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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Die Ungebundenen

Bauches so viel Falten warf, als hätte er früher wirklich einen Bauch zu
bedecken gehabt?! "Vor dem reißen sogar die Kosaken ausI" rief einer. "Nee,
Aber die Spatzen. Den brauchen wir doch als Vogelscheuche daheeme!" höhnte
ein anderer. "Den reklamiert der Gensdarm, aber nicht der Bezirksfeldwebel!"
war die Meinung eines dritten. Die spöttischen Bemerkungen hagelten nur so
hinter dem Fremdling her. Er aber kümmerte sich nicht darum. So schien
es wenigstens. B, 1 sah das Zittern seines Kinns und überlegte, ob es Lachen
oder Weinen war. In mitleidigem Interesse folgte er der auffälligen Er¬
scheinung bis zum Tisch des Bezirksfeldwebels, der am Eingang zum Saal
aufgestellt war. Hier saß der wohlbeleibte Heeresbeamte und gab Fragenden
in gutmütiger Bärbeißigkeit Auskunft über Zeit und Standort der verschiedenen
Gestellungen. Auch der Landstreicher zeigte seine Papiere vor und bat um
Bescheid, wie er sich zu verhalten habe. Ein Paar Stiefel brächte er ja mit,
und zum Beweis zwirbelte er das erbettelte Schuhzeug am Strick in der Lust
herum; Unterwäsche brauche er auch nicht weiter, denn der Schwitzer -- hier
strich er stolz über die Wolle des Sweaters -- reiche für den kältesten Winter
aus. Nur den nötigen Mundvorrat habe er beim besten Willen nicht zusammen¬
bringen können. Ob ihn: der Herr Feldwebel nicht einen kleinen Vorschuß auf
die Kriegslöhnung anweisen wolle. Diesen Schnorrversuch hätte B. 2 gestern
Nachmitttag im Zustand seiner moralischen und menschlichen Erweckung nicht
über die Lippen gebracht. Aber die verächtliche Begrüßung, die ihm eben zu teil
geworden war, hatte ihn wieder in den Bannkreis seiner egoistischen Interessen
zurückgeworfen. Der Feldwebel stützte erst die Hände in die Seite, erhob sich
dann von seinem Stuhl und stellte sich breitbeinig vor den seltsamen Landstürmer
auf: "Mensch, Sie sehen jünstig aus!! -- Ich glaube fast, Ihnen wird Seine
Majestät entbehren können. Vorläufig aber sehen Se man rum in die Kaserne
und melden Sie sich mit einem schönen Jruß von mir in der Mannschaftsküche.
Man wird Ihnen einen Topp Suppe verabreichen. Verstanden?!"

B. 2 schlug die nackten Hacken zusammen und fiel salutierend in die Brust:
"Zu Befehl, Herr Feldwebel!" -- Haltung und Antwort zeigten wahrhaftig,
daß der Landstreicher den gedienten Soldaten noch nicht ganz vergessen hatte,
so knapp und schneidig waren sie gewesen.

Als B. 2 verschwunden war, um auf der Treppe zur Mannschaftsküche
seine Suppe zu löffeln, wurde es seinem Gesinnungsgenossen, dem anderen
Mann mit dem Anfangsbuchstaben B., aufs neue einsam zu Mute. Ruhelos
und traurig ging er auf und ab unter den Menschen, die er nicht kannte, und
mit denen er, wie er fühlte, nichts Gemeinsames hatte, denn er war ohne
Amt und ohne Besitz, ohne das kleinste der vielen Interessen, die er hier inein¬
ander greifen sah, wie eine Maschinerie von Zahnrädern. Ja, nicht einmal die
Sprache teilte er mit den meisten; ob es nun auf sein krankes Ohr zu schieben
war oder auf die Fremdheit des in der Gegend heimischen Dialekts; er ver¬
stand das Wenigste, was um ihn herum gelacht und geschwützt wurde.


