Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Einfluß des Krieges auf die Intelligenz

Als sie die Reihen der Gesunden draußen passierten, rief irgend jemand:
"Mensch freu dir doch! Nu kannste deine Trittlinge verscherbeln!" Der Vaga¬
bund sah traurig zu ihm hinüber: "Du kannst lachen, du hast Freiquartier
jetzt, aber ich -- -- ?"

Er wandte seinen grauen Kopf der Straße zu, deren weißes Band durch
die Nacht schimmerte, sich den Berg hinanziehend, bis es sich oben im Dunkel
verlor. Dann drehte er sich nochmal zu B. 1 um und fragte ihn: "Da geht
es doch woll nach Erfurt zu? Hier krieg ich heute doch nischt mehr auf die
Nacht!" Er besah sich flüchtig seine Hand, die ihm der Schriftsteller zum
Abschied gedrückt hatte. "Danke ooch, man kann es brauchen!"

So gingen die beiden Männer mit dem Anfangsbuchstaben B. ausein¬
ander -- bergauf der eine, bergab der andere -- beide aber ins Ungewisse
und Angebundene, woher sie gekommen waren. Und doch hatten sie Sehnsucht
gehabt nach dem Bestimmter und Gebundenen, nach gleichem Schritt und Tritt
mit Tausend und Abertausend anderen, nach Kameradschaft und nach dem
Vaterland -- --.




Der Ginfluß des Krieges auf die Intelligenz
Dr. Paul Feldkeller von

icht nur Gefühl und Wille, auch das Verstandesleben erfahrt
durch den Krieg eine Beeinflussung. Ein "Knotenpunkt der Ent¬
wicklung", der letzterer ist, bietet er ein reichhaltigeres Anschauungs¬
material für die meisten menschlich wertvollen Fähigkeiten und
Betätigungen als der Friede. Er ist bei weitem instruktiver,
weil er, in eine kleine Spanne Zeit zusammengedrängt, gleichsam in unes
einen bedeutsameren geschichtlichen Entwicklungsprozeß auszuweisen hat, als
manche andere viel längere Zeitperiode. Eine Vereinfachung und Entwirrung
der Lebenszusammenhänge bietet sich dem sehenden Verstände dar: die sonst
kaum spürbaren, in weiter Ferne gewährten Ziele der lebendigen Entwicklung
sind greifbar nahe gerückt, die zum Teil durch die Ablagerungen einer Pseudo-
kultur verschütteten Ausgangspunkte und Ursprünge natürlichen Gemeinschafts¬
lebens sind wieder bloßgelegt. Es ist nicht zu leugnen, daß die Fragen nach
dem woher? und wohin? des privaten und Familien-, vor allem des wirt¬
schaftlichen Lebens von vielen in unseren Tagen überhaupt erst aufgeworfen
und mit dem Hinweis auf irgend welchen höheren Sinn beantwortet worden
sind. Die gegenwärtige Umwälzung hat wie keine zweite das Denken auch
der sonst Gedankenlosen mächtig gefördert.


Der Einfluß des Krieges auf die Intelligenz

Als sie die Reihen der Gesunden draußen passierten, rief irgend jemand:
„Mensch freu dir doch! Nu kannste deine Trittlinge verscherbeln!" Der Vaga¬
bund sah traurig zu ihm hinüber: „Du kannst lachen, du hast Freiquartier
jetzt, aber ich — — ?"

Er wandte seinen grauen Kopf der Straße zu, deren weißes Band durch
die Nacht schimmerte, sich den Berg hinanziehend, bis es sich oben im Dunkel
verlor. Dann drehte er sich nochmal zu B. 1 um und fragte ihn: „Da geht
es doch woll nach Erfurt zu? Hier krieg ich heute doch nischt mehr auf die
Nacht!" Er besah sich flüchtig seine Hand, die ihm der Schriftsteller zum
Abschied gedrückt hatte. „Danke ooch, man kann es brauchen!"

So gingen die beiden Männer mit dem Anfangsbuchstaben B. ausein¬
ander — bergauf der eine, bergab der andere — beide aber ins Ungewisse
und Angebundene, woher sie gekommen waren. Und doch hatten sie Sehnsucht
gehabt nach dem Bestimmter und Gebundenen, nach gleichem Schritt und Tritt
mit Tausend und Abertausend anderen, nach Kameradschaft und nach dem
Vaterland — —.




