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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Die Deutschen in Rußland

etist nicht unsere Absicht, eine geschichtliche Übersicht über die
Einwanderung der Teutschen nach Rußland zu geben, nur einige
hervorragende Momente können bei der gegenwärtigen Lage wert
^erscheinen, der Geschichte entrissen zu werde".

Es wird russischerseits immer so dargestellt, als wenn die
Einwanderung der Deutschen in Rußland ein Eindringen von Fremdlingen sei,
das gegen den Wunsch der Nation und unter Schädigung der Interessen des
russischen Reiches stattfände. Das Gegenteil ist wahr.

Die deutsche Siedlung in Rußland ist uralt. Es gibt Provinzen, die
lange vor ihrer Einverleibung in das russische Reich deutsche Siedlungen be¬
saßen, und es erübrigt sich, an die Unternehmungen des Bremenser Bischofs zu
erinnern, der deutsche Ritter in das jetzt russische Ostseegebiet brachte, noch
bevor die Eroberung dieser Gebiete durch Schweden erfolgt war. Ebensowenig
bedarf es einer Schilderung der Siedlungen der Hansa, die bekanntlich in
Nowgorod (nicht Nishnr - Nowgorod) ein ständiges Depot unterhielt. Solche
Erinnerungen sind heute zur Abwehr des Mnslawistischen Geistes, der jetzt den
Deutschenhaß nährt, nicht geeignet. Weiter in der Geschichte finden wir, daß
schon Iwan der Schreckliche das Bedürfnis empfand, sich der Hilfe der
Deutschen zu bedienen. Er war es, der für seine Leibwache die sogenannten
Strelitzen (Streljat schießen, Strelitzi Schützen), meistens angeworbene
Deutsche, verwendete, da er seiner eigenen Landsleute nicht sicher war.

Die Einwanderung der Deutschen unter Peter dem Großen hatte kulturellen
Zweck, brachte neben dem Schiffbau allerhand Gewerbebetrieb mit sich und kann in
ihrer Wirkung als mehr oder weniger bekannt gelten, da ja die Gründung
Se. Petersburgs erst mit Hilfe dieser Elemente zustande kam. Was an Deutschen
mit den braunschweigischen und holsteinischen Herrschaften in das russische Reich
eingeführt wurde im einzelnen^ zu schildern, würde zu weit führen. Das jugend¬
liche Prinzeßchen von Anhalt - Zerbst, das als "unschuldiges" Mädchen nach
Nußland verhandelt wurde und dieses auf Raubzügen befindliche Reich in
erstaunlicher Weise vergrößerte, hat infolge ihrer besseren Erziehung den Wert




Die Deutschen in Rußland

etist nicht unsere Absicht, eine geschichtliche Übersicht über die
Einwanderung der Teutschen nach Rußland zu geben, nur einige
hervorragende Momente können bei der gegenwärtigen Lage wert
^erscheinen, der Geschichte entrissen zu werde».

Es wird russischerseits immer so dargestellt, als wenn die
Einwanderung der Deutschen in Rußland ein Eindringen von Fremdlingen sei,
das gegen den Wunsch der Nation und unter Schädigung der Interessen des
russischen Reiches stattfände. Das Gegenteil ist wahr.

Die deutsche Siedlung in Rußland ist uralt. Es gibt Provinzen, die
lange vor ihrer Einverleibung in das russische Reich deutsche Siedlungen be¬
saßen, und es erübrigt sich, an die Unternehmungen des Bremenser Bischofs zu
erinnern, der deutsche Ritter in das jetzt russische Ostseegebiet brachte, noch
bevor die Eroberung dieser Gebiete durch Schweden erfolgt war. Ebensowenig
bedarf es einer Schilderung der Siedlungen der Hansa, die bekanntlich in
Nowgorod (nicht Nishnr - Nowgorod) ein ständiges Depot unterhielt. Solche
Erinnerungen sind heute zur Abwehr des Mnslawistischen Geistes, der jetzt den
Deutschenhaß nährt, nicht geeignet. Weiter in der Geschichte finden wir, daß
schon Iwan der Schreckliche das Bedürfnis empfand, sich der Hilfe der
Deutschen zu bedienen. Er war es, der für seine Leibwache die sogenannten
Strelitzen (Streljat schießen, Strelitzi Schützen), meistens angeworbene
Deutsche, verwendete, da er seiner eigenen Landsleute nicht sicher war.