Die Ungebundenen

Bauches so viel Falten warf, als hätte er früher wirklich einen Bauch zu
bedecken gehabt?! „Vor dem reißen sogar die Kosaken ausI" rief einer. „Nee,
Aber die Spatzen. Den brauchen wir doch als Vogelscheuche daheeme!" höhnte
ein anderer. „Den reklamiert der Gensdarm, aber nicht der Bezirksfeldwebel!"
war die Meinung eines dritten. Die spöttischen Bemerkungen hagelten nur so
hinter dem Fremdling her. Er aber kümmerte sich nicht darum. So schien
es wenigstens. B, 1 sah das Zittern seines Kinns und überlegte, ob es Lachen
oder Weinen war. In mitleidigem Interesse folgte er der auffälligen Er¬
scheinung bis zum Tisch des Bezirksfeldwebels, der am Eingang zum Saal
aufgestellt war. Hier saß der wohlbeleibte Heeresbeamte und gab Fragenden
in gutmütiger Bärbeißigkeit Auskunft über Zeit und Standort der verschiedenen
Gestellungen. Auch der Landstreicher zeigte seine Papiere vor und bat um
Bescheid, wie er sich zu verhalten habe. Ein Paar Stiefel brächte er ja mit,
und zum Beweis zwirbelte er das erbettelte Schuhzeug am Strick in der Lust
herum; Unterwäsche brauche er auch nicht weiter, denn der Schwitzer — hier
strich er stolz über die Wolle des Sweaters — reiche für den kältesten Winter
aus. Nur den nötigen Mundvorrat habe er beim besten Willen nicht zusammen¬
bringen können. Ob ihn: der Herr Feldwebel nicht einen kleinen Vorschuß auf
die Kriegslöhnung anweisen wolle. Diesen Schnorrversuch hätte B. 2 gestern
Nachmitttag im Zustand seiner moralischen und menschlichen Erweckung nicht
über die Lippen gebracht. Aber die verächtliche Begrüßung, die ihm eben zu teil
geworden war, hatte ihn wieder in den Bannkreis seiner egoistischen Interessen
zurückgeworfen. Der Feldwebel stützte erst die Hände in die Seite, erhob sich
dann von seinem Stuhl und stellte sich breitbeinig vor den seltsamen Landstürmer
auf: „Mensch, Sie sehen jünstig aus!! — Ich glaube fast, Ihnen wird Seine
Majestät entbehren können. Vorläufig aber sehen Se man rum in die Kaserne
und melden Sie sich mit einem schönen Jruß von mir in der Mannschaftsküche.
Man wird Ihnen einen Topp Suppe verabreichen. Verstanden?!"

B. 2 schlug die nackten Hacken zusammen und fiel salutierend in die Brust:
„Zu Befehl, Herr Feldwebel!" — Haltung und Antwort zeigten wahrhaftig,
daß der Landstreicher den gedienten Soldaten noch nicht ganz vergessen hatte,
so knapp und schneidig waren sie gewesen.

Als B. 2 verschwunden war, um auf der Treppe zur Mannschaftsküche
seine Suppe zu löffeln, wurde es seinem Gesinnungsgenossen, dem anderen
Mann mit dem Anfangsbuchstaben B., aufs neue einsam zu Mute. Ruhelos
und traurig ging er auf und ab unter den Menschen, die er nicht kannte, und
mit denen er, wie er fühlte, nichts Gemeinsames hatte, denn er war ohne
Amt und ohne Besitz, ohne das kleinste der vielen Interessen, die er hier inein¬
ander greifen sah, wie eine Maschinerie von Zahnrädern. Ja, nicht einmal die
Sprache teilte er mit den meisten; ob es nun auf sein krankes Ohr zu schieben
war oder auf die Fremdheit des in der Gegend heimischen Dialekts; er ver¬
stand das Wenigste, was um ihn herum gelacht und geschwützt wurde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/420>, abgerufen am 02.07.2024.