Der Ginfluß des Krieges auf die Intelligenz
Dr. Paul Feldkeller von

icht nur Gefühl und Wille, auch das Verstandesleben erfahrt
durch den Krieg eine Beeinflussung. Ein „Knotenpunkt der Ent¬
wicklung", der letzterer ist, bietet er ein reichhaltigeres Anschauungs¬
material für die meisten menschlich wertvollen Fähigkeiten und
Betätigungen als der Friede. Er ist bei weitem instruktiver,
weil er, in eine kleine Spanne Zeit zusammengedrängt, gleichsam in unes
einen bedeutsameren geschichtlichen Entwicklungsprozeß auszuweisen hat, als
manche andere viel längere Zeitperiode. Eine Vereinfachung und Entwirrung
der Lebenszusammenhänge bietet sich dem sehenden Verstände dar: die sonst
kaum spürbaren, in weiter Ferne gewährten Ziele der lebendigen Entwicklung
sind greifbar nahe gerückt, die zum Teil durch die Ablagerungen einer Pseudo-
kultur verschütteten Ausgangspunkte und Ursprünge natürlichen Gemeinschafts¬
lebens sind wieder bloßgelegt. Es ist nicht zu leugnen, daß die Fragen nach
dem woher? und wohin? des privaten und Familien-, vor allem des wirt¬
schaftlichen Lebens von vielen in unseren Tagen überhaupt erst aufgeworfen
und mit dem Hinweis auf irgend welchen höheren Sinn beantwortet worden
sind. Die gegenwärtige Umwälzung hat wie keine zweite das Denken auch
der sonst Gedankenlosen mächtig gefördert.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0423" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329651"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Einfluß des Krieges auf die Intelligenz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1477"> Als sie die Reihen der Gesunden draußen passierten, rief irgend jemand:<lb/>
&#x201E;Mensch freu dir doch! Nu kannste deine Trittlinge verscherbeln!" Der Vaga¬<lb/>
bund sah traurig zu ihm hinüber: &#x201E;Du kannst lachen, du hast Freiquartier<lb/>
jetzt, aber ich &#x2014; &#x2014; ?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1478"> Er wandte seinen grauen Kopf der Straße zu, deren weißes Band durch<lb/>
die Nacht schimmerte, sich den Berg hinanziehend, bis es sich oben im Dunkel<lb/>
verlor. Dann drehte er sich nochmal zu B. 1 um und fragte ihn: &#x201E;Da geht<lb/>
es doch woll nach Erfurt zu? Hier krieg ich heute doch nischt mehr auf die<lb/>
Nacht!" Er besah sich flüchtig seine Hand, die ihm der Schriftsteller zum<lb/>
Abschied gedrückt hatte.  &#x201E;Danke ooch, man kann es brauchen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1479"> So gingen die beiden Männer mit dem Anfangsbuchstaben B. ausein¬<lb/>
ander &#x2014; bergauf der eine, bergab der andere &#x2014; beide aber ins Ungewisse<lb/>
und Angebundene, woher sie gekommen waren. Und doch hatten sie Sehnsucht<lb/>
gehabt nach dem Bestimmter und Gebundenen, nach gleichem Schritt und Tritt<lb/>
mit Tausend und Abertausend anderen, nach Kameradschaft und nach dem<lb/>
Vaterland &#x2014; &#x2014;.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Ginfluß des Krieges auf die Intelligenz<lb/><note type="byline"> Dr. Paul Feldkeller</note> von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1480"> icht nur Gefühl und Wille, auch das Verstandesleben erfahrt<lb/>
durch den Krieg eine Beeinflussung. Ein &#x201E;Knotenpunkt der Ent¬<lb/>
wicklung", der letzterer ist, bietet er ein reichhaltigeres Anschauungs¬<lb/>
material für die meisten menschlich wertvollen Fähigkeiten und<lb/>
Betätigungen als der Friede. Er ist bei weitem instruktiver,<lb/>
weil er, in eine kleine Spanne Zeit zusammengedrängt, gleichsam in unes<lb/>
