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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Die Deutschen in Rußland

deutscher Biederkeit nicht verkannt und so manche Größe der Kunst, Wissenschaft,
der Kriegskunst, des Gewerbes und sonstiger Stände aus Deutschland in ihr
Reich gezogen. Einer der interessantesten der von Katharina berufenen Ge¬
lehrten ist Pallas, ein Professor aus Jüterbog. der von ihr als Mitglied der
Akademie der Wissenschaften angestellt wurde und durch seine dreijährige
Reise zur Erforschung Rußlands, die er in ihrem Auftrage ausführte,
berühmt geworden ist. Es ist heute noch von Interesse, daß er bei
seinen Reisen weit in Sibirien Deutsche traf, die als Hüttendirektoren und
für verschiedene andere Stellungen aus Deutschland angeworben waren.
Es war damals üblich, daß deutsche Fürsten, die ihren Überschuß an Menschen-
material zur Ansiedlung an Rußland abgaben, diese Ansiedler von einem
Geistlichen begleiten ließen. Es kam vor, daß diese intelligenten Seelsorger
einem oder dem anderen der großen Magnaten geeignet erschienen, für ihre
Zwecke verwendet zu werden. So berichtet Pallas von einem Geistlichen an
der chinesischen Grenze, der als Direktor eines großen Kupferbergwerkes tätig
war. Im übrigen war die Einwanderung damals so zahlreich, daß man in
Saratow an der Wolga nur für die Kolonisten einen Gerichtshof schuf, der
bis vor einigen Jahrzehnten in Tätigkeit war. Durch Familienbeziehungen der
Kolonisten und durch die Begünstigung der Regierung ging diese Einwanderung
fast ein Jahrhundert lang nach dem Tode der sogenannten großen Kaiserin
ihren Weg. Erst der Krimkrieg 1834/55 brachte eine Stockung, denn Kaiser
Nikolaus der Erste, einer der eifrigsten Panslawisten, war kein Freund dieser
Einwanderung. Er hat nur den Import deutscher Prinzessinnen nützlich gefunden
und etliche große Staatsmänner und Feldherren deutschen Ursprungs um sich
geschart, unter anderen Mummies, die Adlerbergs, Nesselrode, Wittgenstein,
Kleinmichel, Kankrin, denen bekanntlich große Posten zufielen; insbesondere hat
letzterer als Finanzminister mit Nikolaus erfolgreich gearbeitet. Aber den
russischen Bauer wollte er in seinem Urzustand erhalten wissen, und da
konnten deutsche Kolonisten nicht in seinen Kram passen. Der Krimkrieg machte
feinem Leben und seinem System ein Ende, sein Sohn Alerander der Zweite,
der Volksbefreier, kam auf den Thron, und leitete ernste Studien zur Hebung
des Reiches ein, mit dem Erfolg, daß sieben Jahre nach seinem Regierungs¬
antritt das Edikt über die Aufhebung der Leibeigenschaft veröffentlicht wurde.
Wenn die Einwanderung der Deutschen in Rußland zu Nikolaus Zeiten voll¬
ständig gestockt hatte, so waren die neu eingeführten Reformen nicht wirksam
genug, um fremde Elemente anzulocken. Jedenfalls kann mit Sicherheit behauptet
werden, daß ein Drang nach dem Osten, wie er oft von russischen Schriftstellern
behauptet wird, damals nicht mehr bestand. Die panslawistische Wühlerei, die
keine Gründe sucht und braucht, ging aber ihrer Wege und die Bekämpfung
der deutschen Ballen stand in Blüte. Man raisonierte über den Hort des
Deutschtums in Dorpat und wechselte zwischen deutschfreundschaftlichen und
deutschfeindlichen Generalgouoerneuren in Riga ab. Das volkswirtschaftliche