Die Einwanderung der Deutschen unter Peter dem Großen hatte kulturellen
Zweck, brachte neben dem Schiffbau allerhand Gewerbebetrieb mit sich und kann in
ihrer Wirkung als mehr oder weniger bekannt gelten, da ja die Gründung
Se. Petersburgs erst mit Hilfe dieser Elemente zustande kam. Was an Deutschen
mit den braunschweigischen und holsteinischen Herrschaften in das russische Reich
eingeführt wurde im einzelnen^ zu schildern, würde zu weit führen. Das jugend¬
liche Prinzeßchen von Anhalt - Zerbst, das als „unschuldiges" Mädchen nach
Nußland verhandelt wurde und dieses auf Raubzügen befindliche Reich in
erstaunlicher Weise vergrößerte, hat infolge ihrer besseren Erziehung den Wert


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[0410] [Abbildung] Die Deutschen in Rußland etist nicht unsere Absicht, eine geschichtliche Übersicht über die Einwanderung der Teutschen nach Rußland zu geben, nur einige hervorragende Momente können bei der gegenwärtigen Lage wert ^erscheinen, der Geschichte entrissen zu werde». Es wird russischerseits immer so dargestellt, als wenn die Einwanderung der Deutschen in Rußland ein Eindringen von Fremdlingen sei, das gegen den Wunsch der Nation und unter Schädigung der Interessen des russischen Reiches stattfände. Das Gegenteil ist wahr. Die deutsche Siedlung in Rußland ist uralt. Es gibt Provinzen, die lange vor ihrer Einverleibung in das russische Reich deutsche Siedlungen be¬ saßen, und es erübrigt sich, an die Unternehmungen des Bremenser Bischofs zu erinnern, der deutsche Ritter in das jetzt russische Ostseegebiet brachte, noch bevor die Eroberung dieser Gebiete durch Schweden erfolgt war. Ebensowenig bedarf es einer Schilderung der Siedlungen der Hansa, die bekanntlich in Nowgorod (nicht Nishnr - Nowgorod) ein ständiges Depot unterhielt. Solche Erinnerungen sind heute zur Abwehr des Mnslawistischen Geistes, der jetzt den Deutschenhaß nährt, nicht geeignet. Weiter in der Geschichte finden wir, daß schon Iwan der Schreckliche das Bedürfnis empfand, sich der Hilfe der Deutschen zu bedienen. Er war es, der für seine Leibwache die sogenannten Strelitzen (Streljat schießen, Strelitzi Schützen), meistens angeworbene Deutsche, verwendete, da er seiner eigenen Landsleute nicht sicher war. Die Einwanderung der Deutschen unter Peter dem Großen hatte kulturellen Zweck, brachte neben dem Schiffbau allerhand Gewerbebetrieb mit sich und kann in ihrer Wirkung als mehr oder weniger bekannt gelten, da ja die Gründung Se. Petersburgs erst mit Hilfe dieser Elemente zustande kam. Was an Deutschen mit den braunschweigischen und holsteinischen Herrschaften in das russische Reich eingeführt wurde im einzelnen^ zu schildern, würde zu weit führen. Das jugend¬ liche Prinzeßchen von Anhalt - Zerbst, das als „unschuldiges" Mädchen nach Nußland verhandelt wurde und dieses auf Raubzügen befindliche Reich in erstaunlicher Weise vergrößerte, hat infolge ihrer besseren Erziehung den Wert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/410>, abgerufen am 02.07.2024.