einen bedeutsameren geschichtlichen Entwicklungsprozeß auszuweisen hat, als<lb/>
manche andere viel längere Zeitperiode. Eine Vereinfachung und Entwirrung<lb/>
der Lebenszusammenhänge bietet sich dem sehenden Verstände dar: die sonst<lb/>
kaum spürbaren, in weiter Ferne gewährten Ziele der lebendigen Entwicklung<lb/>
sind greifbar nahe gerückt, die zum Teil durch die Ablagerungen einer Pseudo-<lb/>
kultur verschütteten Ausgangspunkte und Ursprünge natürlichen Gemeinschafts¬<lb/>
lebens sind wieder bloßgelegt. Es ist nicht zu leugnen, daß die Fragen nach<lb/>
dem woher? und wohin? des privaten und Familien-, vor allem des wirt¬<lb/>
schaftlichen Lebens von vielen in unseren Tagen überhaupt erst aufgeworfen<lb/>
und mit dem Hinweis auf irgend welchen höheren Sinn beantwortet worden<lb/>
sind. Die gegenwärtige Umwälzung hat wie keine zweite das Denken auch<lb/>
der sonst Gedankenlosen mächtig gefördert.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0423] Der Einfluß des Krieges auf die Intelligenz Als sie die Reihen der Gesunden draußen passierten, rief irgend jemand: „Mensch freu dir doch! Nu kannste deine Trittlinge verscherbeln!" Der Vaga¬ bund sah traurig zu ihm hinüber: „Du kannst lachen, du hast Freiquartier jetzt, aber ich — — ?" Er wandte seinen grauen Kopf der Straße zu, deren weißes Band durch die Nacht schimmerte, sich den Berg hinanziehend, bis es sich oben im Dunkel verlor. Dann drehte er sich nochmal zu B. 1 um und fragte ihn: „Da geht es doch woll nach Erfurt zu? Hier krieg ich heute doch nischt mehr auf die Nacht!" Er besah sich flüchtig seine Hand, die ihm der Schriftsteller zum Abschied gedrückt hatte. „Danke ooch, man kann es brauchen!" So gingen die beiden Männer mit dem Anfangsbuchstaben B. ausein¬ ander — bergauf der eine, bergab der andere — beide aber ins Ungewisse und Angebundene, woher sie gekommen waren. Und doch hatten sie Sehnsucht gehabt nach dem Bestimmter und Gebundenen, nach gleichem Schritt und Tritt mit Tausend und Abertausend anderen, nach Kameradschaft und nach dem Vaterland — —. Der Ginfluß des Krieges auf die Intelligenz Dr. Paul Feldkeller von icht nur Gefühl und Wille, auch das Verstandesleben erfahrt durch den Krieg eine Beeinflussung. Ein „Knotenpunkt der Ent¬ wicklung", der letzterer ist, bietet er ein reichhaltigeres Anschauungs¬ material für die meisten menschlich wertvollen Fähigkeiten und Betätigungen als der Friede. Er ist bei weitem instruktiver, weil er, in eine kleine Spanne Zeit zusammengedrängt, gleichsam in unes einen bedeutsameren geschichtlichen Entwicklungsprozeß auszuweisen hat, als manche andere viel längere Zeitperiode. Eine Vereinfachung und Entwirrung der Lebenszusammenhänge bietet sich dem sehenden Verstände dar: die sonst kaum spürbaren, in weiter Ferne gewährten Ziele der lebendigen Entwicklung sind greifbar nahe gerückt, die zum Teil durch die Ablagerungen einer Pseudo- kultur verschütteten Ausgangspunkte und Ursprünge natürlichen Gemeinschafts¬ lebens sind wieder bloßgelegt. Es ist nicht zu leugnen, daß die Fragen nach dem woher? und wohin? des privaten und Familien-, vor allem des wirt¬ schaftlichen Lebens von vielen in unseren Tagen überhaupt erst aufgeworfen und mit dem Hinweis auf irgend welchen höheren Sinn beantwortet worden sind. Die gegenwärtige Umwälzung hat wie keine zweite das Denken auch der sonst Gedankenlosen mächtig gefördert.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/423
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/423>, abgerufen am 02.07.2024.