Die Deutschen in Rußland

deutscher Biederkeit nicht verkannt und so manche Größe der Kunst, Wissenschaft,
der Kriegskunst, des Gewerbes und sonstiger Stände aus Deutschland in ihr
Reich gezogen. Einer der interessantesten der von Katharina berufenen Ge¬
lehrten ist Pallas, ein Professor aus Jüterbog. der von ihr als Mitglied der
Akademie der Wissenschaften angestellt wurde und durch seine dreijährige
Reise zur Erforschung Rußlands, die er in ihrem Auftrage ausführte,
berühmt geworden ist. Es ist heute noch von Interesse, daß er bei
seinen Reisen weit in Sibirien Deutsche traf, die als Hüttendirektoren und
für verschiedene andere Stellungen aus Deutschland angeworben waren.
Es war damals üblich, daß deutsche Fürsten, die ihren Überschuß an Menschen-
material zur Ansiedlung an Rußland abgaben, diese Ansiedler von einem
Geistlichen begleiten ließen. Es kam vor, daß diese intelligenten Seelsorger
einem oder dem anderen der großen Magnaten geeignet erschienen, für ihre
Zwecke verwendet zu werden. So berichtet Pallas von einem Geistlichen an
der chinesischen Grenze, der als Direktor eines großen Kupferbergwerkes tätig
war. Im übrigen war die Einwanderung damals so zahlreich, daß man in
Saratow an der Wolga nur für die Kolonisten einen Gerichtshof schuf, der
bis vor einigen Jahrzehnten in Tätigkeit war. Durch Familienbeziehungen der
Kolonisten und durch die Begünstigung der Regierung ging diese Einwanderung
fast ein Jahrhundert lang nach dem Tode der sogenannten großen Kaiserin
ihren Weg. Erst der Krimkrieg 1834/55 brachte eine Stockung, denn Kaiser
Nikolaus der Erste, einer der eifrigsten Panslawisten, war kein Freund dieser
Einwanderung. Er hat nur den Import deutscher Prinzessinnen nützlich gefunden
und etliche große Staatsmänner und Feldherren deutschen Ursprungs um sich
geschart, unter anderen Mummies, die Adlerbergs, Nesselrode, Wittgenstein,
Kleinmichel, Kankrin, denen bekanntlich große Posten zufielen; insbesondere hat
letzterer als Finanzminister mit Nikolaus erfolgreich gearbeitet. Aber den
russischen Bauer wollte er in seinem Urzustand erhalten wissen, und da
konnten deutsche Kolonisten nicht in seinen Kram passen. Der Krimkrieg machte
feinem Leben und seinem System ein Ende, sein Sohn Alerander der Zweite,
der Volksbefreier, kam auf den Thron, und leitete ernste Studien zur Hebung
des Reiches ein, mit dem Erfolg, daß sieben Jahre nach seinem Regierungs¬
antritt das Edikt über die Aufhebung der Leibeigenschaft veröffentlicht wurde.
Wenn die Einwanderung der Deutschen in Rußland zu Nikolaus Zeiten voll¬
ständig gestockt hatte, so waren die neu eingeführten Reformen nicht wirksam
genug, um fremde Elemente anzulocken. Jedenfalls kann mit Sicherheit behauptet
werden, daß ein Drang nach dem Osten, wie er oft von russischen Schriftstellern
behauptet wird, damals nicht mehr bestand. Die panslawistische Wühlerei, die
keine Gründe sucht und braucht, ging aber ihrer Wege und die Bekämpfung
der deutschen Ballen stand in Blüte. Man raisonierte über den Hort des
Deutschtums in Dorpat und wechselte zwischen deutschfreundschaftlichen und
deutschfeindlichen Generalgouoerneuren in Riga ab. Das volkswirtschaftliche


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[0411] Die Deutschen in Rußland deutscher Biederkeit nicht verkannt und so manche Größe der Kunst, Wissenschaft, der Kriegskunst, des Gewerbes und sonstiger Stände aus Deutschland in ihr Reich gezogen. Einer der interessantesten der von Katharina berufenen Ge¬ lehrten ist Pallas, ein Professor aus Jüterbog. der von ihr als Mitglied der Akademie der Wissenschaften angestellt wurde und durch seine dreijährige Reise zur Erforschung Rußlands, die er in ihrem Auftrage ausführte, berühmt geworden ist. Es ist heute noch von Interesse, daß er bei seinen Reisen weit in Sibirien Deutsche traf, die als Hüttendirektoren und für verschiedene andere Stellungen aus Deutschland angeworben waren. Es war damals üblich, daß deutsche Fürsten, die ihren Überschuß an Menschen- material zur Ansiedlung an Rußland abgaben, diese Ansiedler von einem Geistlichen begleiten ließen. Es kam vor, daß diese intelligenten Seelsorger einem oder dem anderen der großen Magnaten geeignet erschienen, für ihre Zwecke verwendet zu werden. So berichtet Pallas von einem Geistlichen an der chinesischen Grenze, der als Direktor eines großen Kupferbergwerkes tätig war. Im übrigen war die Einwanderung damals so zahlreich, daß man in Saratow an der Wolga nur für die Kolonisten einen Gerichtshof schuf, der bis vor einigen Jahrzehnten in Tätigkeit war. Durch Familienbeziehungen der Kolonisten und durch die Begünstigung der Regierung ging diese Einwanderung fast ein Jahrhundert lang nach dem Tode der sogenannten großen Kaiserin ihren Weg. Erst der Krimkrieg 1834/55 brachte eine Stockung, denn Kaiser Nikolaus der Erste, einer der eifrigsten Panslawisten, war kein Freund dieser Einwanderung. Er hat nur den Import deutscher Prinzessinnen nützlich gefunden und etliche große Staatsmänner und Feldherren deutschen Ursprungs um sich geschart, unter anderen Mummies, die Adlerbergs, Nesselrode, Wittgenstein, Kleinmichel, Kankrin, denen bekanntlich große Posten zufielen; insbesondere hat letzterer als Finanzminister mit Nikolaus erfolgreich gearbeitet. Aber den russischen Bauer wollte er in seinem Urzustand erhalten wissen, und da konnten deutsche Kolonisten nicht in seinen Kram passen. Der Krimkrieg machte feinem Leben und seinem System ein Ende, sein Sohn Alerander der Zweite, der Volksbefreier, kam auf den Thron, und leitete ernste Studien zur Hebung des Reiches ein, mit dem Erfolg, daß sieben Jahre nach seinem Regierungs¬ antritt das Edikt über die Aufhebung der Leibeigenschaft veröffentlicht wurde. Wenn die Einwanderung der Deutschen in Rußland zu Nikolaus Zeiten voll¬ ständig gestockt hatte, so waren die neu eingeführten Reformen nicht wirksam genug, um fremde Elemente anzulocken. Jedenfalls kann mit Sicherheit behauptet werden, daß ein Drang nach dem Osten, wie er oft von russischen Schriftstellern behauptet wird, damals nicht mehr bestand. Die panslawistische Wühlerei, die keine Gründe sucht und braucht, ging aber ihrer Wege und die Bekämpfung der deutschen Ballen stand in Blüte. Man raisonierte über den Hort des Deutschtums in Dorpat und wechselte zwischen deutschfreundschaftlichen und deutschfeindlichen Generalgouoerneuren in Riga ab. Das volkswirtschaftliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/411>, abgerufen am 02.07.2024.