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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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England und die Neutralen in den napoleonischen Kriegen

gelungen, wie im Jahre 1800 Paul den Ersten, so auch jetzt Alexander von
Rußland auf seine Seite zu ziehen, den mittlerweile die beschränkte Politik des
selbstsüchtigen Inselstaates zu einem glühenden Britenhasser gemacht hatte. Er
zürnte der englischen Regierung, weil sie in der Substdienzahlung so lässig und
zurückhaltend gewesen, weil sie es schroff abgelehnt hatte, eine russische Anleihe
in England durch ihre Garantie zu fördern, besonders aber weil sie sich geweigert
hatte, gekaperte russische Schiffe wieder herauszugeben. So schloß er 1807 ein
Schutz- und Trutzbündnis mit Napoleon, in welchem er sich unter anderem
verpflichtete, England so sehr in die Enge zu treiben, daß es sein angemaßtes
Seerecht aufgeben müsse, und zu diesem Zweck auch an Schweden, Dänemark
und Portugal die Aufforderung zu stellen, den englischen Schiffen und Waren
ihre Häfen zu verschließen.

Dieser Anschluß Rußlands an Frankreich bedeutete den Einschluß der
Ostsee in die Festland sperre Napoleons, er bedeutete die Schließung des wichtigen
Sundes für England, er bedeutete gleichzeitig den Verlust aller Märkte des
Nordens, auf dem es seine Kolonial- und Fabrikwaren abzulegen pflegte, und
denen es den größten Teil seines Reichtums verdankte. Und er bedeutete vor
allem das Wiederaufleben der bewaffneten Neutralität von 1780 und die Er¬
neuerung des Viermächtebundes von 1800. Englands altes System der Ein¬
kreisung schien sich an ihm selbst bitter rächen zu wollen. Es war, als sollte
Napoleons Drohung vom Jahre 1800, "man müsse das Meer den Engländern
unnütz und furchtbar machen, man müsse sie in ihrer Insel blockieren, sie
erschöpfen, sie verderben, sie überfallen, sie unterjochen; man müßte ihre Jnsel-
lage, die der Grund ihrer Unverschämtheit, ihres Reichtums und ihrer Supre¬
matie ist, zu ihrem eigenen Verderben, zu ihrer Unterwerfung, zu ihrer Isolierung
in der Welt ausnützen," furchtbar in Erfüllung gehen. Frankreich mit seinen
Vasallenstaaten im Bund mit Rußland (das zusammen mit Dänemark und
Schweden eine Flotte von 40 Linienschiffen stellen konnte), das war ein Gespenst,
das auch die hartgesottensten Londoner Handelsherren erzittern ließ.

Aber wieder wie vor sechs Jahren fand England Hilfe. Diesmal nicht
im Zufall, sondern im Verbrechen. Die Kette, die Napoleon und Alexander
um die Insel schmiedeten, konnte es zwar nicht zerstören; aber man konnte doch
ihren Wert verringern, indem man hinterhältig eines ihrer Glieder durchbohrte.
So beantwortete denn England die Kontinentalsperre Napoleons mit einem
ohne Kriegserklärung unternommenen, heimtückischen Überfall auf Kopenhagen,
dessen große Schuld seine Flotte war, die mit der englischen konkurrierte. Als
der Prinzregent von Dänemark die schroffe Forderung Englands, die dänische
Flotte solle sich mit der englischen vereinigen, mannhaft und energisch zurück¬
gewiesen hatte, erschien am 16. August 1807 plötzlich und unerwartet vor
Kopenhagen eine gewaltige Armada aus 36 Linienschiffen, 300 Lastschiffen und
einem Landungsheer von 30000 Mann bestehend. Rasch war die Stadt von
allen Seiten eingeschlossen. Die kleine Landwehr war trotz ihrer todesmutigen


England und die Neutralen in den napoleonischen Kriegen

gelungen, wie im Jahre 1800 Paul den Ersten, so auch jetzt Alexander von
Rußland auf seine Seite zu ziehen, den mittlerweile die beschränkte Politik des
selbstsüchtigen Inselstaates zu einem glühenden Britenhasser gemacht hatte. Er
zürnte der englischen Regierung, weil sie in der Substdienzahlung so lässig und
zurückhaltend gewesen, weil sie es schroff abgelehnt hatte, eine russische Anleihe
in England durch ihre Garantie zu fördern, besonders aber weil sie sich geweigert
hatte, gekaperte russische Schiffe wieder herauszugeben. So schloß er 1807 ein
Schutz- und Trutzbündnis mit Napoleon, in welchem er sich unter anderem
verpflichtete, England so sehr in die Enge zu treiben, daß es sein angemaßtes
Seerecht aufgeben müsse, und zu diesem Zweck auch an Schweden, Dänemark
und Portugal die Aufforderung zu stellen, den englischen Schiffen und Waren
ihre Häfen zu verschließen.

Dieser Anschluß Rußlands an Frankreich bedeutete den Einschluß der
Ostsee in die Festland sperre Napoleons, er bedeutete die Schließung des wichtigen
Sundes für England, er bedeutete gleichzeitig den Verlust aller Märkte des
Nordens, auf dem es seine Kolonial- und Fabrikwaren abzulegen pflegte, und
denen es den größten Teil seines Reichtums verdankte. Und er bedeutete vor
allem das Wiederaufleben der bewaffneten Neutralität von 1780 und die Er¬
neuerung des Viermächtebundes von 1800. Englands altes System der Ein¬
kreisung schien sich an ihm selbst bitter rächen zu wollen. Es war, als sollte
Napoleons Drohung vom Jahre 1800, „man müsse das Meer den Engländern
unnütz und furchtbar machen, man müsse sie in ihrer Insel blockieren, sie
erschöpfen, sie verderben, sie überfallen, sie unterjochen; man müßte ihre Jnsel-
lage, die der Grund ihrer Unverschämtheit, ihres Reichtums und ihrer Supre¬
matie ist, zu ihrem eigenen Verderben, zu ihrer Unterwerfung, zu ihrer Isolierung
in der Welt ausnützen," furchtbar in Erfüllung gehen. Frankreich mit seinen
Vasallenstaaten im Bund mit Rußland (das zusammen mit Dänemark und
Schweden eine Flotte von 40 Linienschiffen stellen konnte), das war ein Gespenst,
das auch die hartgesottensten Londoner Handelsherren erzittern ließ.

Aber wieder wie vor sechs Jahren fand England Hilfe. Diesmal nicht
im Zufall, sondern im Verbrechen. Die Kette, die Napoleon und Alexander
um die Insel schmiedeten, konnte es zwar nicht zerstören; aber man konnte doch
ihren Wert verringern, indem man hinterhältig eines ihrer Glieder durchbohrte.
So beantwortete denn England die Kontinentalsperre Napoleons mit einem
ohne Kriegserklärung unternommenen, heimtückischen Überfall auf Kopenhagen,
dessen große Schuld seine Flotte war, die mit der englischen konkurrierte. Als
der Prinzregent von Dänemark die schroffe Forderung Englands, die dänische
Flotte solle sich mit der englischen vereinigen, mannhaft und energisch zurück¬
gewiesen hatte, erschien am 16. August 1807 plötzlich und unerwartet vor
Kopenhagen eine gewaltige Armada aus 36 Linienschiffen, 300 Lastschiffen und
einem Landungsheer von 30000 Mann bestehend. Rasch war die Stadt von
allen Seiten eingeschlossen. Die kleine Landwehr war trotz ihrer todesmutigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/408>, abgerufen am 02.07.2024.