moskau,<lb/>
lebhaft begrüßt und gefeiert als Kampfgenossen und Brüder der russischen<lb/>
Demokraten. Zwischen den Parteien wurde die Autonomie der Polen, Litauer,<lb/>
Finnen, Letten, Armenier usw. &#x2014; natürlich unter Ausschluß der Deutschen &#x2014;<lb/>
verabredet. Voraussetzung war, daß die Polen sich ihr Teil Freiheit von der<lb/>
Negierung auch selbst erkämpften. Die Russen rechneten damals mit einem<lb/>
Aufstände in Polen. In Wirklichkeit haben sich die Polen aber als solche<lb/>
nicht gerührt. Aufstände brachen zwar in polnischen Städten aus, sie trugen<lb/>
aber, in erster Linie vom jüdischen und polnischen Proletariat angezettelt, keinen<lb/>
nationalen Charakter, sondern einen sozialen, und bedrohten mit ihren anarchistischen<lb/>
Methoden Besitz. Bildung und Kirche der Polen mehr wie die russische Regierung.<lb/>
Die Polen waren unter diesen Umständen die ersten, die mit der Regierung<lb/>
paktierten, freilich nicht ohne ihr Verhalten dadurch zu entschuldigen, daß ein<lb/>
Einmarsch deutscher Truppen nahe bevorstände, der dann der ganzen russischen<lb/>
Freiheitsbewegung den Garaus machen würde. &#x2014; Wir wissen mit Bestimmtheit,<lb/>
daß diese Gefahr von den Polen glatt erfunden wurde, um ihnen selbst die</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 3*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0047] Die Polen und Rußland begann besonders in Krakau nachzuweisen, daß alles Kraftvolle, dessen sich die Polen erfreuten, nur aus den Polen selbst heraus geschaffen wurde, während die Geschichte doch sichtbar lehrt, wie sich die Polen nur deshalb überhaupt noch zu erhalten vermochten, weil ständig der befruchtende deutsche Strom von Westen kommend über sie hinrauschte und mit seinen Kultursedimenten den polnischen Boden düngte. Neben solchen theoretischen Aufschlüssen finden wir die Ursache des neuerlichen politischen Zusammenbruchs auch begründet in Vorgängen der praktischen Politik, die uns hier in erster Linie beschäftigen. Das Unheil ist für die Polen von Rußland gekommen. Mit seinem erstaunlichen wirtschaftlichen Aufschwünge seit 1905 — übrigens unter den Wirkungen des so viel geschmähten Handelsvertrages von 19061 — hat es die Polen wie alle Welt in Erstaunen gesetzt und den Eindruck unüberwindlicher Macht hervorgerufen. Diese Macht zog nun die Polen um so mehr an, als zunächst von ihr aus reicher materieller Segen sich über alle die ausbreitete, die sich ihr anschlössen; dann aber schien die innerpolitische Lage es den stark zur Intrige neigenden Polen zu ermöglichen, Geschäfte sowohl mit der Regierung, wie mit den vorwärts strebenden russischen Parteien zu machen. Im Revolutions¬ jahre von 1904/5 war es den Bemühungen russischer und polnischer Politiker gelungen, eine Aussprache aller demokratischen Elemente, anfänglich in der russischen Presse, herbeizuführen. Nachdem Peter Struwe, einer der Gründer des russischen Vereins der „Befreier" (Oswoboshdjency) den Polen schon in seiner erst in Stuttgart, dann in Paris erscheinenden Zeitschrift die Möglichkeit freier Aussprache gegeben hatte, öffnete im Herbst 1904 zur Amtszeit des Fürsten Swjatopolk-Mirski als Minister des Innern der jüngere Ssuworin den Polen die Spalten seines Blattes „Russj" und im Jahre 1905 erschienen polnische Delegierte auf dem ersten öffentlichen Sjemstwokongreß zu Moskau, lebhaft begrüßt und gefeiert als Kampfgenossen und Brüder der russischen Demokraten. Zwischen den Parteien wurde die Autonomie der Polen, Litauer, Finnen, Letten, Armenier usw. — natürlich unter Ausschluß der Deutschen — verabredet. Voraussetzung war, daß die Polen sich ihr Teil Freiheit von der Negierung auch selbst erkämpften. Die Russen rechneten damals mit einem Aufstände in Polen. In Wirklichkeit haben sich die Polen aber als solche nicht gerührt. Aufstände brachen zwar in polnischen Städten aus, sie trugen aber, in erster Linie vom jüdischen und polnischen Proletariat angezettelt, keinen nationalen Charakter, sondern einen sozialen, und bedrohten mit ihren anarchistischen Methoden Besitz. Bildung und Kirche der Polen mehr wie die russische Regierung. Die Polen waren unter diesen Umständen die ersten, die mit der Regierung paktierten, freilich nicht ohne ihr Verhalten dadurch zu entschuldigen, daß ein Einmarsch deutscher Truppen nahe bevorstände, der dann der ganzen russischen Freiheitsbewegung den Garaus machen würde. — Wir wissen mit Bestimmtheit, daß diese Gefahr von den Polen glatt erfunden wurde, um ihnen selbst die 3*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/47
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/47>, abgerufen am 30.06.2024.